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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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umbildend, sich assimilirt und aneignet. Auf Anregung von
außen erzeugt sie ein rein seelisches Gebilde, das bloß ihr an-
gehört und eben den Inhalt der Empfindung ausmacht. Die
Empfindung einer Farbe, eines Tones, der Säure u. s. w. hat
keine Aehnlichkeit mit dem Aeußern, auf dessen Anregung die
Seele diese Empfindungen erzeugt. Im Verhältniß zum Gefühle,
wo die Seele gänzlich unterworfen ist, kann man sagen, daß sie
bei der Empfindung schon frei sei. Im Gefühl ist die Seele le-
diglich, um negirt zu werden -- ein Beispiel, wenn man will,
für die Hegelsche Identität des Seins und Nichtseins --; denn
im überwältigenden Gefühle erweist sich das Sein der Seele, in-
dem sie sich verletzen, unterjochen läßt, also in negativer Weise:
in der Sinneswahrnehmung erweist sich die Seele positiv, schö-
pferisch, aus Fremdem und Eigenem eine eigenthümliche, ihr
gehörende Einheit gestaltend. Hier ist der Anfang der Frei-
heit, der Anfang zur Handlung.

Weil nun also, drittens, die Seele in der Empfindung selb-
ständig auftritt, etwas ihr Eigenthümliches schafft, also ohne
vom Aeußern unterjocht zu werden, vielmehr das Aeußere sich
aneignet: so lernt sie auch bald sich vom Aeußern scheiden,
sich ihm entgegenstellen; sie beginnt, sich zum Selbst zu bil-
den, welchem sie die Außenwelt gegenüberstellt. Dies ist
das Wesen der Erkenntniß, die Scheidung von Subject und
Object. So schwach auch zunächst diese Scheidung und Ent-
gegensetzung ist: der Keim ist gegeben, der sich unaufhaltsam
fortentwickelt, wenn er die gehörigen Nahrungsmittel findet.

Wir haben hier den Unterschied zwischen Gefühl und Em-
pfindung mehr bloß dargestellt in der Weise, wie er sich zeigt,
als angegeben, wie und wodurch er bewirkt ist. Letzteres ist
keine leichte Aufgabe; sie macht den Psychologen viel zu schaf-
fen. Wir aber, glaube ich, können hier davon absehen. Wir
wollen nur ein paar wesentliche Punkte hervorheben, in denen
wir ein Prototyp für alle Entwickelung zu erkennen meinen;
hierbei haben wir auf einige physiologische Einrichtungen hin-
zuweisen, welche die Empfindungserkenntnisse ermöglichen. Wir
sehen die Empfindung als eine Entwickelung des Gefühls an,
die aber deutlich einen physiologischen Boden hat.

Das Gefühl -- wir reden natürlich hier nur vom sinnlichen
Gefühl -- ist nichts als überhaupt ein bewußt gewordener Ein-
druck des Aeußern auf die Seele. Hierbei tritt nicht bloß die

umbildend, sich assimilirt und aneignet. Auf Anregung von
außen erzeugt sie ein rein seelisches Gebilde, das bloß ihr an-
gehört und eben den Inhalt der Empfindung ausmacht. Die
Empfindung einer Farbe, eines Tones, der Säure u. s. w. hat
keine Aehnlichkeit mit dem Aeußern, auf dessen Anregung die
Seele diese Empfindungen erzeugt. Im Verhältniß zum Gefühle,
wo die Seele gänzlich unterworfen ist, kann man sagen, daß sie
bei der Empfindung schon frei sei. Im Gefühl ist die Seele le-
diglich, um negirt zu werden — ein Beispiel, wenn man will,
für die Hegelsche Identität des Seins und Nichtseins —; denn
im überwältigenden Gefühle erweist sich das Sein der Seele, in-
dem sie sich verletzen, unterjochen läßt, also in negativer Weise:
in der Sinneswahrnehmung erweist sich die Seele positiv, schö-
pferisch, aus Fremdem und Eigenem eine eigenthümliche, ihr
gehörende Einheit gestaltend. Hier ist der Anfang der Frei-
heit, der Anfang zur Handlung.

