sondern in ihren Kreis fällt auch die Anwendung einer Sprache in den verschiedenen Arten der Literatur; d. h. nicht nur die Form einer Sprache ist Gegenstand der Sprachwissenschaft, son- dern auch ihr Charakter und die in ihrer Literatur entwickelten Style; und hier wird die Sprachwissenschaft allerdings ästhetisch. Die Rhetorik und Poetik zwar wird hierbei von ihr nur berührt; denn sie giebt keine Anweisung zum Reden und Dichten, son- dern bleibt historisch, indem sie eigenthümliche Style darlegt; aber sie greift dadurch in die Literaturgeschichte ein. Nur so viel können wir zugestehen, nicht mehr. In der Literatur- geschichte ist ein sprachwissenschaftliches Element, und ein sehr bedeutendes; aber sie ist nicht nach der Gesammtheit ihrer Auf- gabe und Leistung ein Theil der Sprachwissenschaft; denn sie umfaßt außer jenem sprachwissenschaftlichen Elemente noch andere, wesentlichere, mit welchen jene nichts zu thun haben kann. Die Literaturgeschichte nämlich ist ein Theil der Kunst- geschichte, und zwar derjenige Theil, welcher die Künste um- faßt, deren Darstellungsmaterial Anschauungen und Gedanken, also auch Sprache ist. Dies sind, wie bekannt, im Allgemeinen sechs Künste: die epische, lyrische, dramatische, und die histori- sche, philosophische und rhetorische Kunst. Insoweit nun das Dar- stellungsmaterial dieser Künste die Sprache ist, entlehnt die Li- teraturgeschichte von der Sprachwissenschaft. Zu diesem Dar- stellungsmaterial aber gehört mehr als die Sprache; es gehören dazu noch gedankliche Elemente, die gar nicht der Sprachwis- senschaft, sondern ausschließlich dem Literarhistoriker angehö- ren. Wir vergessen hierbei durchaus nicht Böckhs Warnung davor, in die Literaturgeschichte mehr hineinzuziehen, als die Form der Darstellung. Alles was zum Inhalt gehört, zum Dar- gestellten, darf nicht in sie hineinkommen, sondern gehört der Geschichte der Realien an. Die Darstellungsform, der Styl Platos gehört in die Literaturgeschichte, seine Philosophie in die Geschichte der Philosophie. Die Darstellungsform aber, der Styl, beruht nicht bloß auf der Sprache. Der Platonische Styl wird nicht erschöpft durch seinen sprachlichen Ausdruck. Der Styl hängt allemal auch, und ursprünglicher und bedeutungs- voller als an der Sprache, an der Anordnung und Verbindung der Gedanken selbst, und diese Betrachtung gehört ausschließ- lich der Literaturgeschichte, nicht der Sprachwissenschaft. Neh- men wir noch ein anderes Beispiel. Die Geschichte des grie-
sondern in ihren Kreis fällt auch die Anwendung einer Sprache in den verschiedenen Arten der Literatur; d. h. nicht nur die Form einer Sprache ist Gegenstand der Sprachwissenschaft, son- dern auch ihr Charakter und die in ihrer Literatur entwickelten Style; und hier wird die Sprachwissenschaft allerdings ästhetisch. Die Rhetorik und Poetik zwar wird hierbei von ihr nur berührt; denn sie giebt keine Anweisung zum Reden und Dichten, son- dern bleibt historisch, indem sie eigenthümliche Style darlegt; aber sie greift dadurch in die Literaturgeschichte ein. Nur so viel können wir zugestehen, nicht mehr. In der Literatur- geschichte ist ein sprachwissenschaftliches Element, und ein sehr bedeutendes; aber sie ist nicht nach der Gesammtheit ihrer Auf- gabe und Leistung ein Theil der Sprachwissenschaft; denn sie umfaßt außer jenem sprachwissenschaftlichen Elemente noch andere, wesentlichere, mit welchen jene nichts zu thun haben kann. Die Literaturgeschichte nämlich