Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Tapetenverkleidung bildeten. Im Dörfchen regierte tiefe Stille und wollte uns fast bedünken, als wenn alles fort wäre, um so mehr als wir auch im Wirthshause die Thüre verschlossen fanden. Doch gelang es uns durch die Scheune einzudringen und auf diesem Wege endlich auch die Wirthin zu erschreien, die im Speicher mit ihren Vorräthen beschäftigt war. Sie sprach deutsch, wie es die Grödnerinnen sprechen, d. h. immer mit einem wälschen Rückhalte und mit großem Anstoß am R. Es wurde ihr eröffnet, daß wir geschwind noch grödnerisch zu lernen gedächten ehe wir ins Thal hinunterstiegen und über diese Absicht, so wie über die Eilfertigkeit, mit welcher wir sie betrieben, fing sie herzlich zu lachen an. Wir blieben gleichwohl fest bei unserm Vorsatze und hielten fürs Beste uns zuerst mit ihrer Bibliothek bekannt zu machen. Wir fragten also, ob sie keine grödnerischen Bücher habe, was sie freundlich bejahte. Sie ging darauf an einen hübschen Schrank und holte ein schönes Buch heraus in schwarzen Saffian mit goldenem Schnitt gebunden. Dieß schlugen wir hastig auf, fanden aber nichts anders, als ein italienisches Gebetbuch, gedruckt zu Trient oder Bassano. Ja, habt ihr denn nicht etwa ein grödnerisches Buch, ein Buch in der Sprache von Gröden? Nein, sagte sie, anders kann man unsre Sprache nicht drucken, als so wie da - mit welchen Worten sie eigentlich ganz in ihrem Rechte war. Nachdem also auf diesem Wege nichts zu erreichen, so versuchten wir's auf mündlichem und baten sie, uns das Vater Unser zu dictiren. Auch dieß that sie mit großer Bereitwilligkeit, aber wir hörten schon an den ersten Worten, daß hier zu Lande das Gebet des Herrn in italienischer Sprache verrichtet werde und ersparten uns die Mühe es nachzuschreiben. Dagegen fragten wir die Frau, ob sie denn nicht auch grödnerisch zu beten wisse, sie aber antwortete, das grödnerische Vater Unser sey längst abgeschafft und nur einige alte Männer führten's noch im Munde, die andern beten es alle "klugwälsch." *) *) Klugwälsch heißen die Grödner und Enneberger, wenn sie deutsch sprechen, das Italienische. Diesem entgegensetzt ist der deutsche
Tapetenverkleidung bildeten. Im Dörfchen regierte tiefe Stille und wollte uns fast bedünken, als wenn alles fort wäre, um so mehr als wir auch im Wirthshause die Thüre verschlossen fanden. Doch gelang es uns durch die Scheune einzudringen und auf diesem Wege endlich auch die Wirthin zu erschreien, die im Speicher mit ihren Vorräthen beschäftigt war. Sie sprach deutsch, wie es die Grödnerinnen sprechen, d. h. immer mit einem wälschen Rückhalte und mit großem Anstoß am R. Es wurde ihr eröffnet, daß wir geschwind noch grödnerisch zu lernen gedächten ehe wir ins Thal hinunterstiegen und über diese Absicht, so wie über die Eilfertigkeit, mit welcher wir sie betrieben, fing sie herzlich zu lachen an. Wir blieben gleichwohl fest bei unserm Vorsatze und hielten fürs Beste uns zuerst mit ihrer Bibliothek bekannt zu machen. Wir fragten also, ob sie keine grödnerischen Bücher habe, was sie freundlich bejahte. Sie ging darauf an einen hübschen Schrank und holte ein schönes Buch heraus in schwarzen Saffian mit goldenem Schnitt gebunden. Dieß schlugen wir hastig auf, fanden aber nichts anders, als ein italienisches Gebetbuch, gedruckt zu Trient oder Bassano. Ja, habt ihr denn nicht etwa ein grödnerisches Buch, ein Buch in der Sprache von Gröden? Nein, sagte sie, anders kann man unsre Sprache nicht drucken, als so wie da – mit welchen Worten sie eigentlich ganz in ihrem Rechte war. Nachdem also auf diesem Wege nichts zu erreichen, so versuchten wir’s auf mündlichem und baten sie, uns das Vater Unser zu dictiren. Auch dieß that sie mit großer Bereitwilligkeit, aber wir hörten schon an den ersten Worten, daß hier zu Lande das Gebet des Herrn in italienischer Sprache verrichtet werde und ersparten uns die Mühe es nachzuschreiben. Dagegen fragten wir die Frau, ob sie denn nicht auch grödnerisch zu beten wisse, sie aber antwortete, das grödnerische Vater Unser sey längst abgeschafft und nur einige alte Männer führten’s noch im Munde, die andern beten es alle „klugwälsch.“ *) *) Klugwälsch heißen die Grödner und Enneberger, wenn sie deutsch sprechen, das Italienische. Diesem entgegensetzt ist der deutsche
