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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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men, um so leichter werden letztere bei dem Anlaß der erstern
mehr durch Vorstellung, als durch Willen bestimmt oder dem
Einflusse des Willens entzogen ... Die Verkettung der Vorstel-
lungen und Bewegungen scheint darauf hinzudeuten, daß bei
jeder Vorstellung eine Bewegungstendenz im oder nach dem Ap-
parate ihrer Darstellung durch Bewegung entsteht, eine Tendenz
zu Bewegungen, die durch Uebung und Gewöhnung einen sol-
chen Grad der Leichtigkeit erhält, daß die in gewöhnlichen
Fällen bloße Disposition jedesmal in Action tritt." In den zu-
letzt angeführten Fällen ist jedoch das Verhältniß noch ein an-
deres, als beim Gähnen und Nachahmen des Fechtens; denn
man ahmt nicht die gesehene Bewegung vor dem Auge nach,
eben so wenig wie das Fallen eines Dinges; sondern man thut
etwas ganz anderes, was an sich mit dem Anblick jener Bewe-
gung nicht im Zusammenhange steht. Offenbar schiebt sich
hier zwischen den Anblick und die danach ausgeführte Bewe-
gung ein Gedanke ein, nämlich der Gedanke des Unheils, wenn
die gesehene Bewegung uns träfe, und dann noch ein neuer Ge-
danke, nämlich an das Mittel, das vor der drohenden Gefahr
schützen könnte. Wir sehen also hier eine Vergesellschaftung
dreier Vorstellungen, deren letzte zur Bewegung wird. Die Be-
wegung schließt sich nicht unmittelbar an eine Wahrnehmung,
sondern erst vermittelst einer Reihe von Gedanken, die aber
durchaus unentwickelt bleibt und gar nicht in das Bewußtsein
tritt. Eben so sahen wir oben eine Bewegung sich verbinden
mit einer Wahrnehmung vermittelst des Gefühls. Denn die Vor-
stellung eines ekelhaften Gegenstandes erregt zunächst das Ge-
fühl des Ekels und dann die Bewegung des Erbrechens.

Was lehrt uns denn nun alles dies? die Entstehung der
Sprache? Keineswegs. Die Verknüpfung einer Vorstellung mit
einem articulirten Lautgebilde, also mit einer vielfach zusammen-
gesetzten Bewegung der Lautorgane, ist durch die dargestellte
Verknüpfung der Vorstellung einer Bewegung mit dem Streben,
diese Bewegung auszuführen, keineswegs gleichartig. Die Vor-
stellung schlagen mag auf die Nerven wirken, welche den Arm
heben, die Faust ballen; aber wirkt sie auf die Sprachorgane
zur Hervorbringung des Lautes schlagen? Das sind noch zwei
sehr verschiedene Wirkungen.

Wir haben indeß doch etwas kennen gelernt: nämlich die
Verbindung des Gefühls, der Empfindung, der theoretischen See-

men, um so leichter werden letztere bei dem Anlaß der erstern
mehr durch Vorstellung, als durch Willen bestimmt oder dem
Einflusse des Willens entzogen … Die Verkettung der Vorstel-
lungen und Bewegungen scheint darauf hinzudeuten, daß bei
jeder Vorstellung eine Bewegungstendenz im oder nach dem Ap-
parate ihrer Darstellung durch Bewegung entsteht, eine Tendenz
zu Bewegungen, die durch Uebung und Gewöhnung einen sol-
chen Grad der Leichtigkeit erhält, daß die in gewöhnlichen
Fällen bloße Disposition jedesmal in Action tritt.“ In den zu-
letzt angeführten Fällen ist jedoch das Verhältniß noch ein an-
deres, als beim Gähnen und Nachahmen des Fechtens; denn
man ahmt nicht die gesehene Bewegung vor dem Auge nach,
eben so wenig wie das Fallen eines Dinges; sondern man thut
etwas ganz anderes, was an sich mit dem Anblick jener Bewe-
gung nicht im Zusammenhange steht. Offenbar schiebt sich
hier zwischen den Anblick und die danach ausgeführte Bewe-
gung ein Gedanke ein, nämlich der Gedanke des Unheils, wenn
die gesehene Bewegung uns träfe, und dann noch ein neuer Ge-
danke, nämlich an das Mittel, das vor der drohenden Gefahr
schützen könnte. Wir sehen also hier eine Vergesellschaftung
dreier Vorstellungen, deren letzte zur Bewegung wird. Die Be-
wegung schließt sich nicht unmittelbar an eine Wahrnehmung,
sondern erst vermittelst einer Reihe von Gedanken, die aber
durchaus unentwickelt bleibt und gar nicht in das Bewußtsein
tritt. Eben so sahen wir oben eine Bewegung sich verbinden
mit einer Wahrnehmung vermittelst des Gefühls. Denn die Vor-
stellung eines ekelhaften Gegenstandes erregt zunächst das Ge-
fühl des Ekels und dann die Bewegung des Erbrechens.

