gen -- daß das Begreifen der hier auftretenden Erscheinungen und Verhältnisse aus der reinen Ursächlichkeit in voller Befrie- digung gelingt, und erst neue thatsächlich gegebene, aber zu- nächst dem vorliegenden Gegenstande fernliegende, Elemente hinzugenommen werden müssen, um das Bedürfniß und die Mög- lichkeit der Zweckbetrachtung zu erzeugen. Die Gestaltung der Erde z. B. in dem Verhältnisse ihres festen und flüssigen Ele- ments oder von Land und Wasser zu einander, die bestimmte Form der Gebirgszüge und ihre Entstehung selbst und die Lage der Erdschichten, alles dies und vieles andere, was hierher ge- hört, läßt sich durch die ursächliche, physikalische und chemische Betrachtung begreifen, und wir haben kein Bedürfniß nach dem Zwecke zu fragen. Nehmen wir aber die Geschichte hinzu, führen wir also ein neues, aus dem vorliegenden Gegenstande selbst sich noch nicht ergebendes Element ein, so entsteht die Zweckbe- trachtung, indem wir etwa fragen, wie mußte das Land beschaf- fen sein, in welchem ein Volk solche Thaten vollführen sollte. Die Entwickelung der Weltgeschichte, wie sie in den Küsten- ländern des Mittelländischen Meeres Statt hatte, war durch die Beschaffenheit dieser Länder bedingt und hätte nicht bloß nicht im Innern Africas, in Hochasien, sondern auch nicht in America so vor sich gehen können. Diese teleologische Betrachtung der Gestaltung der Erdoberfläche ist eine von den glänzendsten Sei- ten unseres Gründers der wissenschaftlichen Geographie, des geistvollen Ritter. Und so mag man die Erde, das All, immer- hin nach allen Erscheinungen als Organismus, teleologisch anse- hen: der Unterschied zwischen dieser Betrachtung und der des engeren Lebens in Pflanzen und Thieren ist darum doch auch für die Wissenschaft nicht minder klaffend wie für die gemeine Anschauung. Dem Erdorganismus ist der Zweck ein transcen- denter, außerhalb seiner liegend, daher er nicht aus sich selbst auf ihn weist; dem lebendigen Wesen ist er immanent. Die Erd- gestaltung zeigt einen Zweck, wenn sie in ihrem Verhältnisse zur Geschichte betrachtet wird; aber das Auge kann gar nicht betrachtet, erkannt werden ohne Rücksicht auf den Zweck, auf das Sehen; denn dies ist ihm inwohnend, und das Auge ist ohne Sehen ein Nichts.
Diese einfache Betrachtung führt uns nun dennoch dazu, zu behaupten, was wir oben nach Beckers Auffassung der Sache läugneten, daß mit dem Begriffe Organismus, weil er methodo-
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gen — daß das Begreifen der hier auftretenden Erscheinungen und Verhältnisse aus der reinen Ursächlichkeit in voller Befrie- digung gelingt, und erst neue thatsächlich gegebene, aber zu- nächst dem vorliegenden Gegenstande fernliegende, Elemente hinzugenommen werden müssen, um das Bedürfniß und die Mög- lichkeit der Zweckbetrachtung zu erzeugen. Die Gestaltung der Erde z. B. in dem Verhältnisse ihres festen und flüssigen Ele- ments oder von Land und Wasser zu einander, die bestimmte Form der Gebirgszüge und ihre Entstehung selbst und die Lage der Erdschichten, alles dies und vieles andere, was hierher ge- hört, läßt sich durch die ursächliche, physikalische und chemische Betrachtung begreifen, und wir haben kein Bedürfniß nach dem Zwecke zu fragen. Nehmen wir aber die Geschichte hinzu, führen wir also ein neues, aus dem vorliegenden Gegenstande selbst sich noch nicht ergebendes Element ein, so entsteht die Zweckbe- trachtung, indem wir etwa fragen, wie mußte das Land beschaf- fen sein, in welchem ein Volk solche Thaten vollführen sollte. Die Entwickelung der Weltgeschichte, wie sie in den Küsten- ländern des Mittelländischen Meeres Statt hatte, war durch die Beschaffenheit dieser Länder bedingt und hätte nicht bloß nicht im Innern Africas, in Hochasien, sondern auch nicht in America so vor sich gehen können. Diese teleologische Betrachtung der Gestaltung der Erdoberfläche ist eine von den glänzendsten Sei- ten unseres Gründers der wissenschaftlichen Geographie, des geistvollen Ritter. Und so mag man die Erde, das All, immer- hin nach allen Erscheinungen als Organismus, teleologisch anse- hen: der Unterschied zwischen dieser Betrachtung und der des engeren Lebens in Pflanzen und Thieren ist darum doch auch für die Wissenschaft nicht minder klaffend wie für die gemeine Anschauung. Dem Erdorganismus ist der Zweck ein transcen- denter, außerhalb seiner liegend, daher er nicht aus sich selbst auf ihn weist; dem lebendigen Wesen ist er immanent. Die Erd- gestaltung zeigt einen Zweck, wenn sie in ihrem Verhältnisse zur Geschichte betrachtet wird; aber das Auge kann gar nicht betrachtet, erkannt werden ohne Rücksicht auf den Zweck, auf das Sehen; denn dies ist ihm inwohnend, und das Auge ist ohne Sehen ein Nichts.
