Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.und geduldig auf ihrem Lager. Eine Bauernmaid, deren Theilnahme sie gewonnen, saß bei ihr und las aus der Legende vor. Ich machte auch meinen Krankenbesuch und stillte gerne die Neugier, wo ich denn zu Hause sey. Pater Florin, der greise, milde Capuciner aus Lana, löste mich bei ihr ab. Darauf stieg ich wieder in den lebhaften Hof hinunter. Ein alter, ärmlicher Bauersmann mit schneeweißen Haaren lag dort auf einem Sack an der Sonne, todesmüde. Er schloß die Augen - ich glaubte für immer - doch erwachte er an meinen Schritten, blickte mich an und lispelte: wo bleiben Sie? Neben dem alten Bauer saß regungslos ein junger, verwelkten Ansehens, stille Entsagung im Gesichte. Auf seinem grünen Hosenträger war ein rothes Herz eingestickt, das ein Pfeil durchbohrte. Sollte das etwas zu bedeuten haben? Solche bedauernswerthe Gestalten sah ich noch mehrere, jedenfalls genug um beizustimmen, wenn Dr. v. Hörmann in seiner Schrift über die Bäder des Etschlandes sagt: Ja, der Mensch im Gebirgslande ist keineswegs ein Riese an Kräften und Körperbau. Diese Behauptung ließ sich weiter belegen aus den Erscheinungen hinten im hölzernen Hause, wo die mindern Leute Mittag- und Abendmahl halten und in den Zwischenzeiten etwa ein Gläschen trinken. Gleichwohl besteht auch da eine bedeutende Minderheit aus Gästen, die das Wasser nur so nebenbei gebrauchen. Hier kommen dem Belehrungslustigen unter andern jene Sprachgränzbauern in den Wurf, welche da oben über dem Grate zu Unser Lieben Frau, Laureng und Proveis sitzen, in den deutschen Dörfern, die sich am obersten Bergsaume des wälschen Nonsberges finden, alle in wenigen Stunden zu erreichen, denn was wir schon längst hätten anbringen können, alsbald jenseits des Bergzuges, der die rechte Seite des Ultnerthales bildet, fängt das italienische Val di Non an. Die Bewohner dieses Hinterhauses leben nun sehr frugal und prunklos. Es ist angenehm zu bemerken, wie ihnen in ihrem sparsamen Treiben auch von der Wirthschaft nichts in den Weg gelegt wird, wie die Preise selbst sehr billig sind und wie ihnen alle Listen nachgesehen werden, mit denen sie des und geduldig auf ihrem Lager. Eine Bauernmaid, deren Theilnahme sie gewonnen, saß bei ihr und las aus der Legende vor. Ich machte auch meinen Krankenbesuch und stillte gerne die Neugier, wo ich denn zu Hause sey. Pater Florin, der greise, milde Capuciner aus Lana, löste mich bei ihr ab. Darauf stieg ich wieder in den lebhaften Hof hinunter. Ein alter, ärmlicher Bauersmann mit schneeweißen Haaren lag dort auf einem Sack an der Sonne, todesmüde. Er schloß die Augen – ich glaubte für immer – doch erwachte er an meinen Schritten, blickte mich an und lispelte: wo bleiben Sie? Neben dem alten Bauer saß regungslos ein junger, verwelkten Ansehens, stille Entsagung im Gesichte. Auf seinem grünen Hosenträger war ein rothes Herz eingestickt, das ein Pfeil durchbohrte. Sollte das etwas zu bedeuten haben? Solche bedauernswerthe Gestalten sah ich noch mehrere, jedenfalls genug um beizustimmen, wenn Dr. v. Hörmann in seiner Schrift über die Bäder des Etschlandes sagt: Ja, der Mensch im Gebirgslande ist keineswegs ein Riese an Kräften und Körperbau. Diese Behauptung ließ sich weiter belegen aus den Erscheinungen hinten im hölzernen Hause, wo die mindern Leute Mittag- und Abendmahl halten und in den Zwischenzeiten etwa ein Gläschen trinken. Gleichwohl besteht auch da eine bedeutende Minderheit aus Gästen, die das Wasser nur so nebenbei gebrauchen. Hier kommen dem Belehrungslustigen unter andern jene Sprachgränzbauern in den Wurf, welche da oben über dem Grate zu Unser Lieben Frau, Laureng und Proveis sitzen, in den deutschen Dörfern, die sich am obersten Bergsaume des wälschen Nonsberges finden, alle in wenigen Stunden zu erreichen, denn was wir schon längst hätten anbringen können, alsbald jenseits des Bergzuges, der die rechte Seite des Ultnerthales bildet, fängt das italienische Val di Non an. Die Bewohner dieses Hinterhauses leben nun sehr frugal und prunklos. Es ist angenehm zu bemerken, wie ihnen in ihrem sparsamen Treiben auch von der Wirthschaft nichts in den Weg gelegt wird, wie die Preise selbst sehr billig sind und wie ihnen alle Listen nachgesehen werden, mit denen sie des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0370" n="366"/> und