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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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sogar der Cactus sich aufthut, wie zu Bozen auf den heißen Porphyrfelsen. Oben sind fette von mächtigen Obstbäumen beschattete Wiesen in wechselnder Fläche hingebreitet bis zum Dorf Tirol. Wenn der Küchelberg einst ganz mit Reben übersponnen ist, sagt das Volk, dann kommt der Antichrist und der Welt Ende ist nahe.

Das Dorf Tirol selbst ist nicht bedeutend, aber auf der offenen Höhe schön gelegen. Von den Fenstern des Wirthshauses aus eröffnet sich eine stattliche Aussicht über das Etschthal, ungefähr desselben Inhalts, wie die auf dem Schlosse Tirol. Zu diesem führt der Weg durch das Knappenloch, einen Tunnel nach Art des Urnerloches, der unter Kaiser Leopold I hergestellt worden ist. Wenn man aus dem unterirdischen Gang herauskömmt, so zeigt sich zur rechten Seite der Runst eines Wildbaches, in welchem eine Reihe von Erdpyramiden stehen. Es sind dieß dünne Sandpfeiler, die an einer brüchigen Halde über einander emporsteigen. Oben darauf liegt je ein Felsblock, der als Beschwerstein die Unterlage durch seinen Druck fester zusammenhält und ihr durch seine Fläche einen Schirm gegen das oberschlächtige Regenwasser verschafft, so daß diese bedeckten Nadeln trutzig stehen bleiben, während der obdachlose Haldensand von den Wettergüssen weggespült wird. Eine größere Sammlung von solchen Erdpyramiden findet sich auf dem Ritten ober Bozen und einzeln kommt die Erscheinung im ganzen Etschlande vor. Sie gehört wie Gletscher und Wasserfälle zu jenen Wundern, deren Bewunderung den Landleuten unausbleiblich ein Lächeln abnöthigt, und es wird wohl noch einige Zeit hergehen, ehe sie sich den städtischen Namen des Zeugs merken können.

Zur Linken über der Schlucht, aus deren Tiefe die schwarzen Trümmer von Brunnenburg melancholisch heraufschauen, zur Linken zeigt sich das Hauptschloß, fast auch nur anzusehen wie ein ausgezackter Beschwerstein auf einer riesenhaften Erdpyramide. In der That steht der hintere Theil der Burg dicht über einer thurmhohen, senkrecht abgerissenen Sandwand, die aus dem Bette des Gießbachs aufragt. Sie droht Jahr aus Jahr ein den Einsturz, hat sich aber gleichwohl seit Menschengedenken

sogar der Cactus sich aufthut, wie zu Bozen auf den heißen Porphyrfelsen. Oben sind fette von mächtigen Obstbäumen beschattete Wiesen in wechselnder Fläche hingebreitet bis zum Dorf Tirol. Wenn der Küchelberg einst ganz mit Reben übersponnen ist, sagt das Volk, dann kommt der Antichrist und der Welt Ende ist nahe.

Das Dorf Tirol selbst ist nicht bedeutend, aber auf der offenen Höhe schön gelegen. Von den Fenstern des Wirthshauses aus eröffnet sich eine stattliche Aussicht über das Etschthal, ungefähr desselben Inhalts, wie die auf dem Schlosse Tirol. Zu diesem führt der Weg durch das Knappenloch, einen Tunnel nach Art des Urnerloches, der unter Kaiser Leopold I hergestellt worden ist. Wenn man aus dem unterirdischen Gang herauskömmt, so zeigt sich zur rechten Seite der Runst eines Wildbaches, in welchem eine Reihe von Erdpyramiden stehen. Es sind dieß dünne Sandpfeiler, die an einer brüchigen Halde über einander emporsteigen. Oben darauf liegt je ein Felsblock, der als Beschwerstein die Unterlage durch seinen Druck fester zusammenhält und ihr durch seine Fläche einen Schirm gegen das oberschlächtige Regenwasser verschafft, so daß diese bedeckten Nadeln trutzig stehen bleiben, während der obdachlose Haldensand von den Wettergüssen weggespült wird. Eine größere Sammlung von solchen Erdpyramiden findet sich auf dem Ritten ober Bozen und einzeln kommt die Erscheinung im ganzen Etschlande vor. Sie gehört wie Gletscher und Wasserfälle zu jenen Wundern, deren Bewunderung den Landleuten unausbleiblich ein Lächeln abnöthigt, und es wird wohl noch einige Zeit hergehen, ehe sie sich den städtischen Namen des Zeugs merken können.

