Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

einem objectiven Verbum, wie z. B. zwischen: er wacht (schläft
nicht) und: er wacht über das Gesetz oder bei einem Kranken.
Man sieht also hier auch ein Verb, welches einen Zustand und
keine Thätigkeit ausdrückt. Eben so wenig wie wach, ist laut
eine Thätigkeit, und wenn ich frage: wie lautet der Vers? so
haben wir abermals ein Verbum, welches keine Thätigkeit aus-
drückt.

Der angegebene Unterschied zwischen der Flexion des Ad-
jectivs und der des Verbs ist ein leeres Wort. Denn, "die Ein-
heit der prädicirten Thätigkeit mit dem Sein bezeichnen", das
heißt eben nichts anderes, als das Prädiciren bezeichnen. Man
kann einen feinen Unterschied machen zwischen Einheit und
Aussage der Einheit, und man könnte also nach Obigem Becker
die Ansicht zuschreiben, daß am Adjectivum durch die Flexion
nur die Einheit, am Verbum aber nicht bloß diese, sondern
auch die Aussage der Einheit ausgedrückt werde. Das wäre
nun aber erstlich falsch. Am Adjectivum würde also die That-
sache der Einheit bezeichnet, am Verbum die subjective Thätig-
keit des Einens im Denken. Die Verbalflexion ist aber durch-
aus nicht so subjectiv. Wer sagt: die Rose blüht, drückt keines-
wegs aus, daß sein Urtheil, sein Denken es ist, welches von der
Rose das Prädicat blühen aussagt; sondern im Gegentheil, nicht
nur die objective Thatsache des Blühens der Rose wird aus-
gesagt; sondern sie wird auch als solche, in voller Objectivität,
ohne Beimischung unsers subjectiven Sehens und Urtheilens dar-
gestellt. Die logische Copula ist allerdings jenes Gleichheits-
und Verbindungszeichen, welches das subjective Denken setzt;
die grammatische Copula dagegen drückt objective Inhärenz aus.
Indem wir es nun aber unentschieden lassen, ob Becker im Obi-
gen diesen Fehler begangen hat, die grammatische Copula als
logische rein subjectiv zu nehmen, können wir doch eine andere
Stelle citiren, wo Becker dies nicht thut, wo dann aber auch
die Gleichheit der adjectivischen und verbalen Flexion ausge-
sprochen wird (§. 50. S. 198.): "Sowohl die prädicative als die
attributive Beziehung wird nicht durch diesen Beziehungen ei-
genthümliche Flexionsformen ausgedrückt; sondern die Einheit
von Thätigkeit und Sein wird nur durch die Congruenz der
Personalform an dem Prädicate und der Geschlechts- und Ca-
susform an dem Attribute bezeichnet."

Becker meinte ferner, weil alle Substantive ein in eine prädi-

einem objectiven Verbum, wie z. B. zwischen: er wacht (schläft
nicht) und: er wacht über das Gesetz oder bei einem Kranken.
Man sieht also hier auch ein Verb, welches einen Zustand und
keine Thätigkeit ausdrückt. Eben so wenig wie wach, ist laut
eine Thätigkeit, und wenn ich frage: wie lautet der Vers? so
haben wir abermals ein Verbum, welches keine Thätigkeit aus-
drückt.