geduldig auf ihrem Lager. Eine Bauernmaid, deren Theilnahme sie gewonnen, saß bei ihr und las aus der Legende vor. Ich machte auch meinen Krankenbesuch und stillte gerne die Neugier, wo ich denn zu Hause sey. Pater Florin, der greise, milde Capuciner aus Lana, löste mich bei ihr ab. Darauf stieg ich wieder in den lebhaften Hof hinunter. Ein alter, ärmlicher Bauersmann mit schneeweißen Haaren lag dort auf einem Sack an der Sonne, todesmüde. Er schloß die Augen – ich glaubte für immer – doch erwachte er an meinen Schritten, blickte mich an und lispelte: wo bleiben Sie? Neben dem alten Bauer saß regungslos ein junger, verwelkten Ansehens, stille Entsagung im Gesichte. Auf seinem grünen Hosenträger war ein rothes Herz eingestickt, das ein Pfeil durchbohrte. Sollte das etwas zu bedeuten haben? Solche bedauernswerthe Gestalten sah ich noch mehrere, jedenfalls genug um beizustimmen, wenn <hi rendition="#aq">Dr</hi>. v. Hörmann in seiner Schrift über die Bäder des Etschlandes sagt: Ja, der Mensch im Gebirgslande ist keineswegs ein Riese an Kräften und Körperbau.</p> <p>Diese Behauptung ließ sich weiter belegen aus den Erscheinungen hinten im hölzernen Hause, wo die mindern Leute Mittag- und Abendmahl halten und in den Zwischenzeiten etwa ein Gläschen trinken. Gleichwohl besteht auch da eine bedeutende Minderheit aus Gästen, die das Wasser nur so nebenbei gebrauchen. Hier kommen dem Belehrungslustigen unter andern jene Sprachgränzbauern in den Wurf, welche da oben über dem Grate zu Unser Lieben Frau, Laureng und Proveis sitzen, in den deutschen Dörfern, die sich am obersten Bergsaume des wälschen Nonsberges finden, alle in wenigen Stunden zu erreichen, denn was wir schon längst hätten anbringen können, alsbald jenseits des Bergzuges, der die rechte Seite des Ultnerthales bildet, fängt das italienische Val di Non an. Die Bewohner dieses Hinterhauses leben nun sehr frugal und prunklos. Es ist angenehm zu bemerken, wie ihnen in ihrem sparsamen Treiben auch von der Wirthschaft nichts in den Weg gelegt wird, wie die Preise selbst sehr billig sind und wie ihnen alle Listen nachgesehen werden, mit denen sie des </p> </div> </body> </text> </TEI> [366/0370]
und geduldig auf ihrem Lager. Eine Bauernmaid, deren Theilnahme sie gewonnen, saß bei ihr und las aus der Legende vor. Ich machte auch meinen Krankenbesuch und stillte gerne die Neugier, wo ich denn zu Hause sey. Pater Florin, der greise, milde Capuciner aus Lana, löste mich bei ihr ab. Darauf stieg ich wieder in den lebhaften Hof hinunter. Ein alter, ärmlicher Bauersmann mit schneeweißen Haaren lag dort auf einem Sack an der Sonne, todesmüde. Er schloß die Augen – ich glaubte für immer – doch erwachte er an meinen Schritten, blickte mich an und lispelte: wo bleiben Sie? Neben dem alten Bauer saß regungslos ein junger, verwelkten Ansehens, stille Entsagung im Gesichte. Auf seinem grünen Hosenträger war ein rothes Herz eingestickt, das ein Pfeil durchbohrte. Sollte das etwas zu bedeuten haben? Solche bedauernswerthe Gestalten sah ich noch mehrere, jedenfalls genug um beizustimmen, wenn Dr. v. Hörmann in seiner Schrift über die Bäder des Etschlandes sagt: Ja, der Mensch im Gebirgslande ist keineswegs ein Riese an Kräften und Körperbau.
Diese Behauptung ließ sich weiter belegen aus den Erscheinungen hinten im hölzernen Hause, wo die mindern Leute Mittag- und Abendmahl halten und in den Zwischenzeiten etwa ein Gläschen trinken. Gleichwohl besteht auch da eine bedeutende Minderheit aus Gästen, die das Wasser nur so nebenbei gebrauchen. Hier kommen dem Belehrungslustigen unter andern jene Sprachgränzbauern in den Wurf, welche da oben über dem Grate zu Unser Lieben Frau, Laureng und Proveis sitzen, in den deutschen Dörfern, die sich am obersten Bergsaume des wälschen Nonsberges finden, alle in wenigen Stunden zu erreichen, denn was wir schon längst hätten anbringen können, alsbald jenseits des Bergzuges, der die rechte Seite des Ultnerthales bildet, fängt das italienische Val di Non an. Die Bewohner dieses Hinterhauses leben nun sehr frugal und prunklos. Es ist angenehm zu bemerken, wie ihnen in ihrem sparsamen Treiben auch von der Wirthschaft nichts in den Weg gelegt wird, wie die Preise selbst sehr billig sind und wie ihnen alle Listen nachgesehen werden, mit denen sie des
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |