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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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tirung und Perspective; und diese Kategorien der Malerei an
sich werden von dem Begriffe der Dimensionen eben nur be-
rührt, sind aber ganz anderer Natur.

Wir sind also durch unsere bisherigen Betrachtungen zu
der Forderung gelangt, der Sprache und Grammatik ein ganz
eigenthümliches System von Kategorien, Begriffen, gedanklichen
Verhältnissen zuzuschreiben, welche allerdings wohl richtig ge-
dacht, aber doch nicht der Logik zugehörig sein sollen; und nun
entsteht die Frage: was soll die Sprache bedeuten, wenn nicht
den Gedanken? was kann ihr Inneres sein, wenn nicht Anschau-
ung und Begriff? und welche Formen und Beziehungen können
also in dem Innern, in dem Bedeuteten der Sprache auftreten,
wenn nicht die der Anschauungen und Begriffe? was kann also
endlich die Grammatik untersuchen und finden, wenn nicht dasselbe
wie die Logik? Die Darstellung des Gedankens? aber diese
ist ja auch gedacht! und so kommen wir nur zu einem Denken des
Denkens, welches doch sicherlich der Logik angehört. Oder
sollte dieses darstellende Denken des Gedachten oder Den-
kens sich in eigenthümlichen Formen bewegen und eigenthümliche
Gesetze offenbaren? sollte es also neben dem logischen Denken
noch ein anderes geben, und sollte es dieses nicht-logische Den-
ken sein, welches in der Sprache in Lauten tönt?

Wäre das wohl so unwahrscheinlich? oder scheint das gar
unmöglich? Wie? kennt man denn nicht auch sonst schon ein
sehr erlaubtes, berechtigtes Denken, welches in seinen Formen
unbekümmert um Logik, in seinem Inhalte unbekümmert um
das reale Verhältniß der Sachen, welches die einzelnen Wissen-
schaften darstellen, seinen eigenen Weg geht: das poetische Den-
ken? Auf dieser Verschiedenheit des poetischen Denkens vom
gewöhnlichen logischen beruht die Schwierigkeit des Verständ-
nisses der Poesie, z. B. einer Ode. Denn das nennen wir hier
verstehen: das Uebersetzen des lyrischen Denkens in logisches
Denken. Das Verstehen des Aesthetikers geht noch weiter: er
begreift auch die Formen des poetischen, also hier des lyri-
schen Denkens an sich, d. h. er kennt die Logik der Lyrik,
die ganz andere Gesetze und Formen hat, als die Logik des
Verstandes.

Ein Beispiel: "Grau, theurer Freund, ist alle Theorie, Grün
ist des Lebens goldner Baum
". Diese Verse verhöhnen alle Lo-
gik, alle Botanik, alle Farbenlehre -- wenn man die Thorheit

tirung und Perspective; und diese Kategorien der Malerei an
sich werden von dem Begriffe der Dimensionen eben nur be-
rührt, sind aber ganz anderer Natur.

Wir sind also durch unsere bisherigen Betrachtungen zu
der Forderung gelangt, der Sprache und Grammatik ein ganz
eigenthümliches System von Kategorien, Begriffen, gedanklichen
Verhältnissen zuzuschreiben, welche allerdings wohl richtig ge-
dacht, aber doch nicht der Logik zugehörig sein sollen; und nun
entsteht die Frage: was soll die Sprache bedeuten, wenn nicht
den Gedanken? was kann ihr Inneres sein, wenn nicht Anschau-
ung und Begriff? und welche Formen und Beziehungen können
also in dem Innern, in dem Bedeuteten der Sprache auftreten,
wenn nicht die der Anschauungen und Begriffe? was kann also
endlich die Grammatik untersuchen und finden, wenn nicht dasselbe
wie die Logik? Die Darstellung des Gedankens? aber diese
ist ja auch gedacht! und so kommen wir nur zu einem Denken des
Denkens, welches doch sicherlich der Logik angehört. Oder
sollte dieses darstellende Denken des Gedachten oder Den-
kens sich in eigenthümlichen Formen bewegen und eigenthümliche
Gesetze offenbaren? sollte es also neben dem logischen Denken
noch ein anderes geben, und sollte es dieses nicht-logische Den-
ken sein, welches in der Sprache in Lauten tönt?

