macht, oder es ist eine natürliche Schöpfung, eine Zeugung und Geburt. Indem also der Sprachforscher bloß die Gesetze, die wirksamen Ursachen erforscht, lernt er zugleich die Weise der Anfertigung und die Geschichte der Erfindung der Sprachma- schine kennen; oder vielmehr alle diese Unterschiede schwinden, weil die Sprache keine erfundene Maschine, sondern ein natür- liches Organ ist, d. h. ein seelisches Organ.
Unsere Erforschung des Ursprungs der Sprache bewegt sich also nicht um den zeitlichen, zufälligen, sondern um den ewigen, unwandelbaren Ursprung in der Seele des Men- schen überhaupt oder um die Gesetze des Seelenlebens, nach denen Sprache entsteht, welche uns aber zugleich das wirkliche Entstehen derselben von heute sowohl, wie von der Urzeit ent- hüllen.
Hiermit sind wir in die Psychologie versetzt.
Glückliche Fortschritte in der Sprachwissenschaft setzen eine entwickelte Psychologie voraus. Umgekehrt freilich mag auch diese von jener Hülfe erwarten. Der Sprachforscher darf sich dadurch nicht abschrecken lassen, daß sein Gegenstand, weil derselbe dem ganzen menschlichen Wesen entsprossen ist, auch dessen allseitige Natur an sich trägt. Ist er dadurch ge- nöthigt und berechtigt, von allen Seiten Hülfe in Anspruch zu nehmen, so ist er darum auch verpflichtet, sie nach allen Seiten hin zu leisten.
Es wäre nun also der Punkt der geistigen Entwickelung zu suchen, wo die Sprache hervorbricht. Um diesen zu finden, müßten wir die ganze Leiter dieser Entwickelung von der un- tersten Stufe an verfolgen und darauf achten, auf welcher Stufe die Wirksamkeit und eine Leistung der Sprache sichtbar wird. Ihr Ursprung müßte zwischen den letzten Punkt, auf welchem sie noch ruht, und den ersten, auf welchem sich ihr Einfluß zeigt, in die Mitte fallen. Hierbei hätten wir uns aber davor zu hüten, die Wirksamkeit der Sprache da schon zu erkennen, wo sie noch nicht ist; da noch nicht, wo sie schon ist; und da immer noch, wo sie schon wieder ruht; und auch davor hat man sich in Acht zu nehmen, daß man ihr Wirkungen zuschreibt, die sie gar nicht haben kann.
Um dieser Gefahr zu entgehen, ist eine längere psycholo- gische Entwickelung nothwendig oder mindestens rathsam. Um die Leistung der Sprache sicherer zu erkennen, die doch in das
macht, oder es ist eine natürliche Schöpfung, eine Zeugung und Geburt. Indem also der Sprachforscher bloß die Gesetze, die wirksamen Ursachen erforscht, lernt er zugleich die Weise der Anfertigung und die Geschichte der Erfindung der Sprachma- schine kennen; oder vielmehr alle diese Unterschiede schwinden, weil die Sprache keine erfundene Maschine, sondern ein natür- liches Organ ist, d. h. ein seelisches Organ.
Unsere Erforschung des Ursprungs der Sprache bewegt sich also nicht um den zeitlichen, zufälligen, sondern um den ewigen, unwandelbaren Ursprung in der Seele des Men- schen überhaupt oder um die Gesetze des Seelenlebens, nach denen Sprache entsteht, welche uns aber zugleich das wirkliche Entstehen derselben von heute sowohl, wie von der Urzeit ent- hüllen.
Hiermit sind wir in die Psychologie versetzt.
Glückliche Fortschritte in der Sprachwissenschaft setzen eine entwickelte Psychologie voraus. Umgekehrt freilich mag auch diese von jener Hülfe erwarten. Der Sprachforscher darf sich dadurch nicht abschrecken lassen, daß sein Gegenstand, weil derselbe dem ganzen menschlichen Wesen entsprossen ist, auch dessen allseitige Natur an sich trägt. Ist er dadurch ge- nöthigt und berechtigt, von allen Seiten Hülfe in Anspruch zu nehmen, so ist er darum auch verpflichtet, sie nach allen Seiten hin zu leisten.
