eigenen Worte der Abhandlung liegen: sie ist da, und zwar cor- rigirend. Es ist allerdings richtig, daß Humboldt das Wesen der Sprache nicht in dem bloß Innern sieht, sondern im Ge- gentheil darin, daß das Innere den Laut durchdringe; dieses Durchdringen ist die Synthesis der Sprache. Diese Thätigkeit aber, dieser sprachschöpferische Act ist "ganz und ausschließ- lich in der geistigen Natur des Menschen gegründet"; ein "Drang der Seele nöthigt den körperlichen Werkzeugen den articulirten Laut ab" (§. 10. Anf.). Diese Abnöthigung der Laute wird man doch nicht mit Beckers Ansicht von dem durch die Begriffe auf die Sprachwerkzeuge ausgeübten organischen Reiz gleichsetzen? Ja, Humboldt setzt zwischen den Laut und das Innere eine gewisse Feindschaft, einen Widerspruch; der Laut setzt dem Gedanken, der sich äußern will, einen Wider- stand entgegen, und aus der mangelhaften Ueberwindung dieses Widerstandes entstehen dann jene schwächlichen, unvollkomme- nen Sprachen. So heißt es z. B. (S. CII.): "Man muß die Sprachbildung überhaupt als eine Erzeugung ansehen, in welcher die innere Idee, um sich zu manifestiren, eine Schwierigkeit zu überwinden hat. Diese Schwierigkeit ist der Laut, und die Ueberwindung gelingt nicht immer in gleichem Grade... Aller- dings ist dann immer auch Schwäche der lauterzeugenden Ideen im Spiel, da der wahrhaft kräftige Sprachsinn die Schwierigkeit allemal siegreich überwindet" u. s. w. So wird Seiten lang ein Kampf des "von innen heraus arbeitenden Sprachsinnes" mit dem Laute geschildert. Wie anders Becker! Bei ihm spricht nicht der Geist, sondern die Sprachwerkzeuge sprechen. Es sagt doch Niemand: die Luft athmet, das Licht sieht, sondern die Lunge, und das Auge; also spricht auch nicht der Geist, welcher nur reizt, sondern der Mund. Die Luft dringt in die Lungen, der Gedanke in die Zunge!
Auf den anderen Theil des angeführten Satzes der Abhand- lung näher einzugehen, ist nicht nöthig, da wir schon wissen, was bei Becker organische Einheit ist. Auf den Begriff des conträren Gegensatzes gegründet, würde sie wenigstens den Werth der logisch-systematischen Einheit haben, wenn nicht diese Kategorie selbst bei ihm zur Phrase geworden wäre. End- lich aber meinen wir, daß es völligen Mangel an Kritik, an ge- wissenhaftem Denken verräth, sich auf eine so schwankende,
eigenen Worte der Abhandlung liegen: sie ist da, und zwar cor- rigirend. Es ist allerdings richtig, daß Humboldt das Wesen der Sprache nicht in dem bloß Innern sieht, sondern im Ge- gentheil darin, daß das Innere den Laut durchdringe; dieses Durchdringen ist die Synthesis der Sprache. Diese Thätigkeit aber, dieser sprachschöpferische Act ist „ganz und ausschließ- lich in der geistigen Natur des Menschen gegründet“; ein „Drang der Seele nöthigt den körperlichen Werkzeugen den articulirten Laut ab“ (§. 10. Anf.). Diese Abnöthigung der Laute wird man doch nicht mit Beckers Ansicht von dem durch die Begriffe auf die Sprachwerkzeuge ausgeübten organischen Reiz gleichsetzen? Ja, Humboldt setzt zwischen den Laut und das Innere eine gewisse Feindschaft, einen Widerspruch; der Laut setzt dem Gedanken, der sich äußern will, einen Wider- stand entgegen, und aus der mangelhaften Ueberwindung dieses Widerstandes entstehen dann jene schwächlichen, unvollkomme- nen Sprachen. So heißt es z. B. (S. CII.): „Man muß die Sprachbildung überhaupt als eine Erzeugung ansehen, in welcher die innere Idee, um sich zu manifestiren, eine Schwierigkeit zu überwinden hat. Diese Schwierigkeit ist der Laut, und die Ueberwindung gelingt nicht immer in gleichem Grade… Aller- dings ist dann immer auch Schwäche der lauterzeugenden Ideen im Spiel, da der wahrhaft kräftige Sprachsinn die Schwierigkeit allemal siegreich überwindet“ u. s. w. So wird Seiten lang ein Kampf des „von innen heraus arbeitenden Sprachsinnes“ mit dem Laute geschildert. Wie anders Becker! Bei ihm spricht nicht der Geist, sondern die Sprachwerkzeuge sprechen. Es sagt doch Niemand: die Luft athmet, das Licht sieht, sondern die Lunge, und das Auge; also spricht auch nicht der Geist, welcher nur reizt, sondern der Mund. Die Luft dringt in die Lungen, der Gedanke in die Zunge!
