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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Gehen wir vom Sandwirthshause weiter, so erreichen wir bald St. Leonhard, den Hauptort des Thales und Sitz des Landgerichts - ein hübsches baumreiches Dorf mit vielen steinernen Häusern, von der Passer durchrauscht. Im Winkel des Thales, wo der vielbetretene Weg über den Jaufen anhebt, steht die stolze Jaufenburg, aus deren Fenstern man in die von Löwenberg bei Meran sieht. Sie war einmal der Sitz eines ansehnlichen Geschlechts, jetzt wohnt ein Bauer darin. Zur linken Seite, der Passer nach, gelangt man in die innern Schlünde des Thales, die auf den Timmels führen, von welchem man ins Oetzthal niedersteigt.

Um die beiden Dörfer her, um St. Leonhard nämlich und St. Martin sieht man auf den Halden noch mehrere Höfe, die ansehnlicher sind als gemeine Bauernhäuser, ja mitunter sogar wehrhaft und streitbar wie kleine Bergvesten. Dieß sind die Schildhöfe von Passeyer, ursprünglich eilf an der Zahl. Sie waren sämmtlich landesfürstliche Lehen, mit manchen Freiheiten begabt, wofür der jeweilige Lehensträger bei den alten Grafen zum zeitenweisen Hofdienst auf Schloß Tirol verpflichtet war. Ihr Hauptmann war der Herr von Jaufenburg. Jetzt sind die Höfe alle von Bauern bewohnt - zur Erinnerung an den alten Stand erschienen aber die ehrsamen Mannen nach langem Laufe der Zeiten wieder zum Hofdienst und zur Burgwache auf Schloß Tirol im Jahre 1838 an jenem Tage, als der Kaiser Ferdinand in der alten Veste den Enkel des Sandwirths belehnte.

Beim Stroblwirth zu St. Leonhard ist ungefähr die beste Einkehr. Der Wirth, als der Sohn eines der innigsten Vertrauten des Sandwirths, erinnert sich noch an manches Merkwürdige aus jener Zeit. Oben in dem Schlafzimmer, das uns angewiesen worden, betrachteten wir fast überrascht ein älteres Bild, ein lebendiges Schlachtengemälde, darstellend eine riesige Eiche, in deren Aesten Herrmann Balkhe, der deutsche Ordensmeister, ein hölzernes Castell erbaut hatte, welches vor unsern Augen von den heidnischen Preußen belagert, von den deutschen Rittern vertheidigt wurde. Auf derselben Stelle, wo die Eiche gestanden, soll, nach beigeschriebenem

Gehen wir vom Sandwirthshause weiter, so erreichen wir bald St. Leonhard, den Hauptort des Thales und Sitz des Landgerichts – ein hübsches baumreiches Dorf mit vielen steinernen Häusern, von der Passer durchrauscht. Im Winkel des Thales, wo der vielbetretene Weg über den Jaufen anhebt, steht die stolze Jaufenburg, aus deren Fenstern man in die von Löwenberg bei Meran sieht. Sie war einmal der Sitz eines ansehnlichen Geschlechts, jetzt wohnt ein Bauer darin. Zur linken Seite, der Passer nach, gelangt man in die innern Schlünde des Thales, die auf den Timmels führen, von welchem man ins Oetzthal niedersteigt.

Um die beiden Dörfer her, um St. Leonhard nämlich und St. Martin sieht man auf den Halden noch mehrere Höfe, die ansehnlicher sind als gemeine Bauernhäuser, ja mitunter sogar wehrhaft und streitbar wie kleine Bergvesten. Dieß sind die Schildhöfe von Passeyer, ursprünglich eilf an der Zahl. Sie waren sämmtlich landesfürstliche Lehen, mit manchen Freiheiten begabt, wofür der jeweilige Lehensträger bei den alten Grafen zum zeitenweisen Hofdienst auf Schloß Tirol verpflichtet war. Ihr Hauptmann war der Herr von Jaufenburg. Jetzt sind die Höfe alle von Bauern bewohnt – zur Erinnerung an den alten Stand erschienen aber die ehrsamen Mannen nach langem Laufe der Zeiten wieder zum Hofdienst und zur Burgwache auf Schloß Tirol im Jahre 1838 an jenem Tage, als der Kaiser Ferdinand in der alten Veste den Enkel des Sandwirths belehnte.

Beim Stroblwirth zu St. Leonhard ist ungefähr die beste Einkehr. Der Wirth, als der Sohn eines der innigsten Vertrauten des Sandwirths, erinnert sich noch an manches Merkwürdige aus jener Zeit. Oben in dem Schlafzimmer, das uns angewiesen worden, betrachteten wir fast überrascht ein älteres Bild, ein lebendiges Schlachtengemälde, darstellend eine riesige Eiche, in deren Aesten Herrmann Balkhe, der deutsche Ordensmeister, ein hölzernes Castell erbaut hatte, welches vor unsern Augen von den heidnischen Preußen belagert, von den deutschen Rittern vertheidigt wurde. Auf derselben Stelle, wo die Eiche gestanden, soll, nach beigeschriebenem

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[353/0357] Gehen wir vom Sandwirthshause weiter, so erreichen wir bald St. Leonhard, den Hauptort des Thales und Sitz des Landgerichts – ein hübsches baumreiches Dorf mit vielen steinernen Häusern, von der Passer durchrauscht. Im Winkel des Thales, wo der vielbetretene Weg über den Jaufen anhebt, steht die stolze Jaufenburg, aus deren Fenstern man in die von Löwenberg bei Meran sieht. Sie war einmal der Sitz eines ansehnlichen Geschlechts, jetzt wohnt ein Bauer darin. Zur linken Seite, der Passer nach, gelangt man in die innern Schlünde des Thales, die auf den Timmels führen, von welchem man ins Oetzthal niedersteigt. Um die beiden Dörfer her, um St. Leonhard nämlich und St. Martin sieht man auf den Halden noch mehrere Höfe, die ansehnlicher sind als gemeine Bauernhäuser, ja mitunter sogar wehrhaft und streitbar wie kleine Bergvesten. Dieß sind die Schildhöfe von Passeyer, ursprünglich eilf an der Zahl. Sie waren sämmtlich landesfürstliche Lehen, mit manchen Freiheiten begabt, wofür der jeweilige Lehensträger bei den alten Grafen zum zeitenweisen Hofdienst auf Schloß Tirol verpflichtet war. Ihr Hauptmann war der Herr von Jaufenburg. Jetzt sind die Höfe alle von Bauern bewohnt – zur Erinnerung an den alten Stand erschienen aber die ehrsamen Mannen nach langem Laufe der Zeiten wieder zum Hofdienst und zur Burgwache auf Schloß Tirol im Jahre 1838 an jenem Tage, als der Kaiser Ferdinand in der alten Veste den Enkel des Sandwirths belehnte. Beim Stroblwirth zu St. Leonhard ist ungefähr die beste Einkehr. Der Wirth, als der Sohn eines der innigsten Vertrauten des Sandwirths, erinnert sich noch an manches Merkwürdige aus jener Zeit. Oben in dem Schlafzimmer, das uns angewiesen worden, betrachteten wir fast überrascht ein älteres Bild, ein lebendiges Schlachtengemälde, darstellend eine riesige Eiche, in deren Aesten Herrmann Balkhe, der deutsche Ordensmeister, ein hölzernes Castell erbaut hatte, welches vor unsern Augen von den heidnischen Preußen belagert, von den deutschen Rittern vertheidigt wurde. Auf derselben Stelle, wo die Eiche gestanden, soll, nach beigeschriebenem

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/357>, abgerufen am 23.11.2024.