sal wird sie im Oder, d. h. als gesprochene Sprache haben? Becker sagt §. 3.: "Weil aber die Sprache eine Verrichtung der Gattung ist, so muß das Wort Ausdruck des Gedankens werden nicht allein für das sprechende, oder nur für das spre- chende und angesprochene Individuum, sondern für das ganze Geschlecht, und sogar für die nachkommenden Geschlechter. Das Werdende muß als ein Gewordenes festgehalten, und die flüchtige Erscheinung der organischen Verrichtung zu einem bleibenden Producte werden. Fassen wir nun die Sprache nicht mehr als die Verrichtung des Sprechens, sondern als ein Gewor- denes, als bleibendes Product der Verrichtung auf, so wird uns der Begriff der gesprochenen Sprache." Wir erfahren zwar hier nicht, wie es zugeht, daß die Verrichtung des Sprechens ein Gewordenes, ein Product wird, aber, warum das geschieht. Nämlich die Verrichtung muß zum Producte werden -- nicht bloß etwas Bleibendes hervorbringen, sondern selbst das Erzeug- niß werden, weil das Wort für die ganze Menschheit sein muß. Hier sehe ich den ursächlichen Zusammenhang nicht; und warum muß das Wort für die ganze Menschheit sein? warum darf ich heute nicht anders reden als die alten Griechen? Weil, sagt Becker, die Sprache eine Verrichtung der Gattung ist! Be- cker fährt fort: "Dadurch daß das einmal gesprochene Wort bleibend denselben Gedanken für die mitlebenden und nachkom- menden Geschlechter ausdrückt, wird die gesprochene Sprache das allgemeine Medium der Gedankenmittheilung unter den In- dividuen." Man beachte doch diesen Fortschritt des Gedankens! Nachdem zwei Sätze, man sieht nicht recht wie, durch "weil" verbunden worden, werden sie umgestellt und durch die Con- junction "dadurch daß" verknüpft. Was eben Ursache war, wird nun Wirkung. Das ist wahrscheinlich das organische Vor- schreiten der Gedankenentwickelung! Hinter die angeführten Worte wird ein Kolon gesetzt und hinzugefügt: "sie ist ver- ständlich für alle, weil sie der Ausdruck einer dem ganzen Ge- schlechte gemeinsamen Weltanschauung ist"; und vorher hieß es, daß man erst durch die Sprache zu dieser gemeinsamen Weltanschauung gelange. Wer in solcher Weise, mit einem Paar solcher Sätze, die tiefsten Widersprüche, Räthsel der Sprache abfertigt; und alle die, welche glauben, daß wer dies thun konnte, der Schöpfer "der neuen Grammatik" sei, wie können die et- was von Humboldts gewaltiger Dialektik und tiefer Speculation
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sal wird sie im Oder, d. h. als gesprochene Sprache haben? Becker sagt §. 3.: „Weil aber die Sprache eine Verrichtung der Gattung ist, so muß das Wort Ausdruck des Gedankens werden nicht allein für das sprechende, oder nur für das spre- chende und angesprochene Individuum, sondern für das ganze Geschlecht, und sogar für die nachkommenden Geschlechter. Das Werdende muß als ein Gewordenes festgehalten, und die flüchtige Erscheinung der organischen Verrichtung zu einem bleibenden Producte werden. Fassen wir nun die Sprache nicht mehr als die Verrichtung des Sprechens, sondern als ein Gewor- denes, als bleibendes Product der Verrichtung auf, so wird uns der Begriff der gesprochenen Sprache.“ Wir erfahren zwar hier nicht, wie es zugeht, daß die Verrichtung des Sprechens ein Gewordenes, ein Product wird, aber, warum das geschieht. Nämlich die Verrichtung muß zum Producte werden — nicht bloß etwas Bleibendes hervorbringen, sondern selbst das Erzeug- niß werden, weil das Wort für die ganze Menschheit sein muß. Hier sehe ich den ursächlichen Zusammenhang nicht; und warum muß das Wort für die ganze Menschheit sein? warum darf ich heute nicht anders reden als die alten Griechen? Weil, sagt Becker, die Sprache eine Verrichtung der Gattung ist! Be- cker fährt fort: „Dadurch daß das einmal gesprochene Wort bleibend denselben Gedanken für die mitlebenden und nachkom- menden Geschlechter ausdrückt, wird die gesprochene Sprache das allgemeine Medium der Gedankenmittheilung unter den In- dividuen.