Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Florin, den Knaben, in stiller Frömmigkeit erzogen, gaben sie in Unterricht dem Pfarrer zu Ramüs im Engadein, wo er noch in jugendlichem Alter Wunder zu wirken begann. In dem Kasten aus dem er den Armen Brod gab, wuchs Getreide, und wenn er den Tischwein des Pfarrers genommen hatte, Kranke zu erquicken, so wurde aus dem frischen Quellwasser, das er dafür auf die Tafel setzte, der beste Traubensaft. Als sein Lehrer, der Pfarrer, gestorben war, wurde Florin der Seelenhirt der Gemeinde und starb jung, aber im Leben schon als Heiliger verehrt. Die Einwohner von Matsch, zu denen er nicht mehr zurückkehrte, errichteten wenigstens ein Kirchlein auf der Stelle seiner Geburt. - Geschichtlich ist, daß Kaiser Lothar in einer Urkunde vom 3 Jänner 824 dem Bischof Leo von Como seine längst erworbenen Rechte auf die Pfarren zu Burmis (Bormio) und Amatia (das war der damalige Name von Matsch) bestätigte. Daraus geht hervor, daß in dem Thale schon altes kirchliches Leben war, wie denn überhaupt in den frühesten Zeiten die großen Thäler wo jetzt die Heerstraßen ziehen, wenig belebt erscheinen gegen die abgelegenen schwer zugänglichen Höhen und Gebirgsschluchten. Serfaus, Galthür, Matsch und mehrere andre abgelegene Stellen kommen als kirchliche Vereinigungsorte viel früher vor als die benachbarten Niederungen. Es mag wohl seyn, daß zur Zeit der Völkerwanderung mancher Strich am Heerwege ganz ausgefegt und für lange menschenleer wurde, denn die geringe Zahl der bekannten Pässe über die Alpen mußte die Last des Durchzugs für die am Wege liegenden Orte nur um so drückender machen. Drum waren dazumal diese Einsamkeiten wohl reich bevölkert von ursprünglichen Bewohnern und von Flüchtlingen aus der gefährdeten Nachbarschaft, welche letztere sich vielleicht erst nach längerer Zeit wieder in die öde gelegten Hauptthäler wagten.

Fünf Jahrhunderte, nachdem Florinus, der Pfarrer von Ramüs, im Geruch der Heiligkeit gestorben, erscheinen die Herren von Matsch, gewöhnlich die Vögte von Matsch genannt, als Gebieter des Thales und weit hinab im Vintschgau und drüben im Engadein. Später kamen dazu auch noch

Florin, den Knaben, in stiller Frömmigkeit erzogen, gaben sie in Unterricht dem Pfarrer zu Ramüs im Engadein, wo er noch in jugendlichem Alter Wunder zu wirken begann. In dem Kasten aus dem er den Armen Brod gab, wuchs Getreide, und wenn er den Tischwein des Pfarrers genommen hatte, Kranke zu erquicken, so wurde aus dem frischen Quellwasser, das er dafür auf die Tafel setzte, der beste Traubensaft. Als sein Lehrer, der Pfarrer, gestorben war, wurde Florin der Seelenhirt der Gemeinde und starb jung, aber im Leben schon als Heiliger verehrt. Die Einwohner von Matsch, zu denen er nicht mehr zurückkehrte, errichteten wenigstens ein Kirchlein auf der Stelle seiner Geburt. – Geschichtlich ist, daß Kaiser Lothar in einer Urkunde vom 3 Jänner 824 dem Bischof Leo von Como seine längst erworbenen Rechte auf die Pfarren zu Burmis (Bormio) und Amatia (das war der damalige Name von Matsch) bestätigte. Daraus geht hervor, daß in dem Thale schon altes kirchliches Leben war, wie denn überhaupt in den frühesten Zeiten die großen Thäler wo jetzt die Heerstraßen ziehen, wenig belebt erscheinen gegen die abgelegenen schwer zugänglichen Höhen und Gebirgsschluchten. Serfaus, Galthür, Matsch und mehrere andre abgelegene Stellen kommen als kirchliche Vereinigungsorte viel früher vor als die benachbarten Niederungen. Es mag wohl seyn, daß zur Zeit der Völkerwanderung mancher Strich am Heerwege ganz ausgefegt und für lange menschenleer wurde, denn die geringe Zahl der bekannten Pässe über die Alpen mußte die Last des Durchzugs für die am Wege liegenden Orte nur um so drückender machen. Drum waren dazumal diese Einsamkeiten wohl reich bevölkert von ursprünglichen Bewohnern und von Flüchtlingen aus der gefährdeten Nachbarschaft, welche letztere sich vielleicht erst nach längerer Zeit wieder in die öde gelegten Hauptthäler wagten.