Zur Linken über der Schlucht, aus deren Tiefe die schwarzen Trümmer von Brunnenburg melancholisch heraufschauen, zur Linken zeigt sich das Hauptschloß, fast auch nur anzusehen wie ein ausgezackter Beschwerstein auf einer riesenhaften Erdpyramide. In der That steht der hintere Theil der Burg dicht über einer thurmhohen, senkrecht abgerissenen Sandwand, die aus dem Bette des Gießbachs aufragt. Sie droht Jahr aus Jahr ein den Einsturz, hat sich aber gleichwohl seit Menschengedenken

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[308/0312] sogar der Cactus sich aufthut, wie zu Bozen auf den heißen Porphyrfelsen. Oben sind fette von mächtigen Obstbäumen beschattete Wiesen in wechselnder Fläche hingebreitet bis zum Dorf Tirol. Wenn der Küchelberg einst ganz mit Reben übersponnen ist, sagt das Volk, dann kommt der Antichrist und der Welt Ende ist nahe. Das Dorf Tirol selbst ist nicht bedeutend, aber auf der offenen Höhe schön gelegen. Von den Fenstern des Wirthshauses aus eröffnet sich eine stattliche Aussicht über das Etschthal, ungefähr desselben Inhalts, wie die auf dem Schlosse Tirol. Zu diesem führt der Weg durch das Knappenloch, einen Tunnel nach Art des Urnerloches, der unter Kaiser Leopold I hergestellt worden ist. Wenn man aus dem unterirdischen Gang herauskömmt, so zeigt sich zur rechten Seite der Runst eines Wildbaches, in welchem eine Reihe von Erdpyramiden stehen. Es sind dieß dünne Sandpfeiler, die an einer brüchigen Halde über einander emporsteigen. Oben darauf liegt je ein Felsblock, der als Beschwerstein die Unterlage durch seinen Druck fester zusammenhält und ihr durch seine Fläche einen Schirm gegen das oberschlächtige Regenwasser verschafft, so daß diese bedeckten Nadeln trutzig stehen bleiben, während der obdachlose Haldensand von den Wettergüssen weggespült wird. Eine größere Sammlung von solchen Erdpyramiden findet sich auf dem Ritten ober Bozen und einzeln kommt die Erscheinung im ganzen Etschlande vor. Sie gehört wie Gletscher und Wasserfälle zu jenen Wundern, deren Bewunderung den Landleuten unausbleiblich ein Lächeln abnöthigt, und es wird wohl noch einige Zeit hergehen, ehe sie sich den städtischen Namen des Zeugs merken können. Zur Linken über der Schlucht, aus deren Tiefe die schwarzen Trümmer von Brunnenburg melancholisch heraufschauen, zur Linken zeigt sich das Hauptschloß, fast auch nur anzusehen wie ein ausgezackter Beschwerstein auf einer riesenhaften Erdpyramide. In der That steht der hintere Theil der Burg dicht über einer thurmhohen, senkrecht abgerissenen Sandwand, die aus dem Bette des Gießbachs aufragt. Sie droht Jahr aus Jahr ein den Einsturz, hat sich aber gleichwohl seit Menschengedenken

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/312>, abgerufen am 23.11.2024.