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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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im Dienste des Zweckes leisten, wenn man nicht weiß, was sie
für sich, vereinzelt, also gewissermaßen in ihrer Autonomie,
wirken.

Physik und Chemie sind, mit Hinzuziehung der Mathema-
tik, die Wissenschaften, welche die Natur nach ihren causalen
Verhältnissen, ohne Rücksicht auf einen Zweck derselben, be-
trachten. Ein wesentliches Merkmal dieser Wissenschaften, das
aus dieser rein causalen Betrachtungsweise erfolgt, besteht darin,
daß sie die Elemente der Natur in möglichster Einfachheit, die
Kräfte in möglichst vollständiger Vereinzelung, in ihrer reinen,
durch keinen Zusammenstoß mit einander gehemmter oder ab-
gelenkter und umgestalteter Wirkungsweise zu erforschen suchen.
Das ist der unorganische Charakter dieser Wissenschaften, ihre
ungeheure Abstraction oder Analyse, ihr Ab- und Auslösen der
einzelnen Kräfte aus der Verflechtung von Kräften, in welcher
sie von der wirklichen Natur geboten werden. Mit den Ergeb-
nissen der Physik und Chemie geht man sodann an die Wirk-
lichkeit selbst, um, nachdem man die Elemente derselben ana-
lytisch erkannt hat, die wirkliche Synthesis oder die Wirklich-
keit in der Synthesis der Kräfte zu begreifen. Hierbei zeigt
sich nun aber ein ganz auffallender Unterschied, ob man mit
jenen Wissenschaften an den sogenannten Erdorganismus, das
organische Planeten- oder überhaupt Sternsystem tritt, oder aber
an das Reich des eigentlich oder im engeren Sinne so genannten
Lebens in der Pflanzen- und Thierwelt. Astronomie, Geologie,
Meteorologie sind kaum oder wirklich gar nichts anderes als
von der Natur gegebene oder gelöste mechanische Probleme,
physikalische und chemische Experimente, die sich von den Ex-
perimenten und Problemen des Laboratoriums, des Lineals und
Zirkels nur durch ihre großartige erhabene Darstellung unter-
scheiden. Die Resultate jener elementaren unorganischen Wis-
senschaften finden hier ihre unmittelbare Anwendung, offenbaren
unmittelbar ihre erklärende Brauchbarkeit. Denn auf diesen Ge-
bieten der Wirklichkeit herrschen die elementaren Kräfte noch
in ihrer Vereinzelung, noch in reiner Causalität, noch nicht ge-
bändigt durch den Zweck, weil der hier waltende Zweck noch
so gestaltlos ist, daß sie ihm dienen, sogar in ihrem selbststän-
digen Wirken. Die Rücksicht auf den Zweck ist hier eine so
unbestimmte -- eben weil es der Zweck noch selbst ist; und
das Unbestimmte läßt sich auch nur unbestimmt berücksichti-

im Dienste des Zweckes leisten, wenn man nicht weiß, was sie
für sich, vereinzelt, also gewissermaßen in ihrer Autonomie,
wirken.