Diese einfache Betrachtung führt uns nun dennoch dazu, zu behaupten, was wir oben nach Beckers Auffassung der Sache läugneten, daß mit dem Begriffe Organismus, weil er methodo-
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gen — daß das Begreifen der hier auftretenden Erscheinungen
und Verhältnisse aus der reinen Ursächlichkeit in voller Befrie-
digung gelingt, und erst neue thatsächlich gegebene, aber zu-
nächst dem vorliegenden Gegenstande fernliegende, Elemente
hinzugenommen werden müssen, um das Bedürfniß und die Mög-
lichkeit der Zweckbetrachtung zu erzeugen. Die Gestaltung der
Erde z. B. in dem Verhältnisse ihres festen und flüssigen Ele-
ments oder von Land und Wasser zu einander, die bestimmte
Form der Gebirgszüge und ihre Entstehung selbst und die Lage
der Erdschichten, alles dies und vieles andere, was hierher ge-
hört, läßt sich durch die ursächliche, physikalische und chemische
Betrachtung begreifen, und wir haben kein Bedürfniß nach dem
Zwecke zu fragen. Nehmen wir aber die Geschichte hinzu, führen
wir also ein neues, aus dem vorliegenden Gegenstande selbst sich
noch nicht ergebendes Element ein, so entsteht die Zweckbe-
trachtung, indem wir etwa fragen, wie mußte das Land beschaf-
fen sein, in welchem ein Volk solche Thaten vollführen sollte.
Die Entwickelung der Weltgeschichte, wie sie in den Küsten-
ländern des Mittelländischen Meeres Statt hatte, war durch die
Beschaffenheit dieser Länder bedingt und hätte nicht bloß nicht
im Innern Africas, in Hochasien, sondern auch nicht in America
so vor sich gehen können. Diese teleologische Betrachtung der
Gestaltung der Erdoberfläche ist eine von den glänzendsten Sei-
ten unseres Gründers der wissenschaftlichen Geographie, des
geistvollen Ritter. Und so mag man die Erde, das All, immer-
hin nach allen Erscheinungen als Organismus, teleologisch anse-
hen: der Unterschied zwischen dieser Betrachtung und der des
engeren Lebens in Pflanzen und Thieren ist darum doch auch
für die Wissenschaft nicht minder klaffend wie für die gemeine
Anschauung. Dem Erdorganismus ist der Zweck ein transcen-
denter, außerhalb seiner liegend, daher er nicht aus sich selbst
auf ihn weist; dem lebendigen Wesen ist er immanent. Die Erd-
gestaltung zeigt einen Zweck, wenn sie in ihrem Verhältnisse
zur Geschichte betrachtet wird; aber das Auge kann gar nicht
betrachtet, erkannt werden ohne Rücksicht auf den Zweck, auf
das Sehen; denn dies ist ihm inwohnend, und das Auge ist ohne
Sehen ein Nichts.
Diese einfache Betrachtung führt uns nun dennoch dazu, zu
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/55>, abgerufen am 16.02.2025.
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