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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Gespräch, die Unterredung gewährt dieses Vergnügen, daß An-
schauungen in die Erinnerung, Gedanken in das Bewußtsein ge-
rufen werden. Und wie die Trägheit des eigenen Vorstellungs-
verlaufes, die Leerheit des eigenen Bewußtseins die Gesellschaft
aufsuchen läßt: so drängt auch die Fülle des Herzens und Gei-
stes, die Lebendigkeit des Wechsels der Vorstellungen zur Aeu-
ßerung, und jede Aeußerung will Mittheilung sein; also wird
man zur Gesellschaft getrieben.

So finden sich gleichgestimmte Seelen; es bildet sich Freund-
schaft, Gemeinsamkeit der Interessen, Wetteifer, und was sonst
noch Tugenden hervorruft und die Entwickelung des Geistes
fördert.

Wir haben hier einen bloß gedachten vorsprachlichen Ur-
zustand des Menschen construirt, gewissermaßen eine künstliche
Fiction, deren Wirklichkeit in der Zeit uns gar nicht kümmert.
Wir haben diesen rein theoretisch construirten Zustand der Men-
schenseele mit der thierischen verglichen, und für erstere überall
und in allen Beziehungen einen Ueberschuß an Kraft gefunden.
Diesen Ueberschuß lassen wir nun die menschliche Seele auf
die Bildung der Sprache verwenden. Darauf kam es uns ja
an, zu zeigen, warum zwar aus der menschlichen Seele, aus
ihrer Wahrnehmung, Sprache entspringe, nicht aber aus der
thierischen. Nach unserer obigen Vergleichung wird man nicht
mehr darüber verwundert sein, daß die thierische Seele da mit
ihrer Bildung aufhört, wo die menschliche Seele erst anfängt,
in der Schöpfung der Sprache ihre eigenthümliche Natur zu ent-
wickeln. Bei unserer ganzen obigen Darstellung der Thier- und
Menschenseele mußten wir von der Sprache absehen, deren Mög-
lichkeit ja erst erwiesen werden sollte. Woher die Kraft stamme,
vermittelst welcher die Seele Sprache bildet, das sollte erst ge-
zeigt werden, diese Kraft zur Schöpfung der Sprache kann na-
türlich nicht aus der Sprache stammen. Darum haben wir einen
Zustand des Menschen, wie er vor der Sprache ist, fingirt. Das
ist freilich nur eine Fiction; denn die Sprache ist dem mensch-
lichen Wesen so nothwendig und natürlich, daß ohne sie der
Mensch weder wirklich existirt, noch als wirklich existirend ge-
dacht werden kann. Der Mensch hat entweder Sprache, oder
er ist gar nicht. Andererseits aber -- und dies rechtfertigt die
obige Fiction -- darf doch die Sprache nicht als zum Sein der
menschlichen Seele selbst gehörig angesehen werden; sie ist viel-

Gespräch, die Unterredung gewährt dieses Vergnügen, daß An-
schauungen in die Erinnerung, Gedanken in das Bewußtsein ge-
rufen werden. Und wie die Trägheit des eigenen Vorstellungs-
verlaufes, die Leerheit des eigenen Bewußtseins die Gesellschaft
aufsuchen läßt: so drängt auch die Fülle des Herzens und Gei-
stes, die Lebendigkeit des Wechsels der Vorstellungen zur Aeu-
ßerung, und jede Aeußerung will Mittheilung sein; also wird
man zur Gesellschaft getrieben.

So finden sich gleichgestimmte Seelen; es bildet sich Freund-
schaft, Gemeinsamkeit der Interessen, Wetteifer, und was sonst
noch Tugenden hervorruft und die Entwickelung des Geistes
fördert.

