Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.aufbauen helfen. Etwa nach anderthalb Stunden gemeinschaftlichen Steigens nahm der Begleiter Abschied. Ich setzte meinen Weg, der vor der Hand nicht zu verfehlen war, allein fort, ging in ein kleines, von zwei niedern Büheln gebildetes Thälchen ein und kam auf eine Galthütte zu, die zur Zeit verschlossen war. Den braunen Hirten sah man fern an des Hügels Rand seinen Ochsen nachgehen. Die Gegend war baumlos und traurig, die Aussicht genommen, die Wolken lagen tief und drohten zu regnen. Nach kurzer Rast brach ich wieder auf und kam ans Joch, an die Schneide des Ueberganges, wo eine Rinderheerde weidete. Hier bot sich eine herrliche Umschau; nur schade, daß viele Nebel auf den Höhen lagen. Ein ungeheurer Bergkranz schlang sich um mich her. Ganz nahe zur Rechten standen düstergrau und unheimlich die Zacken des Ifingers, der sich über Meran erhebt. Vor allem anziehend war das große Dolomitenreich im Osten, seiner ganzen Länge nach übersehbar, in feuchter verklärender Beleuchtung einer durch Gewitterwolken brechenden Morgensonne. Der Schlern, das breite Meerthier, wird von seinen Hinternachbarn rückwärts mächtig überragt. Die Dolomiten stehen in langen Reihen drei und vier Mann hoch über einander und strecken ihre Haifischzähne in die Wette empor, um sich gegenseitig zu ergänzen. Nichts Prächtigeres als diese über einander liegenden, aus einander sich erhebenden und in einander sich verlierenden Ungethüme, die ersten blaugrün, dann blau, dann bleich und geisterhaft und fast verschwimmend in der Luft. Die Mendel, die rothe, im tiefen Etschland überall eine bedeutende Erscheinung, ist hier ein bescheidenes Bergbuckelchen, das sich neben den mächtigen Eisbergen, die die südlichen Hintermänner sind, nur für seine Freunde und Bekannten geltend machen kann. Diese italischen Ferner, die hinter dem Sulzberg (Val di Sole) in ewig weißem Mantel aufsteigen, wenig besucht und umgangen, kaum irgendwo genannt, vielleicht nie bestiegen, unbekannte Größen selbst für die menschlichen Nachbarn, erschienen mir jeweils, so oft sie an verschiedenen Orten vor meine Augen traten, in einem mystischen Schimmer. Es ist eine Spitze darunter, die von hier besehen, obgleich weiter aufbauen helfen. Etwa nach anderthalb Stunden gemeinschaftlichen Steigens nahm der Begleiter Abschied. Ich setzte meinen Weg, der vor der Hand nicht zu verfehlen war, allein fort, ging in ein kleines, von zwei niedern Büheln gebildetes Thälchen ein und kam auf eine Galthütte zu, die zur Zeit verschlossen war. Den braunen Hirten sah man fern an des Hügels Rand seinen Ochsen nachgehen. Die Gegend war baumlos und traurig, die Aussicht genommen, die Wolken lagen tief und drohten zu regnen. Nach kurzer Rast brach ich wieder auf und kam ans Joch, an die Schneide des Ueberganges, wo eine Rinderheerde weidete. Hier bot sich eine herrliche Umschau; nur schade, daß viele Nebel auf den Höhen lagen. Ein ungeheurer Bergkranz schlang sich um mich her. Ganz nahe zur Rechten standen düstergrau und unheimlich die Zacken des Ifingers, der sich über Meran erhebt. Vor allem anziehend war das große Dolomitenreich im Osten, seiner ganzen Länge nach übersehbar, in feuchter verklärender Beleuchtung einer durch Gewitterwolken brechenden Morgensonne. Der Schlern, das breite Meerthier, wird von seinen Hinternachbarn rückwärts mächtig überragt. Die Dolomiten stehen in langen Reihen drei und vier Mann hoch über einander und strecken ihre Haifischzähne in die Wette empor, um sich gegenseitig zu ergänzen. Nichts Prächtigeres als diese über einander liegenden, aus einander sich erhebenden und in einander sich verlierenden Ungethüme, die ersten blaugrün, dann blau, dann bleich und geisterhaft und fast verschwimmend in der Luft. Die Mendel, die rothe, im tiefen Etschland überall eine bedeutende Erscheinung, ist hier ein bescheidenes Bergbuckelchen, das sich neben den mächtigen Eisbergen, die die südlichen Hintermänner sind, nur für seine Freunde und Bekannten geltend machen kann. Diese italischen Ferner, die hinter dem Sulzberg (Val di Sole) in ewig weißem Mantel aufsteigen, wenig besucht und umgangen, kaum irgendwo genannt, vielleicht nie bestiegen, unbekannte Größen selbst für die menschlichen Nachbarn, erschienen mir jeweils, so oft sie an verschiedenen Orten vor meine Augen traten, in einem mystischen Schimmer. Es ist eine Spitze darunter, die von hier besehen, obgleich weiter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0407" n="403"/> aufbauen helfen. Etwa nach anderthalb Stunden gemeinschaftlichen Steigens nahm der Begleiter Abschied. Ich setzte meinen Weg, der vor der Hand nicht zu verfehlen war, allein fort, ging in ein kleines, von zwei niedern Büheln gebildetes Thälchen ein und kam auf eine Galthütte zu, die zur Zeit verschlossen war. Den braunen Hirten sah man fern an des Hügels Rand seinen Ochsen nachgehen. Die Gegend war baumlos und traurig, die Aussicht genommen, die Wolken lagen tief und drohten zu regnen.