Es wäre nun also der Punkt der geistigen Entwickelung zu suchen, wo die Sprache hervorbricht. Um diesen zu finden, müßten wir die ganze Leiter dieser Entwickelung von der un- tersten Stufe an verfolgen und darauf achten, auf welcher Stufe die Wirksamkeit und eine Leistung der Sprache sichtbar wird. Ihr Ursprung müßte zwischen den letzten Punkt, auf welchem sie noch ruht, und den ersten, auf welchem sich ihr Einfluß zeigt, in die Mitte fallen. Hierbei hätten wir uns aber davor zu hüten, die Wirksamkeit der Sprache da schon zu erkennen, wo sie noch nicht ist; da noch nicht, wo sie schon ist; und da immer noch, wo sie schon wieder ruht; und auch davor hat man sich in Acht zu nehmen, daß man ihr Wirkungen zuschreibt, die sie gar nicht haben kann.
Um dieser Gefahr zu entgehen, ist eine längere psycholo- gische Entwickelung nothwendig oder mindestens rathsam. Um die Leistung der Sprache sicherer zu erkennen, die doch in das
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macht, oder es ist eine natürliche Schöpfung, eine Zeugung und
Geburt. Indem also der Sprachforscher bloß die Gesetze, die
wirksamen Ursachen erforscht, lernt er zugleich die Weise der
Anfertigung und die Geschichte der Erfindung der Sprachma-
schine kennen; oder vielmehr alle diese Unterschiede schwinden,
weil die Sprache keine erfundene Maschine, sondern ein natür-
liches Organ ist, d. h. ein seelisches Organ.
Unsere Erforschung des Ursprungs der Sprache bewegt
sich also nicht um den zeitlichen, zufälligen, sondern um
den ewigen, unwandelbaren Ursprung in der Seele des Men-
schen überhaupt oder um die Gesetze des Seelenlebens, nach
denen Sprache entsteht, welche uns aber zugleich das wirkliche
Entstehen derselben von heute sowohl, wie von der Urzeit ent-
hüllen.
Hiermit sind wir in die Psychologie versetzt.
Glückliche Fortschritte in der Sprachwissenschaft setzen
eine entwickelte Psychologie voraus. Umgekehrt freilich mag
auch diese von jener Hülfe erwarten. Der Sprachforscher darf
sich dadurch nicht abschrecken lassen, daß sein Gegenstand,
weil derselbe dem ganzen menschlichen Wesen entsprossen ist,
auch dessen allseitige Natur an sich trägt. Ist er dadurch ge-
nöthigt und berechtigt, von allen Seiten Hülfe in Anspruch zu
nehmen, so ist er darum auch verpflichtet, sie nach allen Seiten
hin zu leisten.
Es wäre nun also der Punkt der geistigen Entwickelung
zu suchen, wo die Sprache hervorbricht. Um diesen zu finden,
müßten wir die ganze Leiter dieser Entwickelung von der un-
tersten Stufe an verfolgen und darauf achten, auf welcher Stufe
die Wirksamkeit und eine Leistung der Sprache sichtbar wird.
Ihr Ursprung müßte zwischen den letzten Punkt, auf welchem
sie noch ruht, und den ersten, auf welchem sich ihr Einfluß
zeigt, in die Mitte fallen. Hierbei hätten wir uns aber davor
zu hüten, die Wirksamkeit der Sprache da schon zu erkennen,
wo sie noch nicht ist; da noch nicht, wo sie schon ist; und da
immer noch, wo sie schon wieder ruht; und auch davor hat man
sich in Acht zu nehmen, daß man ihr Wirkungen zuschreibt,
die sie gar nicht haben kann.
Um dieser Gefahr zu entgehen, ist eine längere psycholo-
gische Entwickelung nothwendig oder mindestens rathsam. Um
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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