Wir haben hier einen bloß gedachten vorsprachlichen Ur-
zustand des Menschen construirt, gewissermaßen eine künstliche
Fiction, deren Wirklichkeit in der Zeit uns gar nicht kümmert.
Wir haben diesen rein theoretisch construirten Zustand der Men-
schenseele mit der thierischen verglichen, und für erstere überall
und in allen Beziehungen einen Ueberschuß an Kraft gefunden.
Diesen Ueberschuß lassen wir nun die menschliche Seele auf
die Bildung der Sprache verwenden. Darauf kam es uns ja
an, zu zeigen, warum zwar aus der menschlichen Seele, aus
ihrer Wahrnehmung, Sprache entspringe, nicht aber aus der
thierischen. Nach unserer obigen Vergleichung wird man nicht
mehr darüber verwundert sein, daß die thierische Seele da mit
ihrer Bildung aufhört, wo die menschliche Seele erst anfängt,
in der Schöpfung der Sprache ihre eigenthümliche Natur zu ent-
wickeln. Bei unserer ganzen obigen Darstellung der Thier- und
Menschenseele mußten wir von der Sprache absehen, deren Mög-
lichkeit ja erst erwiesen werden sollte. Woher die Kraft stamme,
vermittelst welcher die Seele Sprache bildet, das sollte erst ge-
zeigt werden, diese Kraft zur Schöpfung der Sprache kann na-
türlich nicht aus der Sprache stammen. Darum haben wir einen
Zustand des Menschen, wie er vor der Sprache ist, fingirt. Das
ist freilich nur eine Fiction; denn die Sprache ist dem mensch-
lichen Wesen so nothwendig und natürlich, daß ohne sie der
Mensch weder wirklich existirt, noch als wirklich existirend ge-
dacht werden kann. Der Mensch hat entweder Sprache, oder
er ist gar nicht. Andererseits aber — und dies rechtfertigt die
obige Fiction — darf doch die Sprache nicht als zum Sein der
menschlichen Seele selbst gehörig angesehen werden; sie ist viel-

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[290/0328] Gespräch, die Unterredung gewährt dieses Vergnügen, daß An- schauungen in die Erinnerung, Gedanken in das Bewußtsein ge- rufen werden. Und wie die Trägheit des eigenen Vorstellungs- verlaufes, die Leerheit des eigenen Bewußtseins die Gesellschaft aufsuchen läßt: so drängt auch die Fülle des Herzens und Gei- stes, die Lebendigkeit des Wechsels der Vorstellungen zur Aeu- ßerung, und jede Aeußerung will Mittheilung sein; also wird man zur Gesellschaft getrieben. So finden sich gleichgestimmte Seelen; es bildet sich Freund- schaft, Gemeinsamkeit der Interessen, Wetteifer, und was sonst noch Tugenden hervorruft und die Entwickelung des Geistes fördert. Wir haben hier einen bloß gedachten vorsprachlichen Ur- zustand des Menschen construirt, gewissermaßen eine künstliche Fiction, deren Wirklichkeit in der Zeit uns gar nicht kümmert. Wir haben diesen rein theoretisch construirten Zustand der Men- schenseele mit der thierischen verglichen, und für erstere überall und in allen Beziehungen einen Ueberschuß an Kraft gefunden. Diesen Ueberschuß lassen wir nun die menschliche Seele auf die Bildung der Sprache verwenden. Darauf kam es uns ja an, zu zeigen, warum zwar aus der menschlichen Seele, aus ihrer Wahrnehmung, Sprache entspringe, nicht aber aus der thierischen. Nach unserer obigen Vergleichung wird man nicht mehr darüber verwundert sein, daß die thierische Seele da mit ihrer Bildung aufhört, wo die menschliche Seele erst anfängt, in der Schöpfung der Sprache ihre eigenthümliche Natur zu ent- wickeln. Bei unserer ganzen obigen Darstellung der Thier- und Menschenseele mußten wir von der Sprache absehen, deren Mög- lichkeit ja erst erwiesen werden sollte. Woher die Kraft stamme, vermittelst welcher die Seele Sprache bildet, das sollte erst ge- zeigt werden, diese Kraft zur Schöpfung der Sprache kann na- türlich nicht aus der Sprache stammen. Darum haben wir einen Zustand des Menschen, wie er vor der Sprache ist, fingirt. Das ist freilich nur eine Fiction; denn die Sprache ist dem mensch- lichen Wesen so nothwendig und natürlich, daß ohne sie der Mensch weder wirklich existirt, noch als wirklich existirend ge- dacht werden kann. Der Mensch hat entweder Sprache, oder er ist gar nicht. Andererseits aber — und dies rechtfertigt die obige Fiction — darf doch die Sprache nicht als zum Sein der menschlichen Seele selbst gehörig angesehen werden; sie ist viel-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/328>, abgerufen am 21.11.2024.