Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Beamte, die aus diesem Kreise etwa an die tirolischen Landgerichte versetzt werden, sind höchst angenehm überrascht über die gemächliche, wenig behelligte, sturmlose Amtirung, obgleich sie auf der andern Seite bei schwierigern Aufgaben auch wieder den Tact und das praktische Eingreifen und Mitarbeiten der Vorarlberger vermissen. Angestellte, die aus Tirol nach Vorarlberg übersiedeln, fallen dagegen leichtlich auf durch ihr Begehren, auch dort für den Untergebenen allein zu dichten und zu denken. Daraus denn manche Gereizheit, und der Vorarlberger, dem der andre das liebe Disputiren verkümmern will, sagt dann etwa mit einem Achselzucken: der Herr meint wohl, er sey noch unter seinen Tirolern! Diesem seinem bojoarischen Landsmann gegenüber hält sich jener überhaupt für den vorgeschrittenen, aufgeklärten, überlegenen, wogegen der Tiroler allerdings behauptet, vor dem Arlberge sey weniger Aufrichtigkeit zu finden als bei ihm zu Hause. Die kritischen Neigungen des Vorarlbergers zeigen sich auch in seinem Verhalten gegen den Clerus. Das unbedingte gläubige Vertrauen, das der Tiroler seinem Seelenhirten schenkt und das diesem ein allgewaltiges Imperium sichert, ist hier nicht so augenfällig. Auch des Geistlichen Sprüche, Rathschläge und Warnungen werden hin und her überlegt, glossirt und geprüft. Ueberhaupt hat der Katholicismus in diesem Lande nicht die tiefe Färbung wie jenseits des Arlberges. Dessen ungeachtet blühen Wohlthätigkeit und praktisches Christenthum hier eben so schön wie dort. Was in den Rheingegenden, deren Zustände Weizenegger bespricht, das Aufkommen der Fabriken, der zunehmende Wohlstand und einreißende Luxus, das städtische Leben der Reichen in ihrer Rückwirkung auf den gemeinen Mann herbeigeführt, nämlich ziemlich viel äußere Abglättung und verhältnißmäßigen Schliff der untern Classen, das hat für die Berglandschaften die Auswanderung gethan. Insbesondre eignen sich die Stuccaturer des Bregenzer Waldes leicht die feineren Manieren an, die sie in fremden Ländern kennen lernen, wobei denn freilich immer wieder die heikle Frage, ob man Beamte, die aus diesem Kreise etwa an die tirolischen Landgerichte versetzt werden, sind höchst angenehm überrascht über die gemächliche, wenig behelligte, sturmlose Amtirung, obgleich sie auf der andern Seite bei schwierigern Aufgaben auch wieder den Tact und das praktische Eingreifen und Mitarbeiten der Vorarlberger vermissen. Angestellte, die aus Tirol nach Vorarlberg übersiedeln, fallen dagegen leichtlich auf durch ihr Begehren, auch dort für den Untergebenen allein zu dichten und zu denken. Daraus denn manche Gereizheit, und der Vorarlberger, dem der andre das liebe Disputiren verkümmern will, sagt dann etwa mit einem Achselzucken: der Herr meint wohl, er sey noch unter seinen Tirolern! Diesem seinem bojoarischen Landsmann gegenüber hält sich jener überhaupt für den vorgeschrittenen, aufgeklärten, überlegenen, wogegen der Tiroler allerdings behauptet, vor dem Arlberge sey weniger Aufrichtigkeit zu finden als bei ihm zu Hause. Die kritischen Neigungen des Vorarlbergers zeigen sich auch in seinem Verhalten gegen den Clerus. Das unbedingte gläubige Vertrauen, das der Tiroler seinem Seelenhirten schenkt und das diesem ein allgewaltiges Imperium sichert, ist hier nicht so augenfällig. Auch des Geistlichen Sprüche, Rathschläge und Warnungen werden hin und her überlegt, glossirt und geprüft. Ueberhaupt hat der Katholicismus in diesem Lande nicht die tiefe Färbung wie jenseits des Arlberges. Dessen ungeachtet blühen Wohlthätigkeit und praktisches Christenthum hier eben so schön wie dort. Was in den Rheingegenden, deren Zustände Weizenegger bespricht, das Aufkommen der Fabriken, der zunehmende Wohlstand und einreißende Luxus, das städtische Leben der Reichen in ihrer Rückwirkung auf den gemeinen Mann herbeigeführt, nämlich ziemlich viel äußere Abglättung und verhältnißmäßigen Schliff der untern Classen, das hat für die Berglandschaften die Auswanderung gethan. Insbesondre eignen sich die Stuccaturer des Bregenzer Waldes leicht die feineren Manieren an, die sie in fremden Ländern kennen lernen, wobei denn freilich immer wieder die heikle Frage, ob man <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0188" n="183"/> Beamte, die