Weil nun also, drittens, die Seele in der Empfindung selb-
ständig auftritt, etwas ihr Eigenthümliches schafft, also ohne
vom Aeußern unterjocht zu werden, vielmehr das Aeußere sich
aneignet: so lernt sie auch bald sich vom Aeußern scheiden,
sich ihm entgegenstellen; sie beginnt, sich zum Selbst zu bil-
den, welchem sie die Außenwelt gegenüberstellt. Dies ist
das Wesen der Erkenntniß, die Scheidung von Subject und
Object. So schwach auch zunächst diese Scheidung und Ent-
gegensetzung ist: der Keim ist gegeben, der sich unaufhaltsam
fortentwickelt, wenn er die gehörigen Nahrungsmittel findet.

Wir haben hier den Unterschied zwischen Gefühl und Em-
pfindung mehr bloß dargestellt in der Weise, wie er sich zeigt,
als angegeben, wie und wodurch er bewirkt ist. Letzteres ist
keine leichte Aufgabe; sie macht den Psychologen viel zu schaf-
fen. Wir aber, glaube ich, können hier davon absehen. Wir
wollen nur ein paar wesentliche Punkte hervorheben, in denen
wir ein Prototyp für alle Entwickelung zu erkennen meinen;
hierbei haben wir auf einige physiologische Einrichtungen hin-
zuweisen, welche die Empfindungserkenntnisse ermöglichen. Wir
sehen die Empfindung als eine Entwickelung des Gefühls an,
die aber deutlich einen physiologischen Boden hat.

Das Gefühl — wir reden natürlich hier nur vom sinnlichen
Gefühl — ist nichts als überhaupt ein bewußt gewordener Ein-
druck des Aeußern auf die Seele. Hierbei tritt nicht bloß die

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[239/0277] umbildend, sich assimilirt und aneignet. Auf Anregung von außen erzeugt sie ein rein seelisches Gebilde, das bloß ihr an- gehört und eben den Inhalt der Empfindung ausmacht. Die Empfindung einer Farbe, eines Tones, der Säure u. s. w. hat keine Aehnlichkeit mit dem Aeußern, auf dessen Anregung die Seele diese Empfindungen erzeugt. Im Verhältniß zum Gefühle, wo die Seele gänzlich unterworfen ist, kann man sagen, daß sie bei der Empfindung schon frei sei. Im Gefühl ist die Seele le- diglich, um negirt zu werden — ein Beispiel, wenn man will, für die Hegelsche Identität des Seins und Nichtseins —; denn im überwältigenden Gefühle erweist sich das Sein der Seele, in- dem sie sich verletzen, unterjochen läßt, also in negativer Weise: in der Sinneswahrnehmung erweist sich die Seele positiv, schö- pferisch, aus Fremdem und Eigenem eine eigenthümliche, ihr gehörende Einheit gestaltend. Hier ist der Anfang der Frei- heit, der Anfang zur Handlung. Weil nun also, drittens, die Seele in der Empfindung selb- ständig auftritt, etwas ihr Eigenthümliches schafft, also ohne vom Aeußern unterjocht zu werden, vielmehr das Aeußere sich aneignet: so lernt sie auch bald sich vom Aeußern scheiden, sich ihm entgegenstellen; sie beginnt, sich zum Selbst zu bil- den, welchem sie die Außenwelt gegenüberstellt. Dies ist das Wesen der Erkenntniß, die Scheidung von Subject und Object. So schwach auch zunächst diese Scheidung und Ent- gegensetzung ist: der Keim ist gegeben, der sich unaufhaltsam fortentwickelt, wenn er die gehörigen Nahrungsmittel findet. Wir haben hier den Unterschied zwischen Gefühl und Em- pfindung mehr bloß dargestellt in der Weise, wie er sich zeigt, als angegeben, wie und wodurch er bewirkt ist. Letzteres ist keine leichte Aufgabe; sie macht den Psychologen viel zu schaf- fen. Wir aber, glaube ich, können hier davon absehen. Wir wollen nur ein paar wesentliche Punkte hervorheben, in denen wir ein Prototyp für alle Entwickelung zu erkennen meinen; hierbei haben wir auf einige physiologische Einrichtungen hin- zuweisen, welche die Empfindungserkenntnisse ermöglichen. Wir sehen die Empfindung als eine Entwickelung des Gefühls an, die aber deutlich einen physiologischen Boden hat. Das Gefühl — wir reden natürlich hier nur vom sinnlichen Gefühl — ist nichts als überhaupt ein bewußt gewordener Ein- druck des Aeußern auf die Seele. Hierbei tritt nicht bloß die

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/277>, abgerufen am 21.11.2024.