rein organisch. Auch dem Geiste wird Organisation zugeschrie- ben und darunter seine Neigung, Gewohnheit, Anschauungsweise, sein Charakter verstanden; diese Organisation kann mehr oder weniger glücklich sein, was von der Stärke, wie der Richtigkeit und Angemessenheit der geistigen Thätigkeit abhängt.
Hiermit wird nun aber überhaupt die Sprache, jedoch nur bildlich, wie ausdrücklich bemerkt wird, einem organischen Kör- per oder Gliede verglichen. So wird sie (S. XVIII. LXVI. CCV. CCVI.) "das bildende Organ des Gedankens" genannt. Man wird hierbei an die Drüsen des animalischen Leibes erin- nert, welche gewisse Säfte aus- und absondern, wie an die Spei- cheldrüsen, an die weiblichen Brüste. Wer bei diesem Bilde stehen bleiben und, es streng verfolgend, Humboldts Ansicht darin suchen wollte, würde sie gänzlich verkennen. Denn Hum- boldt nimmt die Sprache nicht als etwas so Ruhendes, Festes, wie ein leibliches Organ; sie ist ein geistiges Organ, d. h. ein solches das, so oft man sich seiner bedienen will, erst selbst in der Thätigkeit, zu der es mitwirken soll, geschaffen werden muß; und dennoch andererseits immer ein Organ, das also ge- geben sein muß. Das ist eben der Widerspruch, den die Me- taphysik der Sprache klar darzulegen und zu lösen hat. -- In demselben Bilde ist S. CXCVII. von dem Vorzuge die Rede, den eine Sprache "in den wahrhaft vitalen Theilen ihres Orga- nismus" hat; wie man etwa die Blutkügelchen im Gegensatze zu den Knochen, oder gar Haaren, als besonders vital be- zeichnet.
Organismus, Organ ist also bei Humboldt, auf die Spra- che angewandt, bloß ein verdeutlichendes Bild, ohne Geistrei- chigkeit, wie bei Becker und sonst vielfach, und ohne Mystik, wie bei Friedrich Schlegel. Was aber unter dem Bilde zu ver- stehen sei, ist durch die ganze Einleitung hindurch ausführlich dargelegt; und wenn in ihr die Beziehung und der Zusam- menhang der einzelnen Theile nur klarer hervorträte -- denn sie fehlt keineswegs --, wenn sie nur nicht scheinbar und dem Wortlaute nach vielfach zerrissen und zerstückelt wäre -- denn wesentlich und dem Gedanken nach ist sie einheitlich --: so würde die Sache keine besondere Schwierigkeit haben. Jetzt aber ist eine Erklärung nöthig, und der Erklärer dabei in der übeln Lage, die Einzelheit, die nur aus der Gesammtanschauung Humboldts zu verstehen ist, wieder nur durch Einzelheiten er-
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rein organisch. Auch dem Geiste wird Organisation zugeschrie- ben und darunter seine Neigung, Gewohnheit, Anschauungsweise, sein Charakter verstanden; diese Organisation kann mehr oder weniger glücklich sein, was von der Stärke, wie der Richtigkeit und Angemessenheit der geistigen Thätigkeit abhängt.
Hiermit wird nun aber überhaupt die Sprache, jedoch nur bildlich, wie ausdrücklich bemerkt wird, einem organischen Kör- per oder Gliede verglichen. So wird sie (S. XVIII. LXVI. CCV. CCVI.) „das bildende Organ des Gedankens“ genannt. Man wird hierbei an die Drüsen des animalischen Leibes erin- nert, welche gewisse Säfte aus- und absondern, wie an die Spei- cheldrüsen, an die weiblichen Brüste. Wer bei diesem Bilde stehen bleiben und, es streng verfolgend, Humboldts Ansicht darin suchen wollte, würde sie gänzlich verkennen. Denn Hum- boldt nimmt die Sprache nicht als etwas so Ruhendes, Festes, wie ein leibliches Organ; sie ist ein geistiges Organ, d. h. ein solches das, so oft man sich seiner bedienen will, erst selbst in der Thätigkeit, zu der es mitwirken soll, geschaffen werden muß; und dennoch andererseits immer ein Organ, das also ge- geben sein muß. Das ist eben der Widerspruch, den die Me- taphysik der Sprache klar darzulegen und zu lösen hat. — In demselben Bilde ist S. CXCVII. von dem Vorzuge die Rede, den eine Sprache „in den wahrhaft vitalen Theilen ihres Orga- nismus“ hat; wie man etwa die Blutkügelchen im Gegensatze zu den Knochen, oder gar Haaren, als besonders vital be- zeichnet.