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0420" n="416"/> Tapetenverkleidung bildeten. Im Dörfchen regierte tiefe Stille und wollte uns fast bedünken, als wenn alles fort wäre, um so mehr als wir auch im Wirthshause die Thüre verschlossen fanden. Doch gelang es uns durch die Scheune einzudringen und auf diesem Wege endlich auch die Wirthin zu erschreien, die im Speicher mit ihren Vorräthen beschäftigt war. Sie sprach deutsch, wie es die Grödnerinnen sprechen, d. h. immer mit einem wälschen Rückhalte und mit großem Anstoß am R. Es wurde ihr eröffnet, daß wir geschwind noch grödnerisch zu lernen gedächten ehe wir ins Thal hinunterstiegen und über diese Absicht, so wie über die Eilfertigkeit, mit welcher wir sie betrieben, fing sie herzlich zu lachen an. Wir blieben gleichwohl fest bei unserm Vorsatze und hielten fürs Beste uns zuerst mit ihrer Bibliothek bekannt zu machen. Wir fragten also, ob sie keine grödnerischen Bücher habe, was sie freundlich bejahte. Sie ging darauf an einen hübschen Schrank und holte ein schönes Buch heraus in schwarzen Saffian mit goldenem Schnitt gebunden. Dieß schlugen wir hastig auf, fanden aber nichts anders, als ein italienisches Gebetbuch, gedruckt zu Trient oder Bassano. Ja, habt ihr denn nicht etwa ein grödnerisches Buch, ein Buch in der Sprache von Gröden? Nein, sagte sie, anders kann man unsre Sprache nicht drucken, als so wie da – mit welchen Worten sie eigentlich ganz in ihrem Rechte war. Nachdem also auf diesem Wege nichts zu erreichen, so versuchten wir’s auf mündlichem und baten sie, uns das Vater Unser zu dictiren. Auch dieß that sie mit großer Bereitwilligkeit, aber wir hörten schon an den ersten Worten, daß hier zu Lande das Gebet des Herrn in italienischer Sprache verrichtet werde und ersparten uns die Mühe es nachzuschreiben. Dagegen fragten wir die Frau, ob sie denn nicht auch grödnerisch zu beten wisse, sie aber antwortete, das grödnerische Vater Unser sey längst abgeschafft und nur einige alte Männer führten’s noch im Munde, die andern beten es alle „klugwälsch.“ <note xml:id="note-0420" next="note-0421" place="foot" n="*)">Klugwälsch heißen die Grödner und Enneberger, wenn sie deutsch sprechen, das Italienische. Diesem entgegensetzt ist der deutsche</note></p> </div> </body> </text> </TEI> [416/0420]
Tapetenverkleidung bildeten. Im Dörfchen regierte tiefe Stille und wollte uns fast bedünken, als wenn alles fort wäre, um so mehr als wir auch im Wirthshause die Thüre verschlossen fanden. Doch gelang es uns durch die Scheune einzudringen und auf diesem Wege endlich auch die Wirthin zu erschreien, die im Speicher mit ihren Vorräthen beschäftigt war. Sie sprach deutsch, wie es die Grödnerinnen sprechen, d. h. immer mit einem wälschen Rückhalte und mit großem Anstoß am R. Es wurde ihr eröffnet, daß wir geschwind noch grödnerisch zu lernen gedächten ehe wir ins Thal hinunterstiegen und über diese Absicht, so wie über die Eilfertigkeit, mit welcher wir sie betrieben, fing sie herzlich zu lachen an. Wir blieben gleichwohl fest bei unserm Vorsatze und hielten fürs Beste uns zuerst mit ihrer Bibliothek bekannt zu machen. Wir fragten also, ob sie keine grödnerischen Bücher habe, was sie freundlich bejahte. Sie ging darauf an einen hübschen Schrank und holte ein schönes Buch heraus in schwarzen Saffian mit goldenem Schnitt gebunden. Dieß schlugen wir hastig auf, fanden aber nichts anders, als ein italienisches Gebetbuch, gedruckt zu Trient oder Bassano. Ja, habt ihr denn nicht etwa ein grödnerisches Buch, ein Buch in der Sprache von Gröden? Nein, sagte sie, anders kann man unsre Sprache nicht drucken, als so wie da – mit welchen Worten sie eigentlich ganz in ihrem Rechte war. Nachdem also auf diesem Wege nichts zu erreichen, so versuchten wir’s auf mündlichem und baten sie, uns das Vater Unser zu dictiren. Auch dieß that sie mit großer Bereitwilligkeit, aber wir hörten schon an den ersten Worten, daß hier zu Lande das Gebet des Herrn in italienischer Sprache verrichtet werde und ersparten uns die Mühe es nachzuschreiben. Dagegen fragten wir die Frau, ob sie denn nicht auch grödnerisch zu beten wisse, sie aber antwortete, das grödnerische Vater Unser sey längst abgeschafft und nur einige alte Männer führten’s noch im Munde, die andern beten es alle „klugwälsch.“ *)
*) Klugwälsch heißen die Grödner und Enneberger, wenn sie deutsch sprechen, das Italienische. Diesem entgegensetzt ist der deutsche
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |