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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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chischen Dramas muß doch zur griechischen Literaturgeschichte
gehören; wohin wollte man sie sonst bringen? Auch gehört sie
hieher mit ihrem gesammten Wesen und wird hier erschöpfend
behandelt. Die Geschichte der griechischen Sage an sich ge-
hört freilich nicht in die Literatnrgeschichte, weil die Sage nicht
ein formales, sondern das materiale Element des Dramas ist.
Die Geschichte des griechischen Dramas aber beschäftigt sich
nur mit der dramatischen Formung dieser Sagen, und überläßt
letztere selbst der Geschichte der griechischen Sage. So viel
Berührungspunkte es also auch für die Geschichte des Dramas
und die der Sage geben mag, sie fallen nicht zusammen. Von
Seiten der Sage kommt also auch kein der Sprachwissenschaft
fremdes Element in die Geschichte der Tragödie. Sie wird aber
dennoch mancherlei erzählen, wie z. B. daß Aeschylos zwei re-
dende Personen auf die Bühne brachte, Sophokles drei, daß in
der spätern Komödie der Chor wegblieb u. s. w., was alles die
dramatische Form wesentlich und unmittelbar betrifft, die sprach-
liche Darstellung aber entweder gar nicht, oder erst mittelbar.
Der Literarhistoriker muß also wohl Sprachwissenschaft verste-
hen; aber die Literaturgeschichte geht nicht in ihr auf. Die
Sprachwissenschaft ragt weit in die Literaturgeschichte hinein,
füllt sie aber bei weitem nicht aus. Wir machen also hier be-
grifflich eine Scheidung, die aber praktisch verschwinden muß.
Ein solches Verhältniß kann nicht wundernehmen, wenn man
bedenkt, daß die Sprachwissenschaft aus der Philologie heraus-
geschnitten ist*)

Einen ästhetischen, beurtheilenden Charakter aber nimmt
die Sprachwissenschaft in einer Disciplin an, die ihr ganz we-
sentlich und eigenthümlich ist, nämlich in der systematischen
Anordnung oder Classificirung der Sprachen. Hierbei nämlich
begnügt sie sich nicht, die Sprachen nur nach den an ihnen er-
kannten gemeinsamen Merkmalen in Classen und Familien zu-
sammenzufassen; sondern sie bildet aus diesen Classen eine Stu-
fenleiter und Rangordnung. Sie beurtheilt also hier den Werth
der Sprachen, ihre Würdigkeit als geistige Erzeugnisse und zu-
gleich wieder als Mittel zur geistigen Entwickelung.

Endlich noch eine Unterscheidung. Sprechen ist eine See-

*) Wie ich dies schon in meiner Schrift De pronomine relativo auf den
ersten Seiten dargelegt habe, in Uebereinstimmung mit Böckh.

chischen Dramas muß doch zur griechischen Literaturgeschichte
gehören; wohin wollte man sie sonst bringen? Auch gehört sie
hieher mit ihrem gesammten Wesen und wird hier erschöpfend
behandelt. Die Geschichte der griechischen Sage an sich ge-
hört freilich nicht in die Literatnrgeschichte, weil die Sage nicht
ein formales, sondern das materiale Element des Dramas ist.
Die Geschichte des griechischen Dramas aber beschäftigt sich
nur mit der dramatischen Formung dieser Sagen, und überläßt
letztere selbst der Geschichte der griechischen Sage. So viel
Berührungspunkte es also auch für die Geschichte des Dramas
und die der Sage geben mag, sie fallen nicht zusammen. Von
Seiten der Sage kommt also auch kein der Sprachwissenschaft
fremdes Element in die Geschichte der Tragödie. Sie wird aber
dennoch mancherlei erzählen, wie z. B. daß Aeschylos zwei re-
dende Personen auf die Bühne brachte, Sophokles drei, daß in
der spätern Komödie der Chor wegblieb u. s. w., was alles die
dramatische Form wesentlich und unmittelbar betrifft, die sprach-
liche Darstellung aber entweder gar nicht, oder erst mittelbar.
Der Literarhistoriker muß also wohl Sprachwissenschaft verste-
hen; aber die Literaturgeschichte geht nicht in ihr auf. Die
Sprachwissenschaft ragt weit in die Literaturgeschichte hinein,
füllt sie aber bei weitem nicht aus. Wir machen also hier be-
grifflich eine Scheidung, die aber praktisch verschwinden muß.
Ein solches Verhältniß kann nicht wundernehmen, wenn man
bedenkt, daß die Sprachwissenschaft aus der Philologie heraus-
geschnitten ist*)

