II. Nähere Darlegung des Unterschiedes zwischen Grammatik und Logik.
1. Sind Sprechen und Denken identisch?
§. 61. Vorgebliche Untrennbarkeit und Einheit von Sprechen und Denken.
Wenn man, wie auch wir thun, die Sprache Ausdruck des Innern, Darstellung der Intelligenz, genannt hat, so hat man, von Plato bis auf Becker, dieser aber in strengster und durch- geführtester Weise, damit behaupten wollen, daß die Sprache mit der Intelligenz durchaus identisch sei, d. h. daß die Bedeu- tung der Sprachlaute durchaus nichts anderes sei, als die Er- zeugnisse der Intellectualität selbst, Anschauungen, in weiterer Ausbildung Begriffe, und Gedanken. Die Sprache sollte hiernach zwei Seiten haben, eine äußere und eine innere, welche sich zu einander wie Körper und Geist verhalten sollten; die äußere, die Lautseite der Sprache, meinte man, sei das körperliche Ele- ment, in welchem die innere Seite, die Intellectualität, lebe, wohne und geboren werde, und durch welches Element sie sich zugleich äußere und darstelle zu sinnlicher Wahrnehmbarkeit. Sprache ist Gedanke selbst, Wort ist Begriff selbst, Satz ist Urtheil selbst, nur zugleich sprachlich ausgedrückt, lautlich wahr- nehmbar. So streng hat man die Einheit von Sprechen und Denken genommen, daß das eine ohne das andere organisch un- möglich sein sollte, daß wenn sie nach ihrer organischen Natur heranwüchsen, jedes mit dem andern nothwendig zugleich gege- ben sein müßte, weil sie eben gar nicht zwei verschiedene Wesenheiten seien, sondern nur eine. Der Laut, d. h. der or- ganisch articulirte, ist nicht ein selbständiges Wesen für sich, begründet nicht etwa ein Wesen, Sprache genannt, abgesondert und verschieden vom Gedanken; sondern der Laut gehört dem Denken selbst, ist ihm organisch so nothwendig, wie eine Mate- rie der Kraft, ein Leib der Seele. Man hat sich von diesem Drange, Sprechen und Denken zu vereinheitlichen, so weit trei- ben lassen, daß man vergaß, sich zu fragen, was denn nun ei- gentlich der Name Sprache noch bedeuten solle, jetzt, da selbst der Laut ein Element des organischen Denkens ist? Auf diese Frage würde ich nach Beckers Theorie nur antworten können, Sprache bezeichne die organische Eigenschaft des Denkens, tönen zu müssen.
II. Nähere Darlegung des Unterschiedes zwischen Grammatik und Logik.
1. Sind Sprechen und Denken identisch?
§. 61. Vorgebliche Untrennbarkeit und Einheit von Sprechen und Denken.
Wenn man, wie auch wir thun, die Sprache Ausdruck des Innern, Darstellung der Intelligenz, genannt hat, so hat man, von Plato bis auf Becker, dieser aber in strengster und durch- geführtester Weise, damit behaupten wollen, daß die Sprache mit der Intelligenz durchaus identisch sei, d. h. daß die Bedeu- tung der Sprachlaute durchaus nichts anderes sei, als die Er- zeugnisse der Intellectualität selbst, Anschauungen, in weiterer Ausbildung Begriffe, und Gedanken. Die Sprache sollte hiernach zwei Seiten haben, eine äußere und eine innere, welche sich zu einander wie Körper und Geist verhalten sollten; die äußere, die Lautseite der Sprache, meinte man, sei das körperliche Ele- ment, in welchem die innere Seite, die Intellectualität, lebe, wohne und geboren werde, und durch welches Element sie sich zugleich äußere und darstelle zu sinnlicher Wahrnehmbarkeit. Sprache ist Gedanke selbst, Wort ist Begriff selbst, Satz ist Urtheil selbst, nur zugleich sprachlich ausgedrückt, lautlich wahr- nehmbar. So streng hat man die Einheit von Sprechen und Denken genommen, daß das eine ohne das andere organisch un- möglich sein sollte, daß wenn sie nach ihrer organischen Natur heranwüchsen, jedes mit dem andern nothwendig zugleich gege- ben sein müßte, weil sie eben gar nicht zwei verschiedene Wesenheiten seien, sondern nur eine. Der Laut, d. h. der or- ganisch articulirte, ist nicht ein selbständiges Wesen für sich, begründet nicht etwa ein Wesen, Sprache genannt, abgesondert und verschieden vom Gedanken; sondern der Laut gehört dem Denken selbst, ist ihm organisch so nothwendig, wie eine Mate- rie der Kraft, ein Leib der Seele. Man hat sich von diesem Drange, Sprechen und Denken zu vereinheitlichen, so weit trei- ben lassen, daß man vergaß, sich zu fragen, was denn nun ei- gentlich der Name Sprache noch bedeuten solle, jetzt, da selbst der Laut ein Element des organischen Denkens ist? Auf diese Frage würde ich nach Beckers Theorie nur antworten können, Sprache bezeichne die organische Eigenschaft des Denkens, tönen zu müssen.
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II. Nähere Darlegung des Unterschiedes zwischen
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1. Sind Sprechen und Denken identisch?
§. 61. Vorgebliche Untrennbarkeit und Einheit von Sprechen und Denken.
Wenn man, wie auch wir thun, die Sprache Ausdruck des
Innern, Darstellung der Intelligenz, genannt hat, so hat man,
von Plato bis auf Becker, dieser aber in strengster und durch-
geführtester Weise, damit behaupten wollen, daß die Sprache
mit der Intelligenz durchaus identisch sei, d. h. daß die Bedeu-
tung der Sprachlaute durchaus nichts anderes sei, als die Er-
zeugnisse der Intellectualität selbst, Anschauungen, in weiterer
Ausbildung Begriffe, und Gedanken. Die Sprache sollte hiernach
zwei Seiten haben, eine äußere und eine innere, welche sich zu
einander wie Körper und Geist verhalten sollten; die äußere,
die Lautseite der Sprache, meinte man, sei das körperliche Ele-
ment, in welchem die innere Seite, die Intellectualität, lebe,
wohne und geboren werde, und durch welches Element sie sich
zugleich äußere und darstelle zu sinnlicher Wahrnehmbarkeit.
Sprache ist Gedanke selbst, Wort ist Begriff selbst, Satz ist
Urtheil selbst, nur zugleich sprachlich ausgedrückt, lautlich wahr-
nehmbar. So streng hat man die Einheit von Sprechen und
Denken genommen, daß das eine ohne das andere organisch un-
möglich sein sollte, daß wenn sie nach ihrer organischen Natur
heranwüchsen, jedes mit dem andern nothwendig zugleich gege-
ben sein müßte, weil sie eben gar nicht zwei verschiedene
Wesenheiten seien, sondern nur eine. Der Laut, d. h. der or-
ganisch articulirte, ist nicht ein selbständiges Wesen für sich,
begründet nicht etwa ein Wesen, Sprache genannt, abgesondert
und verschieden vom Gedanken; sondern der Laut gehört dem
Denken selbst, ist ihm organisch so nothwendig, wie eine Mate-
rie der Kraft, ein Leib der Seele. Man hat sich von diesem
Drange, Sprechen und Denken zu vereinheitlichen, so weit trei-
ben lassen, daß man vergaß, sich zu fragen, was denn nun ei-
gentlich der Name Sprache noch bedeuten solle, jetzt, da selbst
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/190>, abgerufen am 26.11.2024.
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