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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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ihre Errichtung zugeben dürfte, St. Fridolin, der Glaubensbote aus Erin, und klagte vor dem Grafen Baldebert gegen Landolf, den Adeling, der die reichen Güter, welche sein verstorbener Bruder Ursus dem Heiligen Vermacht hatte, die Schankung läugnend, nicht herausgeben wollte. St. Fridolin war nicht lange verlegen um den Beweis und führte den todten Ursus, der zu Glarus schon im Grabe lag, in den Ring. Als Landolf dessen ansichtig ward, ging er schaudernd in sich, gab alle Ansprüche auf und schenkte als kinderlos dem Heiligen zum Bau des Klosters Seckingen am Rhein das ganze Land zu Glarus und all sein Eigen. An der Kirche auf Unser Lieben Frauen Berg zu Rankweil ist die Geschichte abgemalt und Gustav Schwab hat sie in einer Romanze besungen.

Von jener Kirche, die auf einem grünen Kegel erbaut ist, wo ehemals die Burg Hörnlingen stand, ist eine angenehme Uebersicht der Gegend zu gewinnen. Man darf aber auch an der Pfarrkirche von St. Peter, die unten in der Ebene liegt, nicht bedachtlos vorbeigehen, denn obgleich die kleinste Pfarrei im Kaiserthume, da ihr Sprengel nur etwa sechzig Seelen zählt, thut sie sich doch durch ein Alterthum hervor, das sie über tausend andere hinaushebt. Und nicht allein daß sie für die älteste im Lande gilt, sie bewahrt auch noch eine Erinnerung an merowingisches Christentum. Es muß den Pilger wundersam ansprechen wie ein tausendjähriges Wahrzeichen, wenn er etwa am dreißigsten Sommermond des Morgens in das Kirchlein tritt und ihm die stillen Beter leise zuflüstern, es werde eben Messe gelesen für die seligen Herren Dagobert und Sigebert, die weiland Könige von Austrasien gewesen. Der eine starb im Jahre 638, der andere 650 und beide stifteten sich als Seelgeräthe, in der Kirche zu Rancovilla, diesen Jahrtag, der noch gehalten wird bis auf die jetzige Zeit. Freilich können wir dabei nicht verheimlichen, daß ihn Weizenegger für eine jüngere Stiftung hält, die ihr Daseyn etwa frommen Geschichtsfreunden aus den letzten Jahrhunderten verdanken möchte.

ihre Errichtung zugeben dürfte, St. Fridolin, der Glaubensbote aus Erin, und klagte vor dem Grafen Baldebert gegen Landolf, den Adeling, der die reichen Güter, welche sein verstorbener Bruder Ursus dem Heiligen Vermacht hatte, die Schankung läugnend, nicht herausgeben wollte. St. Fridolin war nicht lange verlegen um den Beweis und führte den todten Ursus, der zu Glarus schon im Grabe lag, in den Ring. Als Landolf dessen ansichtig ward, ging er schaudernd in sich, gab alle Ansprüche auf und schenkte als kinderlos dem Heiligen zum Bau des Klosters Seckingen am Rhein das ganze Land zu Glarus und all sein Eigen. An der Kirche auf Unser Lieben Frauen Berg zu Rankweil ist die Geschichte abgemalt und Gustav Schwab hat sie in einer Romanze besungen.

Von jener Kirche, die auf einem grünen Kegel erbaut ist, wo ehemals die Burg Hörnlingen stand, ist eine angenehme Uebersicht der Gegend zu gewinnen. Man darf aber auch an der Pfarrkirche von St. Peter, die unten in der Ebene liegt, nicht bedachtlos vorbeigehen, denn obgleich die kleinste Pfarrei im Kaiserthume, da ihr Sprengel nur etwa sechzig Seelen zählt, thut sie sich doch durch ein Alterthum hervor, das sie über tausend andere hinaushebt. Und nicht allein daß sie für die älteste im Lande gilt, sie bewahrt auch noch eine Erinnerung an merowingisches Christentum. Es muß den Pilger wundersam ansprechen wie ein tausendjähriges Wahrzeichen, wenn er etwa am dreißigsten Sommermond des Morgens in das Kirchlein tritt und ihm die stillen Beter leise zuflüstern, es werde eben Messe gelesen für die seligen Herren Dagobert und Sigebert, die weiland Könige von Austrasien gewesen. Der eine starb im Jahre 638, der andere 650 und beide stifteten sich als Seelgeräthe, in der Kirche zu Rancovilla, diesen Jahrtag, der noch gehalten wird bis auf die jetzige Zeit. Freilich können wir dabei nicht verheimlichen, daß ihn Weizenegger für eine jüngere Stiftung hält, die ihr Daseyn etwa frommen Geschichtsfreunden aus den letzten Jahrhunderten verdanken möchte.

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[150/0155] ihre Errichtung zugeben dürfte, St. Fridolin, der Glaubensbote aus Erin, und klagte vor dem Grafen Baldebert gegen Landolf, den Adeling, der die reichen Güter, welche sein verstorbener Bruder Ursus dem Heiligen Vermacht hatte, die Schankung läugnend, nicht herausgeben wollte. St. Fridolin war nicht lange verlegen um den Beweis und führte den todten Ursus, der zu Glarus schon im Grabe lag, in den Ring. Als Landolf dessen ansichtig ward, ging er schaudernd in sich, gab alle Ansprüche auf und schenkte als kinderlos dem Heiligen zum Bau des Klosters Seckingen am Rhein das ganze Land zu Glarus und all sein Eigen. An der Kirche auf Unser Lieben Frauen Berg zu Rankweil ist die Geschichte abgemalt und Gustav Schwab hat sie in einer Romanze besungen. Von jener Kirche, die auf einem grünen Kegel erbaut ist, wo ehemals die Burg Hörnlingen stand, ist eine angenehme Uebersicht der Gegend zu gewinnen. Man darf aber auch an der Pfarrkirche von St. Peter, die unten in der Ebene liegt, nicht bedachtlos vorbeigehen, denn obgleich die kleinste Pfarrei im Kaiserthume, da ihr Sprengel nur etwa sechzig Seelen zählt, thut sie sich doch durch ein Alterthum hervor, das sie über tausend andere hinaushebt. Und nicht allein daß sie für die älteste im Lande gilt, sie bewahrt auch noch eine Erinnerung an merowingisches Christentum. Es muß den Pilger wundersam ansprechen wie ein tausendjähriges Wahrzeichen, wenn er etwa am dreißigsten Sommermond des Morgens in das Kirchlein tritt und ihm die stillen Beter leise zuflüstern, es werde eben Messe gelesen für die seligen Herren Dagobert und Sigebert, die weiland Könige von Austrasien gewesen. Der eine starb im Jahre 638, der andere 650 und beide stifteten sich als Seelgeräthe, in der Kirche zu Rancovilla, diesen Jahrtag, der noch gehalten wird bis auf die jetzige Zeit. Freilich können wir dabei nicht verheimlichen, daß ihn Weizenegger für eine jüngere Stiftung hält, die ihr Daseyn etwa frommen Geschichtsfreunden aus den letzten Jahrhunderten verdanken möchte.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/155>, abgerufen am 18.05.2024.