Der angegebene Unterschied zwischen der Flexion des Ad-
jectivs und der des Verbs ist ein leeres Wort. Denn, „die Ein-
heit der prädicirten Thätigkeit mit dem Sein bezeichnen“, das
heißt eben nichts anderes, als das Prädiciren bezeichnen. Man
kann einen feinen Unterschied machen zwischen Einheit und
Aussage der Einheit, und man könnte also nach Obigem Becker
die Ansicht zuschreiben, daß am Adjectivum durch die Flexion
nur die Einheit, am Verbum aber nicht bloß diese, sondern
auch die Aussage der Einheit ausgedrückt werde. Das wäre
nun aber erstlich falsch. Am Adjectivum würde also die That-
sache der Einheit bezeichnet, am Verbum die subjective Thätig-
keit des Einens im Denken. Die Verbalflexion ist aber durch-
aus nicht so subjectiv. Wer sagt: die Rose blüht, drückt keines-
wegs aus, daß sein Urtheil, sein Denken es ist, welches von der
Rose das Prädicat blühen aussagt; sondern im Gegentheil, nicht
nur die objective Thatsache des Blühens der Rose wird aus-
gesagt; sondern sie wird auch als solche, in voller Objectivität,
ohne Beimischung unsers subjectiven Sehens und Urtheilens dar-
gestellt. Die logische Copula ist allerdings jenes Gleichheits-
und Verbindungszeichen, welches das subjective Denken setzt;
die grammatische Copula dagegen drückt objective Inhärenz aus.
Indem wir es nun aber unentschieden lassen, ob Becker im Obi-
gen diesen Fehler begangen hat, die grammatische Copula als
logische rein subjectiv zu nehmen, können wir doch eine andere
Stelle citiren, wo Becker dies nicht thut, wo dann aber auch
die Gleichheit der adjectivischen und verbalen Flexion ausge-
sprochen wird (§. 50. S. 198.): „Sowohl die prädicative als die
attributive Beziehung wird nicht durch diesen Beziehungen ei-
genthümliche Flexionsformen ausgedrückt; sondern die Einheit
von Thätigkeit und Sein wird nur durch die Congruenz der
Personalform an dem Prädicate und der Geschlechts- und Ca-
susform an dem Attribute bezeichnet.“

