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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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ungen bilden aber die Grundlage aller Seelenerkenntniß. Diese
Grundlage muß beim Menschen, durch die freiere Beweglich-
keit des ganzen Körpers, durch die größere Feinheit des Ge-
fühlssinnes über der ganzen Oberhaut und endlich durch die
Hand, viel breiter, viel feiner durchgearbeitet, viel inhaltsreicher
und bestimmter sein. Auch ist der Mensch vermöge des Ar-
mes mit der Hand der einzige Arbeiter auf Erden; und wie
fördert die Arbeit die Erkenntniß! Arbeiten ist ein wahres Ex-
perimentiren.

Das Thier ist stärker als der Mensch. Aber was diesem
an Größe der Kraft abgeht, das ersetzt er reichlich, das über-
bietet er vielfach durch die Qualität, durch die innere Vortreff-
lichkeit. Das Thier hat einen schärfern Geruch, d. h. es riecht,
wo der Mensch nichts empfindet; aber für die verschiedenen
Arten von Wohlgerüchen scheint es weniger empfänglich. Doch
hierin könnte man einen reinen Luxus des Menschen sehen, der
vielleicht auch nicht dem Urzustande angehört. Das Thier
scheint aber nicht bloß zu riechen, wo der Mensch nichts em-
pfindet, sondern auch durch den Geruch unterscheidende Er-
kenntnisse zu erlangen, die dem Menschen abgehen. Hier möchte
ich einen unverkennbaren Vortheil des Thieres willig anerken-
nen. Auch ist beim Hunde z. B. das Riechorgan und der un-
mittelbar zu diesem Organ gehörende Theil des Gehirns auffal-
lend mehr entwickelt, innerlich reicher, sorgfältiger organisirt,
als beim Menschen. Die Absicht der Natur ist nicht unklar.
Zum Aufsuchen der Nahrung und zum Ersatz mancher andern,
dem Thiere für seine Selbsterhaltung nothwendigen Erkennt-
nisse unterstützte die Natur den Instinct durch einen nicht bloß
scharfen, sondern auch fein unterscheidenden Geruch. -- Ge-
schmack dagegen kann das Thier nur sehr wenig haben, wie
aus der Einfachheit seiner Nahrungsmittel hervorgeht. Und
sind wir wohl sicher, daß es überhaupt einen Geschmackssinn
habe? Der Geruch scheint ihm denselben völlig zu ersetzen. --
Die drei wichtigsten, eigentlich theoretischen, Erkenntniß ver-
schaffenden Sinne sind: Gesicht, Gehör und Getast. Von letz-
term war schon die Rede: das Thier hat ihn im schwächsten,
der Mensch im höchsten Grade. Dagegen scheint das Thier
rücksichtlich der beiden andern, wie beim Geruch, im Vortheil:
es sieht besser und hört besser. Hier aber tritt nun unsere
obige Unterscheidung ein von Qualität und Quantität der Kraft.

ungen bilden aber die Grundlage aller Seelenerkenntniß. Diese
Grundlage muß beim Menschen, durch die freiere Beweglich-
keit des ganzen Körpers, durch die größere Feinheit des Ge-
fühlssinnes über der ganzen Oberhaut und endlich durch die
Hand, viel breiter, viel feiner durchgearbeitet, viel inhaltsreicher
und bestimmter sein. Auch ist der Mensch vermöge des Ar-
mes mit der Hand der einzige Arbeiter auf Erden; und wie
fördert die Arbeit die Erkenntniß! Arbeiten ist ein wahres Ex-
perimentiren.