Fünf Jahrhunderte, nachdem Florinus, der Pfarrer von Ramüs, im Geruch der Heiligkeit gestorben, erscheinen die Herren von Matsch, gewöhnlich die Vögte von Matsch genannt, als Gebieter des Thales und weit hinab im Vintschgau und drüben im Engadein. Später kamen dazu auch noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0284" n="280"/>
Florin, den Knaben, in stiller Frömmigkeit erzogen, gaben sie in Unterricht dem Pfarrer zu Ramüs im Engadein, wo er noch in jugendlichem Alter Wunder zu wirken begann. In dem Kasten aus dem er den Armen Brod gab, wuchs Getreide, und wenn er den Tischwein des Pfarrers genommen hatte, Kranke zu erquicken, so wurde aus dem frischen Quellwasser, das er dafür auf die Tafel setzte, der beste Traubensaft. Als sein Lehrer, der Pfarrer, gestorben war, wurde Florin der Seelenhirt der Gemeinde und starb jung, aber im Leben schon als Heiliger verehrt. Die Einwohner von Matsch, zu denen er nicht mehr zurückkehrte, errichteten wenigstens ein Kirchlein auf der Stelle seiner Geburt. &#x2013; Geschichtlich ist, daß Kaiser Lothar in einer Urkunde vom 3 Jänner 824 dem Bischof Leo von Como seine längst erworbenen Rechte auf die Pfarren zu Burmis (Bormio) und Amatia (das war der damalige Name von Matsch) bestätigte. Daraus geht hervor, daß in dem Thale schon altes kirchliches Leben war, wie denn überhaupt in den frühesten Zeiten die großen Thäler wo jetzt die Heerstraßen ziehen, wenig belebt erscheinen gegen die abgelegenen schwer zugänglichen Höhen und Gebirgsschluchten. Serfaus, Galthür, Matsch und mehrere andre abgelegene Stellen kommen als kirchliche Vereinigungsorte viel früher vor als die benachbarten Niederungen. Es mag wohl seyn, daß zur Zeit der Völkerwanderung mancher Strich am Heerwege ganz ausgefegt und für lange menschenleer wurde, denn die geringe Zahl der bekannten Pässe über die Alpen mußte die Last des Durchzugs für die am Wege liegenden Orte nur um so drückender machen. Drum waren dazumal diese Einsamkeiten wohl reich bevölkert von ursprünglichen Bewohnern und von Flüchtlingen aus der gefährdeten Nachbarschaft, welche letztere sich vielleicht erst nach längerer Zeit wieder in die öde gelegten Hauptthäler wagten.</p>
        <p>Fünf Jahrhunderte, nachdem Florinus, der Pfarrer von Ramüs, im Geruch der Heiligkeit gestorben, erscheinen die Herren von Matsch, gewöhnlich die Vögte von Matsch genannt, als Gebieter des Thales und weit hinab im Vintschgau und drüben im Engadein. Später kamen dazu auch noch
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0284] Florin, den Knaben, in stiller Frömmigkeit erzogen, gaben sie in Unterricht dem Pfarrer zu Ramüs im Engadein, wo er noch in jugendlichem Alter Wunder zu wirken begann. In dem Kasten aus dem er den Armen Brod gab, wuchs Getreide, und wenn er den Tischwein des Pfarrers genommen hatte, Kranke zu erquicken, so wurde aus dem frischen Quellwasser, das er dafür auf die Tafel setzte, der beste Traubensaft. Als sein Lehrer, der Pfarrer, gestorben war, wurde Florin der Seelenhirt der Gemeinde und starb jung, aber im Leben schon als Heiliger verehrt. Die Einwohner von Matsch, zu denen er nicht mehr zurückkehrte, errichteten wenigstens ein Kirchlein auf der Stelle seiner Geburt. – Geschichtlich ist, daß Kaiser Lothar in einer Urkunde vom 3 Jänner 824 dem Bischof Leo von Como seine längst erworbenen Rechte auf die Pfarren zu Burmis (Bormio) und Amatia (das war der damalige Name von Matsch) bestätigte. Daraus geht hervor, daß in dem Thale schon altes kirchliches Leben war, wie denn überhaupt in den frühesten Zeiten die großen Thäler wo jetzt die Heerstraßen ziehen, wenig belebt erscheinen gegen die abgelegenen schwer zugänglichen Höhen und Gebirgsschluchten. Serfaus, Galthür, Matsch und mehrere andre abgelegene Stellen kommen als kirchliche Vereinigungsorte viel früher vor als die benachbarten Niederungen. Es mag wohl seyn, daß zur Zeit der Völkerwanderung mancher Strich am Heerwege ganz ausgefegt und für lange menschenleer wurde, denn die geringe Zahl der bekannten Pässe über die Alpen mußte die Last des Durchzugs für die am Wege liegenden Orte nur um so drückender machen. Drum waren dazumal diese Einsamkeiten wohl reich bevölkert von ursprünglichen Bewohnern und von Flüchtlingen aus der gefährdeten Nachbarschaft, welche letztere sich vielleicht erst nach längerer Zeit wieder in die öde gelegten Hauptthäler wagten. Fünf Jahrhunderte, nachdem Florinus, der Pfarrer von Ramüs, im Geruch der Heiligkeit gestorben, erscheinen die Herren von Matsch, gewöhnlich die Vögte von Matsch genannt, als Gebieter des Thales und weit hinab im Vintschgau und drüben im Engadein. Später kamen dazu auch noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/284
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/284>, abgerufen am 01.06.2024.