Becker meinte ferner, weil alle Substantive ein in eine prädi-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0251" n="213"/>
einem objectiven Verbum, wie z. B. zwischen: <hi rendition="#i">er wacht</hi> (schläft<lb/>
nicht) und: <hi rendition="#i">er wacht über das Gesetz</hi> oder <hi rendition="#i">bei einem Kranken</hi>.<lb/>
Man sieht also hier auch ein Verb, welches einen Zustand und<lb/>
keine Thätigkeit ausdrückt. Eben so wenig wie <hi rendition="#i">wach,</hi> ist <hi rendition="#i">laut</hi><lb/>
eine Thätigkeit, und wenn ich frage: <hi rendition="#i">wie lautet der Vers</hi>? so<lb/>
haben wir abermals ein Verbum, welches keine Thätigkeit aus-<lb/>
drückt.</p><lb/>
              <p>Der angegebene Unterschied zwischen der Flexion des Ad-<lb/>
jectivs und der des Verbs ist ein leeres Wort. Denn, &#x201E;die Ein-<lb/>
heit der prädicirten Thätigkeit mit dem Sein bezeichnen&#x201C;, das<lb/>
heißt eben nichts anderes, als das Prädiciren bezeichnen. Man<lb/>
kann einen feinen Unterschied machen zwischen <hi rendition="#i">Einheit</hi> und<lb/><hi rendition="#i">Aussage der Einheit</hi>, und man könnte also nach Obigem Becker<lb/>
die Ansicht zuschreiben, daß am Adjectivum durch die Flexion<lb/>
nur die Einheit, am Verbum aber nicht bloß diese, sondern<lb/>
auch die Aussage der Einheit ausgedrückt werde. Das wäre<lb/>
nun aber erstlich falsch. Am Adjectivum würde also die That-<lb/>
sache der Einheit bezeichnet, am Verbum die subjective Thätig-<lb/>
keit des Einens im Denken. Die Verbalflexion ist aber durch-<lb/>
aus nicht so subjectiv. Wer sagt: <hi rendition="#i">die Rose blüht,</hi> drückt keines-<lb/>
wegs aus, daß sein Urtheil, sein Denken es ist, welches von der<lb/><hi rendition="#i">Rose</hi> das Prädicat <hi rendition="#i">blühen</hi> aussagt; sondern im Gegentheil, nicht<lb/>
nur die <hi rendition="#g">objective</hi> Thatsache des Blühens der Rose wird aus-<lb/>
gesagt; sondern sie wird auch als solche, in voller Objectivität,<lb/>
ohne Beimischung unsers subjectiven Sehens und Urtheilens dar-<lb/>
gestellt. Die logische Copula ist allerdings jenes Gleichheits-<lb/>
und Verbindungszeichen, welches das subjective Denken setzt;<lb/>
die grammatische Copula dagegen drückt objective Inhärenz aus.<lb/>
Indem wir es nun aber unentschieden lassen, ob Becker im Obi-<lb/>
gen diesen Fehler begangen hat, die grammatische Copula als<lb/>
logische rein subjectiv zu nehmen, können wir doch eine andere<lb/>
Stelle citiren, wo Becker dies nicht thut, wo dann aber auch<lb/>
die Gleichheit der adjectivischen und verbalen Flexion ausge-<lb/>
sprochen wird (§. 50. S. 198.): &#x201E;Sowohl die prädicative als die<lb/>
attributive Beziehung wird nicht durch diesen Beziehungen ei-<lb/>
genthümliche Flexionsformen ausgedrückt; sondern die <hi rendition="#g">Einheit</hi><lb/>
von Thätigkeit und Sein wird nur durch die Congruenz der<lb/>
Personalform an dem Prädicate und der Geschlechts- und Ca-<lb/>
susform an dem Attribute bezeichnet.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Becker meinte ferner, weil alle Substantive ein in eine prädi-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0251] einem objectiven Verbum, wie z. B. zwischen: er wacht (schläft nicht) und: er wacht über das Gesetz oder bei einem Kranken. Man sieht also hier auch ein Verb, welches einen Zustand und keine Thätigkeit ausdrückt. Eben so wenig wie wach, ist laut eine Thätigkeit, und wenn ich frage: wie lautet der Vers? so haben wir abermals ein Verbum, welches keine Thätigkeit aus- drückt. Der angegebene Unterschied zwischen der Flexion des Ad- jectivs und der des Verbs ist ein leeres Wort. Denn, „die Ein- heit der prädicirten Thätigkeit mit dem Sein bezeichnen“, das heißt eben nichts anderes, als das Prädiciren bezeichnen. Man kann einen feinen Unterschied machen zwischen Einheit und Aussage der Einheit, und man könnte also nach Obigem Becker die Ansicht zuschreiben, daß am Adjectivum durch die Flexion nur die Einheit, am Verbum aber nicht bloß diese, sondern auch die Aussage der Einheit ausgedrückt werde. Das wäre nun aber erstlich falsch. Am Adjectivum würde also die That- sache der Einheit bezeichnet, am Verbum die subjective Thätig- keit des Einens im Denken. Die Verbalflexion ist aber durch- aus nicht so subjectiv. Wer sagt: die Rose blüht, drückt keines- wegs aus, daß sein Urtheil, sein Denken es ist, welches von der Rose das Prädicat blühen aussagt; sondern im Gegentheil, nicht nur die objective Thatsache des Blühens der Rose wird aus- gesagt; sondern sie wird auch als solche, in voller Objectivität, ohne Beimischung unsers subjectiven Sehens und Urtheilens dar- gestellt. Die logische Copula ist allerdings jenes Gleichheits- und Verbindungszeichen, welches das subjective Denken setzt; die grammatische Copula dagegen drückt objective Inhärenz aus. Indem wir es nun aber unentschieden lassen, ob Becker im Obi- gen diesen Fehler begangen hat, die grammatische Copula als logische rein subjectiv zu nehmen, können wir doch eine andere Stelle citiren, wo Becker dies nicht thut, wo dann aber auch die Gleichheit der adjectivischen und verbalen Flexion ausge- sprochen wird (§. 50. S. 198.): „Sowohl die prädicative als die attributive Beziehung wird nicht durch diesen Beziehungen ei- genthümliche Flexionsformen ausgedrückt; sondern die Einheit von Thätigkeit und Sein wird nur durch die Congruenz der Personalform an dem Prädicate und der Geschlechts- und Ca- susform an dem Attribute bezeichnet.“ Becker meinte ferner, weil alle Substantive ein in eine prädi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/251
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/251>, abgerufen am 21.11.2024.