Das Thier ist stärker als der Mensch. Aber was diesem
an Größe der Kraft abgeht, das ersetzt er reichlich, das über-
bietet er vielfach durch die Qualität, durch die innere Vortreff-
lichkeit. Das Thier hat einen schärfern Geruch, d. h. es riecht,
wo der Mensch nichts empfindet; aber für die verschiedenen
Arten von Wohlgerüchen scheint es weniger empfänglich. Doch
hierin könnte man einen reinen Luxus des Menschen sehen, der
vielleicht auch nicht dem Urzustande angehört. Das Thier
scheint aber nicht bloß zu riechen, wo der Mensch nichts em-
pfindet, sondern auch durch den Geruch unterscheidende Er-
kenntnisse zu erlangen, die dem Menschen abgehen. Hier möchte
ich einen unverkennbaren Vortheil des Thieres willig anerken-
nen. Auch ist beim Hunde z. B. das Riechorgan und der un-
mittelbar zu diesem Organ gehörende Theil des Gehirns auffal-
lend mehr entwickelt, innerlich reicher, sorgfältiger organisirt,
als beim Menschen. Die Absicht der Natur ist nicht unklar.
Zum Aufsuchen der Nahrung und zum Ersatz mancher andern,
dem Thiere für seine Selbsterhaltung nothwendigen Erkennt-
nisse unterstützte die Natur den Instinct durch einen nicht bloß
scharfen, sondern auch fein unterscheidenden Geruch. — Ge-
schmack dagegen kann das Thier nur sehr wenig haben, wie
aus der Einfachheit seiner Nahrungsmittel hervorgeht. Und
sind wir wohl sicher, daß es überhaupt einen Geschmackssinn
habe? Der Geruch scheint ihm denselben völlig zu ersetzen. —
Die drei wichtigsten, eigentlich theoretischen, Erkenntniß ver-
schaffenden Sinne sind: Gesicht, Gehör und Getast. Von letz-
term war schon die Rede: das Thier hat ihn im schwächsten,
der Mensch im höchsten Grade. Dagegen scheint das Thier
rücksichtlich der beiden andern, wie beim Geruch, im Vortheil:
es sieht besser und hört besser. Hier aber tritt nun unsere
obige Unterscheidung ein von Qualität und Quantität der Kraft.

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[282/0320] ungen bilden aber die Grundlage aller Seelenerkenntniß. Diese Grundlage muß beim Menschen, durch die freiere Beweglich- keit des ganzen Körpers, durch die größere Feinheit des Ge- fühlssinnes über der ganzen Oberhaut und endlich durch die Hand, viel breiter, viel feiner durchgearbeitet, viel inhaltsreicher und bestimmter sein. Auch ist der Mensch vermöge des Ar- mes mit der Hand der einzige Arbeiter auf Erden; und wie fördert die Arbeit die Erkenntniß! Arbeiten ist ein wahres Ex- perimentiren. Das Thier ist stärker als der Mensch. Aber was diesem an Größe der Kraft abgeht, das ersetzt er reichlich, das über- bietet er vielfach durch die Qualität, durch die innere Vortreff- lichkeit. Das Thier hat einen schärfern Geruch, d. h. es riecht, wo der Mensch nichts empfindet; aber für die verschiedenen Arten von Wohlgerüchen scheint es weniger empfänglich. Doch hierin könnte man einen reinen Luxus des Menschen sehen, der vielleicht auch nicht dem Urzustande angehört. Das Thier scheint aber nicht bloß zu riechen, wo der Mensch nichts em- pfindet, sondern auch durch den Geruch unterscheidende Er- kenntnisse zu erlangen, die dem Menschen abgehen. Hier möchte ich einen unverkennbaren Vortheil des Thieres willig anerken- nen. Auch ist beim Hunde z. B. das Riechorgan und der un- mittelbar zu diesem Organ gehörende Theil des Gehirns auffal- lend mehr entwickelt, innerlich reicher, sorgfältiger organisirt, als beim Menschen. Die Absicht der Natur ist nicht unklar. Zum Aufsuchen der Nahrung und zum Ersatz mancher andern, dem Thiere für seine Selbsterhaltung nothwendigen Erkennt- nisse unterstützte die Natur den Instinct durch einen nicht bloß scharfen, sondern auch fein unterscheidenden Geruch. — Ge- schmack dagegen kann das Thier nur sehr wenig haben, wie aus der Einfachheit seiner Nahrungsmittel hervorgeht. Und sind wir wohl sicher, daß es überhaupt einen Geschmackssinn habe? Der Geruch scheint ihm denselben völlig zu ersetzen. — Die drei wichtigsten, eigentlich theoretischen, Erkenntniß ver- schaffenden Sinne sind: Gesicht, Gehör und Getast. Von letz- term war schon die Rede: das Thier hat ihn im schwächsten, der Mensch im höchsten Grade. Dagegen scheint das Thier rücksichtlich der beiden andern, wie beim Geruch, im Vortheil: es sieht besser und hört besser. Hier aber tritt nun unsere obige Unterscheidung ein von Qualität und Quantität der Kraft.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/320>, abgerufen am 21.11.2024.