Wäre das wohl so unwahrscheinlich? oder scheint das gar
unmöglich? Wie? kennt man denn nicht auch sonst schon ein
sehr erlaubtes, berechtigtes Denken, welches in seinen Formen
unbekümmert um Logik, in seinem Inhalte unbekümmert um
das reale Verhältniß der Sachen, welches die einzelnen Wissen-
schaften darstellen, seinen eigenen Weg geht: das poetische Den-
ken? Auf dieser Verschiedenheit des poetischen Denkens vom
gewöhnlichen logischen beruht die Schwierigkeit des Verständ-
nisses der Poesie, z. B. einer Ode. Denn das nennen wir hier
verstehen: das Uebersetzen des lyrischen Denkens in logisches
Denken. Das Verstehen des Aesthetikers geht noch weiter: er
begreift auch die Formen des poetischen, also hier des lyri-
schen Denkens an sich, d. h. er kennt die Logik der Lyrik,
die ganz andere Gesetze und Formen hat, als die Logik des
Verstandes.

Ein Beispiel: „Grau, theurer Freund, ist alle Theorie, Grün
ist des Lebens goldner Baum
“. Diese Verse verhöhnen alle Lo-
gik, alle Botanik, alle Farbenlehre — wenn man die Thorheit

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[223/0261] tirung und Perspective; und diese Kategorien der Malerei an sich werden von dem Begriffe der Dimensionen eben nur be- rührt, sind aber ganz anderer Natur. Wir sind also durch unsere bisherigen Betrachtungen zu der Forderung gelangt, der Sprache und Grammatik ein ganz eigenthümliches System von Kategorien, Begriffen, gedanklichen Verhältnissen zuzuschreiben, welche allerdings wohl richtig ge- dacht, aber doch nicht der Logik zugehörig sein sollen; und nun entsteht die Frage: was soll die Sprache bedeuten, wenn nicht den Gedanken? was kann ihr Inneres sein, wenn nicht Anschau- ung und Begriff? und welche Formen und Beziehungen können also in dem Innern, in dem Bedeuteten der Sprache auftreten, wenn nicht die der Anschauungen und Begriffe? was kann also endlich die Grammatik untersuchen und finden, wenn nicht dasselbe wie die Logik? Die Darstellung des Gedankens? aber diese ist ja auch gedacht! und so kommen wir nur zu einem Denken des Denkens, welches doch sicherlich der Logik angehört. Oder sollte dieses darstellende Denken des Gedachten oder Den- kens sich in eigenthümlichen Formen bewegen und eigenthümliche Gesetze offenbaren? sollte es also neben dem logischen Denken noch ein anderes geben, und sollte es dieses nicht-logische Den- ken sein, welches in der Sprache in Lauten tönt? Wäre das wohl so unwahrscheinlich? oder scheint das gar unmöglich? Wie? kennt man denn nicht auch sonst schon ein sehr erlaubtes, berechtigtes Denken, welches in seinen Formen unbekümmert um Logik, in seinem Inhalte unbekümmert um das reale Verhältniß der Sachen, welches die einzelnen Wissen- schaften darstellen, seinen eigenen Weg geht: das poetische Den- ken? Auf dieser Verschiedenheit des poetischen Denkens vom gewöhnlichen logischen beruht die Schwierigkeit des Verständ- nisses der Poesie, z. B. einer Ode. Denn das nennen wir hier verstehen: das Uebersetzen des lyrischen Denkens in logisches Denken. Das Verstehen des Aesthetikers geht noch weiter: er begreift auch die Formen des poetischen, also hier des lyri- schen Denkens an sich, d. h. er kennt die Logik der Lyrik, die ganz andere Gesetze und Formen hat, als die Logik des Verstandes. Ein Beispiel: „Grau, theurer Freund, ist alle Theorie, Grün ist des Lebens goldner Baum“. Diese Verse verhöhnen alle Lo- gik, alle Botanik, alle Farbenlehre — wenn man die Thorheit

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/261>, abgerufen am 22.11.2024.