aus diesem Kreise etwa an die tirolischen Landgerichte versetzt werden, sind höchst angenehm überrascht über die gemächliche, wenig behelligte, sturmlose Amtirung, obgleich sie auf der andern Seite bei schwierigern Aufgaben auch wieder den Tact und das praktische Eingreifen und Mitarbeiten der Vorarlberger vermissen. Angestellte, die aus Tirol nach Vorarlberg übersiedeln, fallen dagegen leichtlich auf durch ihr Begehren, auch dort für den Untergebenen allein zu dichten und zu denken. Daraus denn manche Gereizheit, und der Vorarlberger, dem der andre das liebe Disputiren verkümmern will, sagt dann etwa mit einem Achselzucken: der Herr meint wohl, er sey noch unter seinen Tirolern! Diesem seinem bojoarischen Landsmann gegenüber hält sich jener überhaupt für den vorgeschrittenen, aufgeklärten, überlegenen, wogegen der Tiroler allerdings behauptet, vor dem Arlberge sey weniger Aufrichtigkeit zu finden als bei ihm zu Hause.</p> <p>Die kritischen Neigungen des Vorarlbergers zeigen sich auch in seinem Verhalten gegen den Clerus. Das unbedingte gläubige Vertrauen, das der Tiroler seinem Seelenhirten schenkt und das diesem ein allgewaltiges Imperium sichert, ist hier nicht so augenfällig. Auch des Geistlichen Sprüche, Rathschläge und Warnungen werden hin und her überlegt, glossirt und geprüft. Ueberhaupt hat der Katholicismus in diesem Lande nicht die tiefe Färbung wie jenseits des Arlberges. Dessen ungeachtet blühen Wohlthätigkeit und praktisches Christenthum hier eben so schön wie dort.</p> <p>Was in den Rheingegenden, deren Zustände Weizenegger bespricht, das Aufkommen der Fabriken, der zunehmende Wohlstand und einreißende Luxus, das städtische Leben der Reichen in ihrer Rückwirkung auf den gemeinen Mann herbeigeführt, nämlich ziemlich viel äußere Abglättung und verhältnißmäßigen Schliff der untern Classen, das hat für die Berglandschaften die Auswanderung gethan. Insbesondre eignen sich die Stuccaturer des Bregenzer Waldes leicht die feineren Manieren an, die sie in fremden Ländern kennen lernen, wobei denn freilich immer wieder die heikle Frage, ob man </p> </div> </body> </text> </TEI> [183/0188]
Beamte, die aus diesem Kreise etwa an die tirolischen Landgerichte versetzt werden, sind höchst angenehm überrascht über die gemächliche, wenig behelligte, sturmlose Amtirung, obgleich sie auf der andern Seite bei schwierigern Aufgaben auch wieder den Tact und das praktische Eingreifen und Mitarbeiten der Vorarlberger vermissen. Angestellte, die aus Tirol nach Vorarlberg übersiedeln, fallen dagegen leichtlich auf durch ihr Begehren, auch dort für den Untergebenen allein zu dichten und zu denken. Daraus denn manche Gereizheit, und der Vorarlberger, dem der andre das liebe Disputiren verkümmern will, sagt dann etwa mit einem Achselzucken: der Herr meint wohl, er sey noch unter seinen Tirolern! Diesem seinem bojoarischen Landsmann gegenüber hält sich jener überhaupt für den vorgeschrittenen, aufgeklärten, überlegenen, wogegen der Tiroler allerdings behauptet, vor dem Arlberge sey weniger Aufrichtigkeit zu finden als bei ihm zu Hause.
Die kritischen Neigungen des Vorarlbergers zeigen sich auch in seinem Verhalten gegen den Clerus. Das unbedingte gläubige Vertrauen, das der Tiroler seinem Seelenhirten schenkt und das diesem ein allgewaltiges Imperium sichert, ist hier nicht so augenfällig. Auch des Geistlichen Sprüche, Rathschläge und Warnungen werden hin und her überlegt, glossirt und geprüft. Ueberhaupt hat der Katholicismus in diesem Lande nicht die tiefe Färbung wie jenseits des Arlberges. Dessen ungeachtet blühen Wohlthätigkeit und praktisches Christenthum hier eben so schön wie dort.
Was in den Rheingegenden, deren Zustände Weizenegger bespricht, das Aufkommen der Fabriken, der zunehmende Wohlstand und einreißende Luxus, das städtische Leben der Reichen in ihrer Rückwirkung auf den gemeinen Mann herbeigeführt, nämlich ziemlich viel äußere Abglättung und verhältnißmäßigen Schliff der untern Classen, das hat für die Berglandschaften die Auswanderung gethan. Insbesondre eignen sich die Stuccaturer des Bregenzer Waldes leicht die feineren Manieren an, die sie in fremden Ländern kennen lernen, wobei denn freilich immer wieder die heikle Frage, ob man
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