ist ein Theil der Kunst- geschichte, und zwar derjenige Theil, welcher die Künste um- faßt, deren Darstellungsmaterial Anschauungen und Gedanken, also auch Sprache ist. Dies sind, wie bekannt, im Allgemeinen sechs Künste: die epische, lyrische, dramatische, und die histori- sche, philosophische und rhetorische Kunst. Insoweit nun das Dar- stellungsmaterial dieser Künste die Sprache ist, entlehnt die Li- teraturgeschichte von der Sprachwissenschaft. Zu diesem Dar- stellungsmaterial aber gehört mehr als die Sprache; es gehören dazu noch gedankliche Elemente, die gar nicht der Sprachwis- senschaft, sondern ausschließlich dem Literarhistoriker angehö- ren. Wir vergessen hierbei durchaus nicht Böckhs Warnung davor, in die Literaturgeschichte mehr hineinzuziehen, als die Form der Darstellung. Alles was zum Inhalt gehört, zum Dar- gestellten, darf nicht in sie hineinkommen, sondern gehört der Geschichte der Realien an. Die Darstellungsform, der Styl Platos gehört in die Literaturgeschichte, seine Philosophie in die Geschichte der Philosophie. Die Darstellungsform aber, der Styl, beruht nicht bloß auf der Sprache. Der Platonische Styl wird nicht erschöpft durch seinen sprachlichen Ausdruck. Der Styl hängt allemal auch, und ursprünglicher und bedeutungs- voller als an der Sprache, an der Anordnung und Verbindung der Gedanken selbst, und diese Betrachtung gehört ausschließ- lich der Literaturgeschichte, nicht der Sprachwissenschaft. Neh- men wir noch ein anderes Beispiel. Die Geschichte des grie-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0178"n="140"/>
sondern in ihren Kreis fällt auch die Anwendung einer Sprache<lb/>
in den verschiedenen Arten der Literatur; d. h. nicht nur die<lb/>
Form einer Sprache ist Gegenstand der Sprachwissenschaft, son-<lb/>
dern auch ihr Charakter und die in ihrer Literatur entwickelten<lb/>
Style; und hier wird die Sprachwissenschaft allerdings ästhetisch.<lb/>
Die Rhetorik und Poetik zwar wird hierbei von ihr nur berührt;<lb/>
denn sie giebt keine Anweisung zum Reden und Dichten, son-<lb/>
dern bleibt historisch, indem sie eigenthümliche Style darlegt;<lb/>
aber sie greift dadurch in die Literaturgeschichte ein. Nur<lb/>
so viel können wir zugestehen, nicht mehr. In der Literatur-<lb/>
geschichte ist ein sprachwissenschaftliches Element, und ein sehr<lb/>
bedeutendes; aber sie ist nicht nach der Gesammtheit ihrer Auf-<lb/>
gabe und Leistung ein Theil der Sprachwissenschaft; denn sie<lb/>
umfaßt außer jenem sprachwissenschaftlichen Elemente noch<lb/>
andere, wesentlichere, mit welchen jene nichts zu thun haben<lb/>
kann. Die Literaturgeschichte nämlich ist ein Theil der Kunst-<lb/>
geschichte, und zwar derjenige Theil, welcher die Künste um-<lb/>
faßt, deren Darstellungsmaterial Anschauungen und Gedanken,<lb/>
also auch Sprache ist. Dies sind, wie bekannt, im Allgemeinen<lb/>
sechs Künste: die epische, lyrische, dramatische, und die histori-<lb/>
sche, philosophische und rhetorische Kunst. Insoweit nun das Dar-<lb/>
stellungsmaterial dieser Künste die Sprache ist, entlehnt die Li-<lb/>
teraturgeschichte von der Sprachwissenschaft. Zu diesem Dar-<lb/>
stellungsmaterial aber gehört mehr als die Sprache; es gehören<lb/>
dazu noch gedankliche Elemente, die gar nicht der Sprachwis-<lb/>
senschaft, sondern ausschließlich dem Literarhistoriker angehö-<lb/>
ren. Wir vergessen hierbei durchaus nicht Böckhs Warnung<lb/>
davor, in die Literaturgeschichte mehr hineinzuziehen, als die<lb/>
