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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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logisch bestimmt ist, ein Unterschied innerhalb der Dinge ge-
macht werden könne. Die Möglichkeit beruht zunächst darauf,
daß sein formaler Inhalt nicht ein bloß subjectiver, sondern auf
die objective Beschaffenheit der Dinge gegründet ist. Genau
genommen aber haben wir auch im Obigen noch gar nicht die
Dinge in organische und unorganische eingetheilt, sondern nur
in solche, auf welche die Zweckbetrachtung nothwendig, und
solche, auf welche sie nur mittelbar angewandt wird. Wir gehen
nun aber allerdings noch weiter und sagen: wenn gewisse Dinge
unmittelbar aus sich auf einen Zweck weisen, den sie in sich
tragen, und als solche organisch genannt werden, andere dies
nicht thun und unorganische heißen, so kommt das daher, weil
sie verschiedener Art sind. Nicht bloß die Zweckbetrachtung,
sondern auch die ursächliche ist bei den organischen, d. h. im
engeren Sinne lebenden Dingen eine ganz andere. Die Ergeb-
nisse der einfachen Physik und Chemie sind auf die lebenden
Pflanzen und Thiere nicht anwendbar, sondern müssen erst eine
Umgestaltung erfahren, wenn mit ihnen der organische Körper
begriffen werden soll: weil die Kräfte in diesem gar nicht in
der Vereinzelung wirken, wie sie in der Physik und Chemie
betrachtet werden und wie sie in dem Erdkörper und Planeten-
system wirklich auftreten, sondern nur in einer so vielfach ver-
schlungenen Verknüpfung, daß sie dadurch von ihrer ursprüng-
lichen Bahn abgeleitet, in ihrer Wirkungsweise abgewandelt
werden. So erkennt nun die Naturwissenschaft den Unterschied
von organischen und unorganischen Dingen vollständig an, indem
sie die Physiologie von der Physik und die organische Chemie
von der unorganischen scheidet. Dieser von der Wissenschaft
wie von der gemeinen Anschauung anerkannte, auf methodolo-
gische sowohl, als auch auf objective und causale Verhältnisse
gegründete Unterschied von organischen und unorganischen Din-
gen innerhalb der Natur ist auch der eigentliche Grund der oben
dargestellten ersten Verdrehung in Beckers Anschauung. Nach
dem eben Gesagten, hoffen wir, werde der Leser erkennen, wie
berechtigt, wie tief sogar Beckers Anschauung ihrem über sich
selbst unbewußten dunkeln Streben nach ist; aber zugleich
auch, daß sie wirklich durchaus unklar geblieben ist, und ihre
Elemente in Verwirrung gerathen sind. Ein durchgreifender,
bis auf den Grund zerstörender Fehler aber, der sich hier zu-
nächst ergiebt, und der auch von Becker anerkannt werden muß,

