sichern: es friert, d. h. Frost ist, oder: es ist Frost, d. h. Frost ist seiend, es ist Frost seiend. Aber jemand, der in der Stube sitzt, fragt den von der Straße eben Eintretenden: wie ist das Wetter? oder: was ist für Wetter? und dieser antwortet nicht mit dem Existentialurtheile, sondern mit einem Qualitäts- urtheile: es regnet, es friert, d. h. Regen ist, Frost ist.
Es friert z. B. ist also bald Qualitäts-, bald Existential- urtheil. Grammatisch genommen bleibt allemal, in diesem oder jenem Falle, es das Subject, friert das Prädicat. Aber die Lo- gik muß zwar in dem Falle, wo es Qualitätsurtheil ist, in friert ein Prädicat sehen; in dem andern Falle aber, im Existential- urtheil, muß sie darin ein Subject erkennen, dem die Existenz als Prädicat zugeschrieben wird; denn friert heißt: Frieren ist. Das ist fehlt aber. Wir hätten also in den Existentialurtheilen kein absolutes Prädicat, sondern ein absolut gesetztes Subject; wie z. B. auch in: es sind Menschen, das Subject Menschen ist, dem das Prädicat der Existenz angeknüpft wird; denn es ist logisch genommen gar nichts. Und man hat sich also auch davor zu hüten, in jedem absoluten Prädicat, wie es friert, ein Existentialurtheil zu sehen, da es oft ein gewöhnliches Quali- tätsurtheil ist.
So sehen wir denn also Satz und Urtheil aufs vielfältigste und ganz allseitig von einander abweichen, und erkennen selbst in den Berührungspunkten dennoch eben nur Berührung ohne Identität, ein verschiedenartiges Wesen in beiden. Ihre Vermi- schung aber hat nicht nur der Grammatik, sondern auch der Logik geschadet.
§. 80. Grammatische und logische Kategorien.
Betrachten wir nun endlich noch die Redetheile oder Wort- classen. Auch hier tritt das eigenthümliche Wesen der Sprache hervor; denn die Wortclassen sind nichts weniger als logische und metaphysische Kategorien. Sie stimmen weder so überein, daß die sprachlichen Kategorien das unmittelbare Abbild der logischen und metaphysischen wären, noch lassen sich jene durch logische oder metaphysische Bestimmungen in ihrem Wesen er- fassen. Beckers Gerede von Thätigkeit und Sein ist schon im Allgemeinen gerichtet; auch der Unterschied zwischen Verbum und Substantivum läßt sich dadurch nicht bestimmen. Der Strom des Wassers, der Tanz, die Tugend, die Gerechtigkeit und Güte, der Kampf und Krieg und der Friede, die Freude,
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sichern: es friert, d. h. Frost ist, oder: es ist Frost, d. h. Frost ist seiend, es ist Frost seiend. Aber jemand, der in der Stube sitzt, fragt den von der Straße eben Eintretenden: wie ist das Wetter? oder: was ist für Wetter? und dieser antwortet nicht mit dem Existentialurtheile, sondern mit einem Qualitäts- urtheile: es regnet, es friert, d. h. Regen ist, Frost ist.
Es friert z. B. ist also bald Qualitäts-, bald Existential- urtheil. Grammatisch genommen bleibt allemal, in diesem oder jenem Falle, es das Subject, friert das Prädicat. Aber die Lo- gik muß zwar in dem Falle, wo es Qualitätsurtheil ist, in friert ein Prädicat sehen; in dem andern Falle aber, im Existential- urtheil, muß sie darin ein Subject erkennen, dem die Existenz als Prädicat zugeschrieben wird; denn friert heißt: Frieren ist. Das ist fehlt aber. Wir hätten also in den Existentialurtheilen kein absolutes Prädicat, sondern ein absolut gesetztes Subject; wie z. B. auch in: es sind Menschen, das Subject Menschen ist, dem das Prädicat der Existenz angeknüpft wird; denn es ist logisch genommen gar nichts. Und man hat sich also auch davor zu hüten, in jedem absoluten Prädicat, wie es friert, ein Existentialurtheil zu sehen, da es oft ein gewöhnliches Quali- tätsurtheil ist.