Organismus, Organ ist also bei Humboldt, auf die Spra- che angewandt, bloß ein verdeutlichendes Bild, ohne Geistrei- chigkeit, wie bei Becker und sonst vielfach, und ohne Mystik, wie bei Friedrich Schlegel. Was aber unter dem Bilde zu ver- stehen sei, ist durch die ganze Einleitung hindurch ausführlich dargelegt; und wenn in ihr die Beziehung und der Zusam- menhang der einzelnen Theile nur klarer hervorträte — denn sie fehlt keineswegs —, wenn sie nur nicht scheinbar und dem Wortlaute nach vielfach zerrissen und zerstückelt wäre — denn wesentlich und dem Gedanken nach ist sie einheitlich —: so würde die Sache keine besondere Schwierigkeit haben. Jetzt aber ist eine Erklärung nöthig, und der Erklärer dabei in der übeln Lage, die Einzelheit, die nur aus der Gesammtanschauung Humboldts zu verstehen ist, wieder nur durch Einzelheiten er-
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rein organisch. Auch dem Geiste wird Organisation zugeschrie-
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sein Charakter verstanden; diese Organisation kann mehr oder
weniger glücklich sein, was von der Stärke, wie der Richtigkeit
und Angemessenheit der geistigen Thätigkeit abhängt.
Hiermit wird nun aber überhaupt die Sprache, jedoch nur
bildlich, wie ausdrücklich bemerkt wird, einem organischen Kör-
per oder Gliede verglichen. So wird sie (S. XVIII. LXVI.
CCV. CCVI.) „das bildende Organ des Gedankens“ genannt.
Man wird hierbei an die Drüsen des animalischen Leibes erin-
nert, welche gewisse Säfte aus- und absondern, wie an die Spei-
cheldrüsen, an die weiblichen Brüste. Wer bei diesem Bilde
stehen bleiben und, es streng verfolgend, Humboldts Ansicht
darin suchen wollte, würde sie gänzlich verkennen. Denn Hum-
boldt nimmt die Sprache nicht als etwas so Ruhendes, Festes,
wie ein leibliches Organ; sie ist ein geistiges Organ, d. h.
ein solches das, so oft man sich seiner bedienen will, erst selbst
in der Thätigkeit, zu der es mitwirken soll, geschaffen werden
muß; und dennoch andererseits immer ein Organ, das also ge-
geben sein muß. Das ist eben der Widerspruch, den die Me-
taphysik der Sprache klar darzulegen und zu lösen hat. — In
demselben Bilde ist S. CXCVII. von dem Vorzuge die Rede,
den eine Sprache „in den wahrhaft vitalen Theilen ihres Orga-
nismus“ hat; wie man etwa die Blutkügelchen im Gegensatze
zu den Knochen, oder gar Haaren, als besonders vital be-
zeichnet.
Organismus, Organ ist also bei Humboldt, auf die Spra-
che angewandt, bloß ein verdeutlichendes Bild, ohne Geistrei-
chigkeit, wie bei Becker und sonst vielfach, und ohne Mystik,
wie bei Friedrich Schlegel. Was aber unter dem Bilde zu ver-
stehen sei, ist durch die ganze Einleitung hindurch ausführlich
dargelegt; und wenn in ihr die Beziehung und der Zusam-
menhang der einzelnen Theile nur klarer hervorträte — denn
sie fehlt keineswegs —, wenn sie nur nicht scheinbar und dem
Wortlaute nach vielfach zerrissen und zerstückelt wäre — denn
wesentlich und dem Gedanken nach ist sie einheitlich —: so
würde die Sache keine besondere Schwierigkeit haben. Jetzt
aber ist eine Erklärung nöthig, und der Erklärer dabei in der
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/167>, abgerufen am 24.11.2024.
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