Der menschliche Leib ist so schwach und hülßbedürftig, er hat an seinen Sinnen so ungenügende Warner, Rathertheiler und Ver- sorger, ist durch seine Glieder so wenig geschützt und versorgt, er hat so vielerlei Bedürfnisse, daß er in viel höherm Grade als das Thier zur Erhaltung des Lebens die Thätigkeit der Seele in Anspruch nimmt. Das Thier erhält über das, was es zu sei- ner Erhaltung zu thun habe, genügende Belehrung durch den Instinct, dem die Sinne noch helfen. Der Mensch hat von die- sem Instincte wenig oder nichts. So könnte es scheinen, als würde sich die menschliche Seele nie erheben können über diese Dienstbarkeit gegen den Leib, zu welcher sie verdammt sei; als müsse sie den Ueberschuß an Kraft und Fähigheit, den sie vor dem Thiere voraus hat, gänzlich darauf verwenden, den Mangel an Instinct zu ersetzen. Doch dem ist nicht so. Gerade der thierische Instinct ist die im Dienste des Leibes stehende Seele; die für den Körper Sorge tragende menschliche Seele sorgt für jenen, wie ein Herr für seinen Knecht, dem er gute Nahrung, Kleidung, Befriedigung aller Bedürfnisse verschafft, bloß damit derselbe um so besser für ihn arbeite. Nicht anders sorgt die menschliche Seele für ihren Leib. Darum eben hat und sucht die Seele bei der Versorgung des Leibes zugleich noch ihre ei- gene Befriedigung. Sie schafft nicht nur dem Leibe Speise, sondern sucht dabei zugleich für sich den Wohlgeschmack; sie verfertigt nicht nur Kleidung und Bewaffnung zum Schutze gegen die Elemente und Feinde, sondern sie befriedigt dabei zugleich ihr Wohlgefallen an Farbenpracht und Putz. Die Seele spielt mit Nahrung und Kleidung; so erhebt sie sich über das Bedürfniß, das Nothwendige, und tritt in den Kreis des Freien.
Das Bedürfniß der Natur wird nun zwar immer und ewig mit gleichem Lustgefühl befriedigt; aber nicht so das Bedürfniß des Spiels. Es thut immer wohl, Hunger und Durst zu stillen, Kleidung und Wohnung dem Wetter gemäß zu haben; aber das Spiel wird einer Sache bald satt; es verlangt Abwechs- lung, es erträgt das Gewohnte nicht. So wird also die Seele zunächst durch das Bedürfniß des Leibes, sodann zur Befriedi- gung des Spieltriebes in Anregung, in Thätigkeit versetzt; sie muß suchen, und zwar mehr, als sie brauchte. Und jeder Fund steigert die Lust am Suchen, und diese Lust wird nicht eher befriedigt, als bis sie einen neuen höhern Fund erlangt
Der menschliche Leib ist so schwach und hülßbedürftig, er hat an seinen Sinnen so ungenügende Warner, Rathertheiler und Ver- sorger, ist durch seine Glieder so wenig geschützt und versorgt, er hat so vielerlei Bedürfnisse, daß er in viel höherm Grade als das Thier zur Erhaltung des Lebens die Thätigkeit der Seele in Anspruch nimmt. Das Thier erhält über das, was es zu sei- ner Erhaltung zu thun habe, genügende Belehrung durch den Instinct, dem die Sinne noch helfen. Der Mensch hat von die- sem Instincte wenig oder nichts. So könnte es scheinen, als würde sich die menschliche Seele nie erheben können über diese Dienstbarkeit gegen den Leib, zu welcher sie verdammt sei; als müsse sie den Ueberschuß an Kraft und Fähigheit, den sie vor dem Thiere voraus hat, gänzlich darauf verwenden, den Mangel an Instinct zu ersetzen. Doch dem ist nicht so. Gerade der thierische Instinct ist die im Dienste des Leibes stehende Seele; die für den Körper Sorge tragende menschliche Seele sorgt für jenen, wie ein Herr für seinen Knecht, dem er gute Nahrung, Kleidung, Befriedigung aller Bedürfnisse verschafft, bloß damit derselbe um so besser für ihn arbeite. Nicht anders sorgt die menschliche Seele für ihren Leib. Darum eben hat und sucht die Seele bei der Versorgung des Leibes zugleich noch ihre ei- gene Befriedigung. Sie schafft nicht nur dem Leibe Speise, sondern sucht dabei zugleich für sich den Wohlgeschmack; sie verfertigt nicht nur Kleidung und Bewaffnung zum Schutze gegen die Elemente und Feinde, sondern sie befriedigt dabei zugleich ihr Wohlgefallen an Farbenpracht und Putz. Die Seele spielt mit Nahrung und Kleidung; so erhebt sie sich über das Bedürfniß, das Nothwendige, und tritt in den Kreis des Freien.