Physik und Chemie sind, mit Hinzuziehung der Mathema-
tik, die Wissenschaften, welche die Natur nach ihren causalen
Verhältnissen, ohne Rücksicht auf einen Zweck derselben, be-
trachten. Ein wesentliches Merkmal dieser Wissenschaften, das
aus dieser rein causalen Betrachtungsweise erfolgt, besteht darin,
daß sie die Elemente der Natur in möglichster Einfachheit, die
Kräfte in möglichst vollständiger Vereinzelung, in ihrer reinen,
durch keinen Zusammenstoß mit einander gehemmter oder ab-
gelenkter und umgestalteter Wirkungsweise zu erforschen suchen.
Das ist der unorganische Charakter dieser Wissenschaften, ihre
ungeheure Abstraction oder Analyse, ihr Ab- und Auslösen der
einzelnen Kräfte aus der Verflechtung von Kräften, in welcher
sie von der wirklichen Natur geboten werden. Mit den Ergeb-
nissen der Physik und Chemie geht man sodann an die Wirk-
lichkeit selbst, um, nachdem man die Elemente derselben ana-
lytisch erkannt hat, die wirkliche Synthesis oder die Wirklich-
keit in der Synthesis der Kräfte zu begreifen. Hierbei zeigt
sich nun aber ein ganz auffallender Unterschied, ob man mit
jenen Wissenschaften an den sogenannten Erdorganismus, das
organische Planeten- oder überhaupt Sternsystem tritt, oder aber
an das Reich des eigentlich oder im engeren Sinne so genannten
Lebens in der Pflanzen- und Thierwelt. Astronomie, Geologie,
Meteorologie sind kaum oder wirklich gar nichts anderes als
von der Natur gegebene oder gelöste mechanische Probleme,
physikalische und chemische Experimente, die sich von den Ex-
perimenten und Problemen des Laboratoriums, des Lineals und
Zirkels nur durch ihre großartige erhabene Darstellung unter-
scheiden. Die Resultate jener elementaren unorganischen Wis-
senschaften finden hier ihre unmittelbare Anwendung, offenbaren
unmittelbar ihre erklärende Brauchbarkeit. Denn auf diesen Ge-
bieten der Wirklichkeit herrschen die elementaren Kräfte noch
in ihrer Vereinzelung, noch in reiner Causalität, noch nicht ge-
bändigt durch den Zweck, weil der hier waltende Zweck noch
so gestaltlos ist, daß sie ihm dienen, sogar in ihrem selbststän-
digen Wirken. Die Rücksicht auf den Zweck ist hier eine so
unbestimmte — eben weil es der Zweck noch selbst ist; und
das Unbestimmte läßt sich auch nur unbestimmt berücksichti-

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[16/0054] im Dienste des Zweckes leisten, wenn man nicht weiß, was sie für sich, vereinzelt, also gewissermaßen in ihrer Autonomie, wirken. Physik und Chemie sind, mit Hinzuziehung der Mathema- tik, die Wissenschaften, welche die Natur nach ihren causalen Verhältnissen, ohne Rücksicht auf einen Zweck derselben, be- trachten. Ein wesentliches Merkmal dieser Wissenschaften, das aus dieser rein causalen Betrachtungsweise erfolgt, besteht darin, daß sie die Elemente der Natur in möglichster Einfachheit, die Kräfte in möglichst vollständiger Vereinzelung, in ihrer reinen, durch keinen Zusammenstoß mit einander gehemmter oder ab- gelenkter und umgestalteter Wirkungsweise zu erforschen suchen. Das ist der unorganische Charakter dieser Wissenschaften, ihre ungeheure Abstraction oder Analyse, ihr Ab- und Auslösen der einzelnen Kräfte aus der Verflechtung von Kräften, in welcher sie von der wirklichen Natur geboten werden. Mit den Ergeb- nissen der Physik und Chemie geht man sodann an die Wirk- lichkeit selbst, um, nachdem man die Elemente derselben ana- lytisch erkannt hat, die wirkliche Synthesis oder die Wirklich- keit in der Synthesis der Kräfte zu begreifen. Hierbei zeigt sich nun aber ein ganz auffallender Unterschied, ob man mit jenen Wissenschaften an den sogenannten Erdorganismus, das organische Planeten- oder überhaupt Sternsystem tritt, oder aber an das Reich des eigentlich oder im engeren Sinne so genannten Lebens in der Pflanzen- und Thierwelt. Astronomie, Geologie, Meteorologie sind kaum oder wirklich gar nichts anderes als von der Natur gegebene oder gelöste mechanische Probleme, physikalische und chemische Experimente, die sich von den Ex- perimenten und Problemen des Laboratoriums, des Lineals und Zirkels nur durch ihre großartige erhabene Darstellung unter- scheiden. Die Resultate jener elementaren unorganischen Wis- senschaften finden hier ihre unmittelbare Anwendung, offenbaren unmittelbar ihre erklärende Brauchbarkeit. Denn auf diesen Ge- bieten der Wirklichkeit herrschen die elementaren Kräfte noch in ihrer Vereinzelung, noch in reiner Causalität, noch nicht ge- bändigt durch den Zweck, weil der hier waltende Zweck noch so gestaltlos ist, daß sie ihm dienen, sogar in ihrem selbststän- digen Wirken. Die Rücksicht auf den Zweck ist hier eine so unbestimmte — eben weil es der Zweck noch selbst ist; und das Unbestimmte läßt sich auch nur unbestimmt berücksichti-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/54>, abgerufen am 21.11.2024.