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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Sinne wird behauptet, die Sprache sei nicht logisch; nicht nach
dem zweiten.

Um sich an diesen Unterschied zu gewöhnen, um ihn fest
halten zu lernen, wende man den Blick einmal auf andere
Wissenschaften. Die Physik, Chemie, Mathematik u. s. w. sind
nicht logisch, die Natur ist nicht logisch, d. h. es sind in ihnen
keine logischen Thatsachen, Kategorien und Lehrsätze gegeben;
aber sie sind darum doch sehr logisch, indem ihre Entwicke-
lungen nach den Gesetzen der Logik durchgeführt sind. Das-
selbe gilt von der Geschichte, und wenn man meint, und wenn
Hegel selbst gemeint hat, aus seinem Satze: "alles, auch die
Geschichte sei logisch, vernünftig" müsse gefolgert werden, in
der Geschichte seien logische Kategorien darzustellen, und die
Völker und die Ereignisse und Zustände seien als die geschicht-
lichen Verwirklichungen der logischen Kategorien aufzufassen:
so scheint mir dies gerade derselbe Fehler, wie der, welchen wir
hier rücksichtlich der Sprache tadeln.

Der Gegenstand der einzelnen Wissenschaften ist ihnen
eigenthümlich, nicht bloß der Stoff, sondern auch die an ihm
hervortretenden allgemeinen Verhältnisse, die man eben Katego-
rien nennt, wie die Kenntniß der chemischen Stoffe und die
Verhältnisse, nach denen sie sich mit einander verbinden; wie
Kreis, Peripherie, Durchmesser und die Verhältnisse, in denen
sie zu einander stehen. Indem aber unsere Thätigkeit des ver-
ständigen Denkens diese Gegenstände betrachtet, diese Verhält-
nisse erforscht, so verfährt sie hierbei in einer Weise, in wel-
cher die Formen der Logik sichtbar werden; denn die Logik
ist eben die Analyse des Denkens, d. h. der Denkthätigkeit, ab-
gesehen von dem Gegenstande, auf den sie angewandt wird.
Noch mehr, die Natur erzeugt Gegenstände und verfährt dabei
durch Mittel und in einer Weise, welche die specielle Natur-
wissenschaft als ihren besondern Gegenstand darzustellen hat.
Indem wir diese Verfahrungsweise im Denken reproduciren und
den realen Gang des Werdens der Sache in einen subjectiven
Gang des Werdens des Begriffs umwandeln, d. h. bloß abbilden,
bemerken wir im Denken nicht bloß, sondern in der wirklichen
Natur selbst logische Verhältnisse, die ihr inne wohnen, logi-
sche Gesetze, die sie unverbrüchlich befolgt.

Ganz eben so wie die Natur und die Naturwissenschaften,
ist auch die Sprache und die Sprachwissenschaft logisch und

Sinne wird behauptet, die Sprache sei nicht logisch; nicht nach
dem zweiten.

Um sich an diesen Unterschied zu gewöhnen, um ihn fest
halten zu lernen, wende man den Blick einmal auf andere
Wissenschaften. Die Physik, Chemie, Mathematik u. s. w. sind
nicht logisch, die Natur ist nicht logisch, d. h. es sind in ihnen
keine logischen Thatsachen, Kategorien und Lehrsätze gegeben;
aber sie sind darum doch sehr logisch, indem ihre Entwicke-
lungen nach den Gesetzen der Logik durchgeführt sind. Das-
selbe gilt von der Geschichte, und wenn man meint, und wenn
Hegel selbst gemeint hat, aus seinem Satze: „alles, auch die
Geschichte sei logisch, vernünftig“ müsse gefolgert werden, in
der Geschichte seien logische Kategorien darzustellen, und die
Völker und die Ereignisse und Zustände seien als die geschicht-
lichen Verwirklichungen der logischen Kategorien aufzufassen:
so scheint mir dies gerade derselbe Fehler, wie der, welchen wir
hier rücksichtlich der Sprache tadeln.