“ Man beachte doch diesen Fortschritt des Gedankens! Nachdem zwei Sätze, man sieht nicht recht wie, durch „weil“ verbunden worden, werden sie umgestellt und durch die Con- junction „dadurch daß“ verknüpft. Was eben Ursache war, wird nun Wirkung. Das ist wahrscheinlich das organische Vor- schreiten der Gedankenentwickelung! Hinter die angeführten Worte wird ein Kolon gesetzt und hinzugefügt: „sie ist ver- ständlich für alle, weil sie der Ausdruck einer dem ganzen Ge- schlechte gemeinsamen Weltanschauung ist“; und vorher hieß es, daß man erst durch die Sprache zu dieser gemeinsamen Weltanschauung gelange. Wer in solcher Weise, mit einem Paar solcher Sätze, die tiefsten Widersprüche, Räthsel der Sprache abfertigt; und alle die, welche glauben, daß wer dies thun konnte, der Schöpfer „der neuen Grammatik“ sei, wie können die et- was von Humboldts gewaltiger Dialektik und tiefer Speculation
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sal wird sie im Oder, d. h. als gesprochene Sprache haben?
Becker sagt §. 3.: „Weil aber die Sprache eine Verrichtung
der Gattung ist, so muß das Wort Ausdruck des Gedankens
werden nicht allein für das sprechende, oder nur für das spre-
chende und angesprochene Individuum, sondern für das ganze
Geschlecht, und sogar für die nachkommenden Geschlechter.
Das Werdende muß als ein Gewordenes festgehalten, und
die flüchtige Erscheinung der organischen Verrichtung zu einem
bleibenden Producte werden. Fassen wir nun die Sprache nicht
mehr als die Verrichtung des Sprechens, sondern als ein Gewor-
denes, als bleibendes Product der Verrichtung auf, so wird uns
der Begriff der gesprochenen Sprache.“ Wir erfahren zwar hier
nicht, wie es zugeht, daß die Verrichtung des Sprechens ein
Gewordenes, ein Product wird, aber, warum das geschieht.
Nämlich die Verrichtung muß zum Producte werden — nicht
bloß etwas Bleibendes hervorbringen, sondern selbst das Erzeug-
niß werden, weil das Wort für die ganze Menschheit sein muß.
Hier sehe ich den ursächlichen Zusammenhang nicht; und warum
muß das Wort für die ganze Menschheit sein? warum darf ich
heute nicht anders reden als die alten Griechen? Weil, sagt
Becker, die Sprache eine Verrichtung der Gattung ist! Be-
cker fährt fort: „Dadurch daß das einmal gesprochene Wort
bleibend denselben Gedanken für die mitlebenden und nachkom-
menden Geschlechter ausdrückt, wird die gesprochene Sprache
das allgemeine Medium der Gedankenmittheilung unter den In-
dividuen.“ Man beachte doch diesen Fortschritt des Gedankens!
Nachdem zwei Sätze, man sieht nicht recht wie, durch „weil“
verbunden worden, werden sie umgestellt und durch die Con-
junction „dadurch daß“ verknüpft. Was eben Ursache war,
wird nun Wirkung. Das ist wahrscheinlich das organische Vor-
schreiten der Gedankenentwickelung! Hinter die angeführten
Worte wird ein Kolon gesetzt und hinzugefügt: „sie ist ver-
ständlich für alle, weil sie der Ausdruck einer dem ganzen Ge-
schlechte gemeinsamen Weltanschauung ist“; und vorher hieß
es, daß man erst durch die Sprache zu dieser gemeinsamen
Weltanschauung gelange. Wer in solcher Weise, mit einem
Paar solcher Sätze, die tiefsten Widersprüche, Räthsel der Sprache
abfertigt; und alle die, welche glauben, daß wer dies thun konnte,
der Schöpfer „der neuen Grammatik“ sei, wie können die et-
was von Humboldts gewaltiger Dialektik und tiefer Speculation
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/73>, abgerufen am 21.11.2024.
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