Was lehrt uns denn nun alles dies? die Entstehung der
Sprache? Keineswegs. Die Verknüpfung einer Vorstellung mit
einem articulirten Lautgebilde, also mit einer vielfach zusammen-
gesetzten Bewegung der Lautorgane, ist durch die dargestellte
Verknüpfung der Vorstellung einer Bewegung mit dem Streben,
diese Bewegung auszuführen, keineswegs gleichartig. Die Vor-
stellung schlagen mag auf die Nerven wirken, welche den Arm
heben, die Faust ballen; aber wirkt sie auf die Sprachorgane
zur Hervorbringung des Lautes schlagen? Das sind noch zwei
sehr verschiedene Wirkungen.

Wir haben indeß doch etwas kennen gelernt: nämlich die
Verbindung des Gefühls, der Empfindung, der theoretischen See-

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[251/0289] men, um so leichter werden letztere bei dem Anlaß der erstern mehr durch Vorstellung, als durch Willen bestimmt oder dem Einflusse des Willens entzogen … Die Verkettung der Vorstel- lungen und Bewegungen scheint darauf hinzudeuten, daß bei jeder Vorstellung eine Bewegungstendenz im oder nach dem Ap- parate ihrer Darstellung durch Bewegung entsteht, eine Tendenz zu Bewegungen, die durch Uebung und Gewöhnung einen sol- chen Grad der Leichtigkeit erhält, daß die in gewöhnlichen Fällen bloße Disposition jedesmal in Action tritt.“ In den zu- letzt angeführten Fällen ist jedoch das Verhältniß noch ein an- deres, als beim Gähnen und Nachahmen des Fechtens; denn man ahmt nicht die gesehene Bewegung vor dem Auge nach, eben so wenig wie das Fallen eines Dinges; sondern man thut etwas ganz anderes, was an sich mit dem Anblick jener Bewe- gung nicht im Zusammenhange steht. Offenbar schiebt sich hier zwischen den Anblick und die danach ausgeführte Bewe- gung ein Gedanke ein, nämlich der Gedanke des Unheils, wenn die gesehene Bewegung uns träfe, und dann noch ein neuer Ge- danke, nämlich an das Mittel, das vor der drohenden Gefahr schützen könnte. Wir sehen also hier eine Vergesellschaftung dreier Vorstellungen, deren letzte zur Bewegung wird. Die Be- wegung schließt sich nicht unmittelbar an eine Wahrnehmung, sondern erst vermittelst einer Reihe von Gedanken, die aber durchaus unentwickelt bleibt und gar nicht in das Bewußtsein tritt. Eben so sahen wir oben eine Bewegung sich verbinden mit einer Wahrnehmung vermittelst des Gefühls. Denn die Vor- stellung eines ekelhaften Gegenstandes erregt zunächst das Ge- fühl des Ekels und dann die Bewegung des Erbrechens. Was lehrt uns denn nun alles dies? die Entstehung der Sprache? Keineswegs. Die Verknüpfung einer Vorstellung mit einem articulirten Lautgebilde, also mit einer vielfach zusammen- gesetzten Bewegung der Lautorgane, ist durch die dargestellte Verknüpfung der Vorstellung einer Bewegung mit dem Streben, diese Bewegung auszuführen, keineswegs gleichartig. Die Vor- stellung schlagen mag auf die Nerven wirken, welche den Arm heben, die Faust ballen; aber wirkt sie auf die Sprachorgane zur Hervorbringung des Lautes schlagen? Das sind noch zwei sehr verschiedene Wirkungen. Wir haben indeß doch etwas kennen gelernt: nämlich die Verbindung des Gefühls, der Empfindung, der theoretischen See-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/289>, abgerufen am 21.11.2024.