Das Bedürfniß der Natur wird nun zwar immer und ewig mit gleichem Lustgefühl befriedigt; aber nicht so das Bedürfniß des Spiels. Es thut immer wohl, Hunger und Durst zu stillen, Kleidung und Wohnung dem Wetter gemäß zu haben; aber das Spiel wird einer Sache bald satt; es verlangt Abwechs- lung, es erträgt das Gewohnte nicht. So wird also die Seele zunächst durch das Bedürfniß des Leibes, sodann zur Befriedi- gung des Spieltriebes in Anregung, in Thätigkeit versetzt; sie muß suchen, und zwar mehr, als sie brauchte. Und jeder Fund steigert die Lust am Suchen, und diese Lust wird nicht eher befriedigt, als bis sie einen neuen höhern Fund erlangt
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Der menschliche Leib ist so schwach und hülßbedürftig, er hat
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er hat so vielerlei Bedürfnisse, daß er in viel höherm Grade
als das Thier zur Erhaltung des Lebens die Thätigkeit der Seele
in Anspruch nimmt. Das Thier erhält über das, was es zu sei-
ner Erhaltung zu thun habe, genügende Belehrung durch den
Instinct, dem die Sinne noch helfen. Der Mensch hat von die-
sem Instincte wenig oder nichts. So könnte es scheinen, als
würde sich die menschliche Seele nie erheben können über diese
Dienstbarkeit gegen den Leib, zu welcher sie verdammt sei; als
müsse sie den Ueberschuß an Kraft und Fähigheit, den sie vor
dem Thiere voraus hat, gänzlich darauf verwenden, den Mangel
an Instinct zu ersetzen. Doch dem ist nicht so. Gerade der
thierische Instinct ist die im Dienste des Leibes stehende Seele;
die für den Körper Sorge tragende menschliche Seele sorgt für
jenen, wie ein Herr für seinen Knecht, dem er gute Nahrung,
Kleidung, Befriedigung aller Bedürfnisse verschafft, bloß damit
derselbe um so besser für ihn arbeite. Nicht anders sorgt die
menschliche Seele für ihren Leib. Darum eben hat und sucht
die Seele bei der Versorgung des Leibes zugleich noch ihre ei-
gene Befriedigung. Sie schafft nicht nur dem Leibe Speise,
sondern sucht dabei zugleich für sich den Wohlgeschmack; sie
verfertigt nicht nur Kleidung und Bewaffnung zum Schutze
gegen die Elemente und Feinde, sondern sie befriedigt dabei
zugleich ihr Wohlgefallen an Farbenpracht und Putz. Die
Seele spielt mit Nahrung und Kleidung; so erhebt sie sich über
das Bedürfniß, das Nothwendige, und tritt in den Kreis des
Freien.
Das Bedürfniß der Natur wird nun zwar immer und ewig
mit gleichem Lustgefühl befriedigt; aber nicht so das Bedürfniß
des Spiels. Es thut immer wohl, Hunger und Durst zu stillen,
Kleidung und Wohnung dem Wetter gemäß zu haben; aber
das Spiel wird einer Sache bald satt; es verlangt Abwechs-
lung, es erträgt das Gewohnte nicht. So wird also die Seele
zunächst durch das Bedürfniß des Leibes, sodann zur Befriedi-
gung des Spieltriebes in Anregung, in Thätigkeit versetzt; sie
muß suchen, und zwar mehr, als sie brauchte. Und jeder
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/325>, abgerufen am 21.11.2024.
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