So sehen wir denn also Satz und Urtheil aufs vielfältigste und ganz allseitig von einander abweichen, und erkennen selbst in den Berührungspunkten dennoch eben nur Berührung ohne Identität, ein verschiedenartiges Wesen in beiden. Ihre Vermi- schung aber hat nicht nur der Grammatik, sondern auch der Logik geschadet.
§. 80. Grammatische und logische Kategorien.
Betrachten wir nun endlich noch die Redetheile oder Wort- classen. Auch hier tritt das eigenthümliche Wesen der Sprache hervor; denn die Wortclassen sind nichts weniger als logische und metaphysische Kategorien. Sie stimmen weder so überein, daß die sprachlichen Kategorien das unmittelbare Abbild der logischen und metaphysischen wären, noch lassen sich jene durch logische oder metaphysische Bestimmungen in ihrem Wesen er- fassen. Beckers Gerede von Thätigkeit und Sein ist schon im Allgemeinen gerichtet; auch der Unterschied zwischen Verbum und Substantivum läßt sich dadurch nicht bestimmen. Der Strom des Wassers, der Tanz, die Tugend, die Gerechtigkeit und Güte, der Kampf und Krieg und der Friede, die Freude,
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sichern: es friert, d. h. Frost ist, oder: es ist Frost, d. h.
Frost ist seiend, es ist Frost seiend. Aber jemand, der in der
Stube sitzt, fragt den von der Straße eben Eintretenden: wie
ist das Wetter? oder: was ist für Wetter? und dieser antwortet
nicht mit dem Existentialurtheile, sondern mit einem Qualitäts-
urtheile: es regnet, es friert, d. h. Regen ist, Frost ist.
Es friert z. B. ist also bald Qualitäts-, bald Existential-
urtheil. Grammatisch genommen bleibt allemal, in diesem oder
jenem Falle, es das Subject, friert das Prädicat. Aber die Lo-
gik muß zwar in dem Falle, wo es Qualitätsurtheil ist, in friert
ein Prädicat sehen; in dem andern Falle aber, im Existential-
urtheil, muß sie darin ein Subject erkennen, dem die Existenz
als Prädicat zugeschrieben wird; denn friert heißt: Frieren ist.
Das ist fehlt aber. Wir hätten also in den Existentialurtheilen
kein absolutes Prädicat, sondern ein absolut gesetztes Subject;
wie z. B. auch in: es sind Menschen, das Subject Menschen
ist, dem das Prädicat der Existenz angeknüpft wird; denn es
ist logisch genommen gar nichts. Und man hat sich also auch
davor zu hüten, in jedem absoluten Prädicat, wie es friert, ein
Existentialurtheil zu sehen, da es oft ein gewöhnliches Quali-
tätsurtheil ist.
So sehen wir denn also Satz und Urtheil aufs vielfältigste
und ganz allseitig von einander abweichen, und erkennen selbst
in den Berührungspunkten dennoch eben nur Berührung ohne
Identität, ein verschiedenartiges Wesen in beiden. Ihre Vermi-
schung aber hat nicht nur der Grammatik, sondern auch der
Logik geschadet.
§. 80. Grammatische und logische Kategorien.
Betrachten wir nun endlich noch die Redetheile oder Wort-
classen. Auch hier tritt das eigenthümliche Wesen der Sprache
hervor; denn die Wortclassen sind nichts weniger als logische
und metaphysische Kategorien. Sie stimmen weder so überein,
daß die sprachlichen Kategorien das unmittelbare Abbild der
logischen und metaphysischen wären, noch lassen sich jene durch
logische oder metaphysische Bestimmungen in ihrem Wesen er-
fassen. Beckers Gerede von Thätigkeit und Sein ist schon im
Allgemeinen gerichtet; auch der Unterschied zwischen Verbum
und Substantivum läßt sich dadurch nicht bestimmen. Der
Strom des Wassers, der Tanz, die Tugend, die Gerechtigkeit
und Güte, der Kampf und Krieg und der Friede, die Freude,
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/249>, abgerufen am 21.11.2024.
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