</p> <p>Nach kurzer Rast brach ich wieder auf und kam ans Joch, an die Schneide des Ueberganges, wo eine Rinderheerde weidete. Hier bot sich eine herrliche Umschau; nur schade, daß viele Nebel auf den Höhen lagen. Ein ungeheurer Bergkranz schlang sich um mich her. Ganz nahe zur Rechten standen düstergrau und unheimlich die Zacken des Ifingers, der sich über Meran erhebt. Vor allem anziehend war das große Dolomitenreich im Osten, seiner ganzen Länge nach übersehbar, in feuchter verklärender Beleuchtung einer durch Gewitterwolken brechenden Morgensonne. Der Schlern, das breite Meerthier, wird von seinen Hinternachbarn rückwärts mächtig überragt. Die Dolomiten stehen in langen Reihen drei und vier Mann hoch über einander und strecken ihre Haifischzähne in die Wette empor, um sich gegenseitig zu ergänzen. Nichts Prächtigeres als diese über einander liegenden, aus einander sich erhebenden und in einander sich verlierenden Ungethüme, die ersten blaugrün, dann blau, dann bleich und geisterhaft und fast verschwimmend in der Luft. Die Mendel, die rothe, im tiefen Etschland überall eine bedeutende Erscheinung, ist hier ein bescheidenes Bergbuckelchen, das sich neben den mächtigen Eisbergen, die die südlichen Hintermänner sind, nur für seine Freunde und Bekannten geltend machen kann. Diese italischen Ferner, die hinter dem Sulzberg (Val di Sole) in ewig weißem Mantel aufsteigen, wenig besucht und umgangen, kaum irgendwo genannt, vielleicht nie bestiegen, unbekannte Größen selbst für die menschlichen Nachbarn, erschienen mir jeweils, so oft sie an verschiedenen Orten vor meine Augen traten, in einem mystischen Schimmer. Es ist eine Spitze darunter, die von hier besehen, obgleich weiter </p> </div> </body> </text> </TEI> [403/0407]
aufbauen helfen. Etwa nach anderthalb Stunden gemeinschaftlichen Steigens nahm der Begleiter Abschied. Ich setzte meinen Weg, der vor der Hand nicht zu verfehlen war, allein fort, ging in ein kleines, von zwei niedern Büheln gebildetes Thälchen ein und kam auf eine Galthütte zu, die zur Zeit verschlossen war. Den braunen Hirten sah man fern an des Hügels Rand seinen Ochsen nachgehen. Die Gegend war baumlos und traurig, die Aussicht genommen, die Wolken lagen tief und drohten zu regnen.
Nach kurzer Rast brach ich wieder auf und kam ans Joch, an die Schneide des Ueberganges, wo eine Rinderheerde weidete. Hier bot sich eine herrliche Umschau; nur schade, daß viele Nebel auf den Höhen lagen. Ein ungeheurer Bergkranz schlang sich um mich her. Ganz nahe zur Rechten standen düstergrau und unheimlich die Zacken des Ifingers, der sich über Meran erhebt. Vor allem anziehend war das große Dolomitenreich im Osten, seiner ganzen Länge nach übersehbar, in feuchter verklärender Beleuchtung einer durch Gewitterwolken brechenden Morgensonne. Der Schlern, das breite Meerthier, wird von seinen Hinternachbarn rückwärts mächtig überragt. Die Dolomiten stehen in langen Reihen drei und vier Mann hoch über einander und strecken ihre Haifischzähne in die Wette empor, um sich gegenseitig zu ergänzen. Nichts Prächtigeres als diese über einander liegenden, aus einander sich erhebenden und in einander sich verlierenden Ungethüme, die ersten blaugrün, dann blau, dann bleich und geisterhaft und fast verschwimmend in der Luft. Die Mendel, die rothe, im tiefen Etschland überall eine bedeutende Erscheinung, ist hier ein bescheidenes Bergbuckelchen, das sich neben den mächtigen Eisbergen, die die südlichen Hintermänner sind, nur für seine Freunde und Bekannten geltend machen kann. Diese italischen Ferner, die hinter dem Sulzberg (Val di Sole) in ewig weißem Mantel aufsteigen, wenig besucht und umgangen, kaum irgendwo genannt, vielleicht nie bestiegen, unbekannte Größen selbst für die menschlichen Nachbarn, erschienen mir jeweils, so oft sie an verschiedenen Orten vor meine Augen traten, in einem mystischen Schimmer. Es ist eine Spitze darunter, die von hier besehen, obgleich weiter
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