Auf den anderen Theil des angeführten Satzes der Abhand- lung näher einzugehen, ist nicht nöthig, da wir schon wissen, was bei Becker organische Einheit ist. Auf den Begriff des conträren Gegensatzes gegründet, würde sie wenigstens den Werth der logisch-systematischen Einheit haben, wenn nicht diese Kategorie selbst bei ihm zur Phrase geworden wäre. End- lich aber meinen wir, daß es völligen Mangel an Kritik, an ge- wissenhaftem Denken verräth, sich auf eine so schwankende,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0165"n="127"/>
eigenen Worte der Abhandlung liegen: sie ist da, und zwar cor-<lb/>
rigirend. Es ist allerdings richtig, daß Humboldt das Wesen<lb/>
der Sprache nicht in dem bloß Innern sieht, sondern im Ge-<lb/>
gentheil darin, daß das Innere den Laut durchdringe; dieses<lb/>
Durchdringen ist die Synthesis der Sprache. Diese Thätigkeit<lb/>
aber, dieser sprachschöpferische Act ist „ganz und ausschließ-<lb/>
lich in der <hirendition="#g">geistigen</hi> Natur des Menschen gegründet“; ein<lb/>„Drang der <hirendition="#g">Seele nöthigt</hi> den körperlichen Werkzeugen den<lb/>
articulirten Laut <hirendition="#g">ab</hi>“ (§. 10. Anf.). Diese Abnöthigung der<lb/>
Laute wird man doch nicht mit Beckers Ansicht von dem durch<lb/>
die Begriffe auf die Sprachwerkzeuge ausgeübten organischen<lb/>
Reiz gleichsetzen? Ja, Humboldt setzt zwischen den Laut und<lb/>
das Innere eine gewisse Feindschaft, einen Widerspruch; der<lb/>
Laut setzt dem Gedanken, der sich äußern will, einen Wider-<lb/>
stand entgegen, und aus der mangelhaften Ueberwindung dieses<lb/>
Widerstandes entstehen dann jene schwächlichen, unvollkomme-<lb/>
nen Sprachen. So heißt es z. B. (S. CII.): „Man muß die<lb/>
Sprachbildung überhaupt als eine Erzeugung ansehen, in welcher<lb/>
die innere Idee, um sich zu manifestiren, eine <hirendition="#g">Schwierigkeit</hi><lb/>
zu überwinden hat. Diese Schwierigkeit ist der <hirendition="#g">Laut,</hi> und die<lb/>
Ueberwindung gelingt nicht immer in gleichem Grade… Aller-<lb/>
dings ist dann immer auch Schwäche der lauterzeugenden Ideen<lb/>
im Spiel, da der wahrhaft kräftige Sprachsinn die Schwierigkeit<lb/>
allemal siegreich überwindet“ u. s. w. So wird Seiten lang ein<lb/>
Kampf des „von innen heraus arbeitenden Sprachsinnes“ mit dem<lb/>
Laute geschildert. Wie anders Becker! Bei ihm spricht nicht<lb/>
der Geist, sondern die Sprachwerkzeuge sprechen. Es sagt doch<lb/>
Niemand: die Luft athmet, das Licht sieht, sondern die Lunge,<lb/>
und das Auge; also spricht auch nicht der Geist, welcher nur<lb/>
reizt, sondern der Mund. Die Luft dringt in die Lungen, der<lb/>
Gedanke in die Zunge!</p><lb/><p>Auf den anderen Theil des angeführten Satzes der Abhand-<lb/>
lung näher einzugehen, ist nicht nöthig, da wir schon wissen,<lb/>
was bei Becker organische Einheit ist. Auf den Begriff des<lb/>
