Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Wir sprachen so einige Zeit hin und her ohne sonderliche Ergebnisse für unsre Wißbegierde, bis ihr plötzlich ein Gedanke kam, der unserm Unternehmen sehr förderlich war. Sie lief nämlich in ein Nachbarhaus und brachte einen Jungen mit, einen gescheidt aussehenden Jungen von etwa vierzehn Jahren, mit Namen Johann N. N., den sie uns mit den Worten vorstellte: der kann euch lehren die Sprach' von Gardena besser als ich. Und in der That war der Knabe dem Geschäfte sehr gewachsen, da er ein Pufelser von Geburt, bei Verwandten in Bozen des Schulbesuchs wegen sich aufhielt, gegenwärtig nur zur Sommerfrische im Geburtsort verweilend, der deutschen Sprache vollkommen mächtig und in grammatischen Dingen wenigstens so weit erfahren war, daß man ihm nicht zu erklären brauchte, was unter Geschlecht und Beugung, unter Gegenwart und halbvergangener Zeit zu verstehen sey. Johann N. N., unser Lehrer, setzte sich also auf einen Stuhl, dem gegenüber wir ein Seidel Wein für ihn aufstellen ließen und somit begannen die Forschungen in der Sprache von Gardena. *) Unser ernsthaftes Geschäft wurde sehr heiter und unter vielem Lachen betrieben. Der Junge so gut als die Wirthin war Anfangs der Meinung, es liefe alles nur auf einen Spaß hinaus, da sie bis dahin noch von keinem vernünftigen Menschen gehört, der sich im Ernst mit der Grödnersprache beschäftigt hätte. Und wenn's ihnen schon lustig vorkam, daß wir uns mit diesem Wälsch einen Spaß machen wollten, so schien es ihnen fast noch komischer, als sie sahen, daß es der bitterste Ernst sey. Auch kam es vor, daß wir zu lachen anfingen, wenn der Junge eben aufgehört hatte, denn da er nur das Deutsche schulgerecht zu behandeln wußte, aber das Grödnerische nie von dieser Seite betrachtet hatte, so dünkten Name für ihre Sprache, die sie sonst ladin nennen - krautwälsch. Das d in ladin klingt übrigens wie ein weiches englisches th oder neugriechisches d. *) Gröden ist der deutsche Name, Gardena der italienische, Gherdeina der ladinische.
Wir sprachen so einige Zeit hin und her ohne sonderliche Ergebnisse für unsre Wißbegierde, bis ihr plötzlich ein Gedanke kam, der unserm Unternehmen sehr förderlich war. Sie lief nämlich in ein Nachbarhaus und brachte einen Jungen mit, einen gescheidt aussehenden Jungen von etwa vierzehn Jahren, mit Namen Johann N. N., den sie uns mit den Worten vorstellte: der kann euch lehren die Sprach’ von Gardena besser als ich. Und in der That war der Knabe dem Geschäfte sehr gewachsen, da er ein Pufelser von Geburt, bei Verwandten in Bozen des Schulbesuchs wegen sich aufhielt, gegenwärtig nur zur Sommerfrische im Geburtsort verweilend, der deutschen Sprache vollkommen mächtig und in grammatischen Dingen wenigstens so weit erfahren war, daß man ihm nicht zu erklären brauchte, was unter Geschlecht und Beugung, unter Gegenwart und halbvergangener Zeit zu verstehen sey. Johann N. N., unser Lehrer, setzte sich also auf einen Stuhl, dem gegenüber wir ein Seidel Wein für ihn aufstellen ließen und somit begannen die Forschungen in der Sprache von Gardena. *) Unser ernsthaftes Geschäft wurde sehr heiter und unter vielem Lachen betrieben. Der Junge so gut als die Wirthin war Anfangs der Meinung, es liefe alles nur auf einen Spaß hinaus, da sie bis dahin noch von keinem vernünftigen Menschen gehört, der sich im Ernst mit der Grödnersprache beschäftigt hätte. Und wenn’s ihnen schon lustig vorkam, daß wir uns mit diesem Wälsch einen Spaß machen wollten, so schien es ihnen fast noch komischer, als sie sahen, daß es der bitterste Ernst sey. Auch kam es vor, daß wir zu lachen anfingen, wenn der Junge eben aufgehört hatte, denn da er nur das Deutsche schulgerecht zu behandeln wußte, aber das Grödnerische nie von dieser Seite betrachtet hatte, so dünkten Name für ihre Sprache, die sie sonst ladin nennen – krautwälsch. Das d in ladin klingt übrigens wie ein weiches englisches th oder neugriechisches δ. *) Gröden ist der deutsche Name, Gardéna der italienische, Gherdeina der ladinische.
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Wir sprachen so einige Zeit hin und her ohne sonderliche Ergebnisse für unsre Wißbegierde, bis ihr plötzlich ein Gedanke kam, der unserm Unternehmen sehr förderlich war. Sie lief nämlich in ein Nachbarhaus und brachte einen Jungen mit, einen gescheidt aussehenden Jungen von etwa vierzehn Jahren, mit Namen Johann N. N., den sie uns mit den Worten vorstellte: der kann euch lehren die Sprach’ von Gardena besser als ich. Und in der That war der Knabe dem Geschäfte sehr gewachsen, da er ein Pufelser von Geburt, bei Verwandten in Bozen des Schulbesuchs wegen sich aufhielt, gegenwärtig nur zur Sommerfrische im Geburtsort verweilend, der deutschen Sprache vollkommen mächtig und in grammatischen Dingen wenigstens so weit erfahren war, daß man ihm nicht zu erklären brauchte, was unter Geschlecht und Beugung, unter Gegenwart und halbvergangener Zeit zu verstehen sey. Johann N. N., unser Lehrer, setzte sich also auf einen Stuhl, dem gegenüber wir ein Seidel Wein für ihn aufstellen ließen und somit begannen die Forschungen in der Sprache von Gardena. *)
*) Unser ernsthaftes Geschäft wurde sehr heiter und unter vielem Lachen betrieben. Der Junge so gut als die Wirthin war Anfangs der Meinung, es liefe alles nur auf einen Spaß hinaus, da sie bis dahin noch von keinem vernünftigen Menschen gehört, der sich im Ernst mit der Grödnersprache beschäftigt hätte. Und wenn’s ihnen schon lustig vorkam, daß wir uns mit diesem Wälsch einen Spaß machen wollten, so schien es ihnen fast noch komischer, als sie sahen, daß es der bitterste Ernst sey. Auch kam es vor, daß wir zu lachen anfingen, wenn der Junge eben aufgehört hatte, denn da er nur das Deutsche schulgerecht zu behandeln wußte, aber das Grödnerische nie von dieser Seite betrachtet hatte, so dünkten
*) Gröden ist der deutsche Name, Gardéna der italienische, Gherdeina der ladinische.
*) Name für ihre Sprache, die sie sonst ladin nennen – krautwälsch. Das d in ladin klingt übrigens wie ein weiches englisches th oder neugriechisches δ.
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Zitationshilfe: | Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/421>, abgerufen am 17.06.2024. |