logisch bestimmt ist, ein Unterschied innerhalb der Dinge ge-
macht werden könne. Die Möglichkeit beruht zunächst darauf,
daß sein formaler Inhalt nicht ein bloß subjectiver, sondern auf
die objective Beschaffenheit der Dinge gegründet ist. Genau
genommen aber haben wir auch im Obigen noch gar nicht die
Dinge in organische und unorganische eingetheilt, sondern nur
in solche, auf welche die Zweckbetrachtung nothwendig, und
solche, auf welche sie nur mittelbar angewandt wird. Wir gehen
nun aber allerdings noch weiter und sagen: wenn gewisse Dinge
unmittelbar aus sich auf einen Zweck weisen, den sie in sich
tragen, und als solche organisch genannt werden, andere dies
nicht thun und unorganische heißen, so kommt das daher, weil
sie verschiedener Art sind. Nicht bloß die Zweckbetrachtung,
sondern auch die ursächliche ist bei den organischen, d. h. im
engeren Sinne lebenden Dingen eine ganz andere. Die Ergeb-
nisse der einfachen Physik und Chemie sind auf die lebenden
Pflanzen und Thiere nicht anwendbar, sondern müssen erst eine
Umgestaltung erfahren, wenn mit ihnen der organische Körper
begriffen werden soll: weil die Kräfte in diesem gar nicht in
der Vereinzelung wirken, wie sie in der Physik und Chemie
betrachtet werden und wie sie in dem Erdkörper und Planeten-
system wirklich auftreten, sondern nur in einer so vielfach ver-
schlungenen Verknüpfung, daß sie dadurch von ihrer ursprüng-
lichen Bahn abgeleitet, in ihrer Wirkungsweise abgewandelt
werden. So erkennt nun die Naturwissenschaft den Unterschied
von organischen und unorganischen Dingen vollständig an, indem
sie die Physiologie von der Physik und die organische Chemie
von der unorganischen scheidet. Dieser von der Wissenschaft
wie von der gemeinen Anschauung anerkannte, auf methodolo-
gische sowohl, als auch auf objective und causale Verhältnisse
gegründete Unterschied von organischen und unorganischen Din-
gen innerhalb der Natur ist auch der eigentliche Grund der oben
dargestellten ersten Verdrehung in Beckers Anschauung. Nach
dem eben Gesagten, hoffen wir, werde der Leser erkennen, wie
berechtigt, wie tief sogar Beckers Anschauung ihrem über sich
selbst unbewußten dunkeln Streben nach ist; aber zugleich
auch, daß sie wirklich durchaus unklar geblieben ist, und ihre
Elemente in Verwirrung gerathen sind. Ein durchgreifender,
bis auf den Grund zerstörender Fehler aber, der sich hier zu-
nächst ergiebt, und der auch von Becker anerkannt werden muß,

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[18/0056] logisch bestimmt ist, ein Unterschied innerhalb der Dinge ge- macht werden könne. Die Möglichkeit beruht zunächst darauf, daß sein formaler Inhalt nicht ein bloß subjectiver, sondern auf die objective Beschaffenheit der Dinge gegründet ist. Genau genommen aber haben wir auch im Obigen noch gar nicht die Dinge in organische und unorganische eingetheilt, sondern nur in solche, auf welche die Zweckbetrachtung nothwendig, und solche, auf welche sie nur mittelbar angewandt wird. Wir gehen nun aber allerdings noch weiter und sagen: wenn gewisse Dinge unmittelbar aus sich auf einen Zweck weisen, den sie in sich tragen, und als solche organisch genannt werden, andere dies nicht thun und unorganische heißen, so kommt das daher, weil sie verschiedener Art sind. Nicht bloß die Zweckbetrachtung, sondern auch die ursächliche ist bei den organischen, d. h. im engeren Sinne lebenden Dingen eine ganz andere. Die Ergeb- nisse der einfachen Physik und Chemie sind auf die lebenden Pflanzen und Thiere nicht anwendbar, sondern müssen erst eine Umgestaltung erfahren, wenn mit ihnen der organische Körper begriffen werden soll: weil die Kräfte in diesem gar nicht in der Vereinzelung wirken, wie sie in der Physik und Chemie betrachtet werden und wie sie in dem Erdkörper und Planeten- system wirklich auftreten, sondern nur in einer so vielfach ver- schlungenen Verknüpfung, daß sie dadurch von ihrer ursprüng- lichen Bahn abgeleitet, in ihrer Wirkungsweise abgewandelt werden. So erkennt nun die Naturwissenschaft den Unterschied von organischen und unorganischen Dingen vollständig an, indem sie die Physiologie von der Physik und die organische Chemie von der unorganischen scheidet. Dieser von der Wissenschaft wie von der gemeinen Anschauung anerkannte, auf methodolo- gische sowohl, als auch auf objective und causale Verhältnisse gegründete Unterschied von organischen und unorganischen Din- gen innerhalb der Natur ist auch der eigentliche Grund der oben dargestellten ersten Verdrehung in Beckers Anschauung. Nach dem eben Gesagten, hoffen wir, werde der Leser erkennen, wie berechtigt, wie tief sogar Beckers Anschauung ihrem über sich selbst unbewußten dunkeln Streben nach ist; aber zugleich auch, daß sie wirklich durchaus unklar geblieben ist, und ihre Elemente in Verwirrung gerathen sind. Ein durchgreifender, bis auf den Grund zerstörender Fehler aber, der sich hier zu- nächst ergiebt, und der auch von Becker anerkannt werden muß,

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/56>, abgerufen am 21.11.2024.