conträren Gegensatzes gegründet, würde sie wenigstens den<lb/>
Werth der logisch-systematischen Einheit haben, wenn nicht<lb/>
diese Kategorie selbst bei ihm zur Phrase geworden wäre. End-<lb/>
lich aber meinen wir, daß es völligen Mangel an Kritik, an ge-<lb/>
wissenhaftem Denken verräth, sich auf eine so schwankende,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[127/0165]
eigenen Worte der Abhandlung liegen: sie ist da, und zwar cor-
rigirend. Es ist allerdings richtig, daß Humboldt das Wesen
der Sprache nicht in dem bloß Innern sieht, sondern im Ge-
gentheil darin, daß das Innere den Laut durchdringe; dieses
Durchdringen ist die Synthesis der Sprache. Diese Thätigkeit
aber, dieser sprachschöpferische Act ist „ganz und ausschließ-
lich in der geistigen Natur des Menschen gegründet“; ein
„Drang der Seele nöthigt den körperlichen Werkzeugen den
articulirten Laut ab“ (§. 10. Anf.). Diese Abnöthigung der
Laute wird man doch nicht mit Beckers Ansicht von dem durch
die Begriffe auf die Sprachwerkzeuge ausgeübten organischen
Reiz gleichsetzen? Ja, Humboldt setzt zwischen den Laut und
das Innere eine gewisse Feindschaft, einen Widerspruch; der
Laut setzt dem Gedanken, der sich äußern will, einen Wider-
stand entgegen, und aus der mangelhaften Ueberwindung dieses
Widerstandes entstehen dann jene schwächlichen, unvollkomme-
nen Sprachen. So heißt es z. B. (S. CII.): „Man muß die
Sprachbildung überhaupt als eine Erzeugung ansehen, in welcher
die innere Idee, um sich zu manifestiren, eine Schwierigkeit
zu überwinden hat. Diese Schwierigkeit ist der Laut, und die
Ueberwindung gelingt nicht immer in gleichem Grade… Aller-
dings ist dann immer auch Schwäche der lauterzeugenden Ideen
im Spiel, da der wahrhaft kräftige Sprachsinn die Schwierigkeit
allemal siegreich überwindet“ u. s. w. So wird Seiten lang ein
Kampf des „von innen heraus arbeitenden Sprachsinnes“ mit dem
Laute geschildert. Wie anders Becker! Bei ihm spricht nicht
der Geist, sondern die Sprachwerkzeuge sprechen. Es sagt doch
Niemand: die Luft athmet, das Licht sieht, sondern die Lunge,
und das Auge; also spricht auch nicht der Geist, welcher nur
reizt, sondern der Mund. Die Luft dringt in die Lungen, der
Gedanke in die Zunge!
Auf den anderen Theil des angeführten Satzes der Abhand-
lung näher einzugehen, ist nicht nöthig, da wir schon wissen,
was bei Becker organische Einheit ist. Auf den Begriff des
conträren Gegensatzes gegründet, würde sie wenigstens den
Werth der logisch-systematischen Einheit haben, wenn nicht
diese Kategorie selbst bei ihm zur Phrase geworden wäre. End-
lich aber meinen wir, daß es völligen Mangel an Kritik, an ge-
wissenhaftem Denken verräth, sich auf eine so schwankende,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/165>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.