Form der Darstellung. Alles was zum Inhalt gehört, zum Dar-<lb/>
gestellten, darf nicht in sie hineinkommen, sondern gehört der<lb/>
Geschichte der Realien an. Die Darstellungsform, der Styl<lb/>
Platos gehört in die Literaturgeschichte, seine Philosophie in<lb/>
die Geschichte der Philosophie. Die Darstellungsform aber, der<lb/>
Styl, beruht nicht bloß auf der Sprache. Der Platonische Styl<lb/>
wird nicht erschöpft durch seinen sprachlichen Ausdruck. Der<lb/>
Styl hängt allemal auch, und ursprünglicher und bedeutungs-<lb/>
voller als an der Sprache, an der Anordnung und Verbindung<lb/>
der Gedanken selbst, und diese Betrachtung gehört ausschließ-<lb/>
lich der Literaturgeschichte, nicht der Sprachwissenschaft. Neh-<lb/>
men wir noch ein anderes Beispiel. Die Geschichte des grie-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[140/0178]
sondern in ihren Kreis fällt auch die Anwendung einer Sprache
in den verschiedenen Arten der Literatur; d. h. nicht nur die
Form einer Sprache ist Gegenstand der Sprachwissenschaft, son-
dern auch ihr Charakter und die in ihrer Literatur entwickelten
Style; und hier wird die Sprachwissenschaft allerdings ästhetisch.
Die Rhetorik und Poetik zwar wird hierbei von ihr nur berührt;
denn sie giebt keine Anweisung zum Reden und Dichten, son-
dern bleibt historisch, indem sie eigenthümliche Style darlegt;
aber sie greift dadurch in die Literaturgeschichte ein. Nur
so viel können wir zugestehen, nicht mehr. In der Literatur-
geschichte ist ein sprachwissenschaftliches Element, und ein sehr
bedeutendes; aber sie ist nicht nach der Gesammtheit ihrer Auf-
gabe und Leistung ein Theil der Sprachwissenschaft; denn sie
umfaßt außer jenem sprachwissenschaftlichen Elemente noch
andere, wesentlichere, mit welchen jene nichts zu thun haben
kann. Die Literaturgeschichte nämlich ist ein Theil der Kunst-
geschichte, und zwar derjenige Theil, welcher die Künste um-
faßt, deren Darstellungsmaterial Anschauungen und Gedanken,
also auch Sprache ist. Dies sind, wie bekannt, im Allgemeinen
sechs Künste: die epische, lyrische, dramatische, und die histori-
sche, philosophische und rhetorische Kunst. Insoweit nun das Dar-
stellungsmaterial dieser Künste die Sprache ist, entlehnt die Li-
teraturgeschichte von der Sprachwissenschaft. Zu diesem Dar-
stellungsmaterial aber gehört mehr als die Sprache; es gehören
dazu noch gedankliche Elemente, die gar nicht der Sprachwis-
senschaft, sondern ausschließlich dem Literarhistoriker angehö-
ren. Wir vergessen hierbei durchaus nicht Böckhs Warnung
davor, in die Literaturgeschichte mehr hineinzuziehen, als die
Form der Darstellung. Alles was zum Inhalt gehört, zum Dar-
gestellten, darf nicht in sie hineinkommen, sondern gehört der
Geschichte der Realien an. Die Darstellungsform, der Styl
Platos gehört in die Literaturgeschichte, seine Philosophie in
die Geschichte der Philosophie. Die Darstellungsform aber, der
Styl, beruht nicht bloß auf der Sprache. Der Platonische Styl
wird nicht erschöpft durch seinen sprachlichen Ausdruck. Der
Styl hängt allemal auch, und ursprünglicher und bedeutungs-
voller als an der Sprache, an der Anordnung und Verbindung
der Gedanken selbst, und diese Betrachtung gehört ausschließ-
lich der Literaturgeschichte, nicht der Sprachwissenschaft. Neh-
men wir noch ein anderes Beispiel. Die Geschichte des grie-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/178>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.