Einen ästhetischen, beurtheilenden Charakter aber nimmt
die Sprachwissenschaft in einer Disciplin an, die ihr ganz we-
sentlich und eigenthümlich ist, nämlich in der systematischen
Anordnung oder Classificirung der Sprachen. Hierbei nämlich
begnügt sie sich nicht, die Sprachen nur nach den an ihnen er-
kannten gemeinsamen Merkmalen in Classen und Familien zu-
sammenzufassen; sondern sie bildet aus diesen Classen eine Stu-
fenleiter und Rangordnung. Sie beurtheilt also hier den Werth
der Sprachen, ihre Würdigkeit als geistige Erzeugnisse und zu-
gleich wieder als Mittel zur geistigen Entwickelung.

Endlich noch eine Unterscheidung. Sprechen ist eine See-

*) Wie ich dies schon in meiner Schrift De pronomine relativo auf den
ersten Seiten dargelegt habe, in Uebereinstimmung mit Böckh.
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[141/0179] chischen Dramas muß doch zur griechischen Literaturgeschichte gehören; wohin wollte man sie sonst bringen? Auch gehört sie hieher mit ihrem gesammten Wesen und wird hier erschöpfend behandelt. Die Geschichte der griechischen Sage an sich ge- hört freilich nicht in die Literatnrgeschichte, weil die Sage nicht ein formales, sondern das materiale Element des Dramas ist. Die Geschichte des griechischen Dramas aber beschäftigt sich nur mit der dramatischen Formung dieser Sagen, und überläßt letztere selbst der Geschichte der griechischen Sage. So viel Berührungspunkte es also auch für die Geschichte des Dramas und die der Sage geben mag, sie fallen nicht zusammen. Von Seiten der Sage kommt also auch kein der Sprachwissenschaft fremdes Element in die Geschichte der Tragödie. Sie wird aber dennoch mancherlei erzählen, wie z. B. daß Aeschylos zwei re- dende Personen auf die Bühne brachte, Sophokles drei, daß in der spätern Komödie der Chor wegblieb u. s. w., was alles die dramatische Form wesentlich und unmittelbar betrifft, die sprach- liche Darstellung aber entweder gar nicht, oder erst mittelbar. Der Literarhistoriker muß also wohl Sprachwissenschaft verste- hen; aber die Literaturgeschichte geht nicht in ihr auf. Die Sprachwissenschaft ragt weit in die Literaturgeschichte hinein, füllt sie aber bei weitem nicht aus. Wir machen also hier be- grifflich eine Scheidung, die aber praktisch verschwinden muß. Ein solches Verhältniß kann nicht wundernehmen, wenn man bedenkt, daß die Sprachwissenschaft aus der Philologie heraus- geschnitten ist *) Einen ästhetischen, beurtheilenden Charakter aber nimmt die Sprachwissenschaft in einer Disciplin an, die ihr ganz we- sentlich und eigenthümlich ist, nämlich in der systematischen Anordnung oder Classificirung der Sprachen. Hierbei nämlich begnügt sie sich nicht, die Sprachen nur nach den an ihnen er- kannten gemeinsamen Merkmalen in Classen und Familien zu- sammenzufassen; sondern sie bildet aus diesen Classen eine Stu- fenleiter und Rangordnung. Sie beurtheilt also hier den Werth der Sprachen, ihre Würdigkeit als geistige Erzeugnisse und zu- gleich wieder als Mittel zur geistigen Entwickelung. Endlich noch eine Unterscheidung. Sprechen ist eine See- *) Wie ich dies schon in meiner Schrift De pronomine relativo auf den ersten Seiten dargelegt habe, in Uebereinstimmung mit Böckh.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/179>, abgerufen am 25.11.2024.