Der Gegenstand der einzelnen Wissenschaften ist ihnen
eigenthümlich, nicht bloß der Stoff, sondern auch die an ihm
hervortretenden allgemeinen Verhältnisse, die man eben Katego-
rien nennt, wie die Kenntniß der chemischen Stoffe und die
Verhältnisse, nach denen sie sich mit einander verbinden; wie
Kreis, Peripherie, Durchmesser und die Verhältnisse, in denen
sie zu einander stehen. Indem aber unsere Thätigkeit des ver-
ständigen Denkens diese Gegenstände betrachtet, diese Verhält-
nisse erforscht, so verfährt sie hierbei in einer Weise, in wel-
cher die Formen der Logik sichtbar werden; denn die Logik
ist eben die Analyse des Denkens, d. h. der Denkthätigkeit, ab-
gesehen von dem Gegenstande, auf den sie angewandt wird.
Noch mehr, die Natur erzeugt Gegenstände und verfährt dabei
durch Mittel und in einer Weise, welche die specielle Natur-
wissenschaft als ihren besondern Gegenstand darzustellen hat.
Indem wir diese Verfahrungsweise im Denken reproduciren und
den realen Gang des Werdens der Sache in einen subjectiven
Gang des Werdens des Begriffs umwandeln, d. h. bloß abbilden,
bemerken wir im Denken nicht bloß, sondern in der wirklichen
Natur selbst logische Verhältnisse, die ihr inne wohnen, logi-
sche Gesetze, die sie unverbrüchlich befolgt.

Ganz eben so wie die Natur und die Naturwissenschaften,
ist auch die Sprache und die Sprachwissenschaft logisch und

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[219/0257] Sinne wird behauptet, die Sprache sei nicht logisch; nicht nach dem zweiten. Um sich an diesen Unterschied zu gewöhnen, um ihn fest halten zu lernen, wende man den Blick einmal auf andere Wissenschaften. Die Physik, Chemie, Mathematik u. s. w. sind nicht logisch, die Natur ist nicht logisch, d. h. es sind in ihnen keine logischen Thatsachen, Kategorien und Lehrsätze gegeben; aber sie sind darum doch sehr logisch, indem ihre Entwicke- lungen nach den Gesetzen der Logik durchgeführt sind. Das- selbe gilt von der Geschichte, und wenn man meint, und wenn Hegel selbst gemeint hat, aus seinem Satze: „alles, auch die Geschichte sei logisch, vernünftig“ müsse gefolgert werden, in der Geschichte seien logische Kategorien darzustellen, und die Völker und die Ereignisse und Zustände seien als die geschicht- lichen Verwirklichungen der logischen Kategorien aufzufassen: so scheint mir dies gerade derselbe Fehler, wie der, welchen wir hier rücksichtlich der Sprache tadeln. Der Gegenstand der einzelnen Wissenschaften ist ihnen eigenthümlich, nicht bloß der Stoff, sondern auch die an ihm hervortretenden allgemeinen Verhältnisse, die man eben Katego- rien nennt, wie die Kenntniß der chemischen Stoffe und die Verhältnisse, nach denen sie sich mit einander verbinden; wie Kreis, Peripherie, Durchmesser und die Verhältnisse, in denen sie zu einander stehen. Indem aber unsere Thätigkeit des ver- ständigen Denkens diese Gegenstände betrachtet, diese Verhält- nisse erforscht, so verfährt sie hierbei in einer Weise, in wel- cher die Formen der Logik sichtbar werden; denn die Logik ist eben die Analyse des Denkens, d. h. der Denkthätigkeit, ab- gesehen von dem Gegenstande, auf den sie angewandt wird. Noch mehr, die Natur erzeugt Gegenstände und verfährt dabei durch Mittel und in einer Weise, welche die specielle Natur- wissenschaft als ihren besondern Gegenstand darzustellen hat. Indem wir diese Verfahrungsweise im Denken reproduciren und den realen Gang des Werdens der Sache in einen subjectiven Gang des Werdens des Begriffs umwandeln, d. h. bloß abbilden, bemerken wir im Denken nicht bloß, sondern in der wirklichen Natur selbst logische Verhältnisse, die ihr inne wohnen, logi- sche Gesetze, die sie unverbrüchlich befolgt. Ganz eben so wie die Natur und die Naturwissenschaften, ist auch die Sprache und die Sprachwissenschaft logisch und

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/257>, abgerufen am 22.11.2024.