Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Mondenschimmer! Die stillen Alpenweiden, die starren Schrofen, die hohen Jöcher mit den glänzenden Schneefeldern, alles so lautlos und feierlich! Nur der Bach, der tosende, sprach sein Wort in dieser Stille und zwar zehnmal wilder, als am hellen Tage. Als ich in der Frühe die Decke abgeschüttelt und die Thüre geöffnet hatte, war alles neblig, um und um, die Bergspitzen sämmtlich verhüllt, selbst die niedern Weiden nicht frei. Gleichwohl hoffte ich, die Luft würde ihren Trübsinn noch zeitig lassen und machte mich auf, dem Bach entlang gegen Alpein zu gehen, da ich denn, einmal in solcher Nähe, nicht gerne wieder abziehen wollte, ohne den Ferner gesehen zu haben. Ich kam bis an den hohen Bergvorhang, wo der Steig steil aufwärts geht. Dort ist ein brüllender Wasserfall, der stäubend in ein Felsengrab springt, um sich in grauenvollen Wirbeln wieder daraus loszureißen. Als ich mit wonnevollem Grausen das Bild beschaute, begann es zu regnen. So kehrte ich zurück zu meiner lieben Sennerin. Des Mädchens Trutzlichkeit war noch wie am Abende vorher. Ich dachte wir würden uns jetzt bei dem trüben Regen durch Gespräch die Zeit vertreiben und unsre Ideen friedfertig austauschen, allein sie hatte genug an den ihren und wollte nichts von den meinigen. Drum setzte ich mich allein ins Kämmerlein, zog meinen Bleistift heraus und schrieb an meinem Tagebuche, während der Regen draußen plätschernd von den Schindeln lief. So wartete ich bis 10 Uhr, und da hörte zwar der Regen auf, aber die Nebel saßen noch immer fest im Thale und thaten nicht, als wenn sie sich verziehen wollten. Deßwegen schien's mir gut, mich mit den bereits gesehenen Fernern zu trösten und den schönen von Alpein sich selbst zu überlassen. Also ging ich - und Niemand gab mir das Geleite, nicht einmal bis zur Thüre - bergabwärts, einen sehr, gangbaren Weg, kam noch durch ein Dorf von Sennhütten und dann wieder in perennirend bewohnte Gegenden, wo hübsche Häuser, steinerne und hölzerne, eines über dem andern an den Halden hinauf standen, umgeben von Gerstenfeldern, die eben gemäht Mondenschimmer! Die stillen Alpenweiden, die starren Schrofen, die hohen Jöcher mit den glänzenden Schneefeldern, alles so lautlos und feierlich! Nur der Bach, der tosende, sprach sein Wort in dieser Stille und zwar zehnmal wilder, als am hellen Tage. Als ich in der Frühe die Decke abgeschüttelt und die Thüre geöffnet hatte, war alles neblig, um und um, die Bergspitzen sämmtlich verhüllt, selbst die niedern Weiden nicht frei. Gleichwohl hoffte ich, die Luft würde ihren Trübsinn noch zeitig lassen und machte mich auf, dem Bach entlang gegen Alpein zu gehen, da ich denn, einmal in solcher Nähe, nicht gerne wieder abziehen wollte, ohne den Ferner gesehen zu haben. Ich kam bis an den hohen Bergvorhang, wo der Steig steil aufwärts geht. Dort ist ein brüllender Wasserfall, der stäubend in ein Felsengrab springt, um sich in grauenvollen Wirbeln wieder daraus loszureißen. Als ich mit wonnevollem Grausen das Bild beschaute, begann es zu regnen. So kehrte ich zurück zu meiner lieben Sennerin. Des Mädchens Trutzlichkeit war noch wie am Abende vorher. Ich dachte wir würden uns jetzt bei dem trüben Regen durch Gespräch die Zeit vertreiben und unsre Ideen friedfertig austauschen, allein sie hatte genug an den ihren und wollte nichts von den meinigen. Drum setzte ich mich allein ins Kämmerlein, zog meinen Bleistift heraus und schrieb an meinem Tagebuche, während der Regen draußen plätschernd von den Schindeln lief. So wartete ich bis 10 Uhr, und da hörte zwar der Regen auf, aber die Nebel saßen noch immer fest im Thale und thaten nicht, als wenn sie sich verziehen wollten. Deßwegen schien’s mir gut, mich mit den bereits gesehenen Fernern zu trösten und den schönen von Alpein sich selbst zu überlassen. Also ging ich – und Niemand gab mir das Geleite, nicht einmal bis zur Thüre – bergabwärts, einen sehr, gangbaren Weg, kam noch durch ein Dorf von Sennhütten und dann wieder in perennirend bewohnte Gegenden, wo hübsche Häuser, steinerne und hölzerne, eines über dem andern an den Halden hinauf standen, umgeben von Gerstenfeldern, die eben gemäht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0492" n="488"/> Mondenschimmer! Die stillen Alpenweiden, die starren Schrofen, die hohen Jöcher mit den glänzenden Schneefeldern, alles so lautlos und feierlich! 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Ich dachte wir würden uns jetzt bei dem trüben Regen durch Gespräch die Zeit vertreiben und unsre Ideen friedfertig austauschen, allein sie hatte genug an den ihren und wollte nichts von den meinigen. Drum setzte ich mich allein ins Kämmerlein, zog meinen Bleistift heraus und schrieb an meinem Tagebuche, während der Regen draußen plätschernd von den Schindeln lief.</p> <p>So wartete ich bis 10 Uhr, und da hörte zwar der Regen auf, aber die Nebel saßen noch immer fest im Thale und thaten nicht, als wenn sie sich verziehen wollten. Deßwegen schien’s mir gut, mich mit den bereits gesehenen Fernern zu trösten und den schönen von Alpein sich selbst zu überlassen. Also ging ich – und Niemand gab mir das Geleite, nicht einmal bis zur Thüre – bergabwärts, einen sehr, gangbaren Weg, kam noch durch ein Dorf von Sennhütten und dann wieder in perennirend bewohnte Gegenden, wo hübsche Häuser, steinerne und hölzerne, eines über dem andern an den Halden hinauf standen, umgeben von Gerstenfeldern, die eben gemäht </p> </div> </body> </text> </TEI> [488/0492]
Mondenschimmer! Die stillen Alpenweiden, die starren Schrofen, die hohen Jöcher mit den glänzenden Schneefeldern, alles so lautlos und feierlich! Nur der Bach, der tosende, sprach sein Wort in dieser Stille und zwar zehnmal wilder, als am hellen Tage.
Als ich in der Frühe die Decke abgeschüttelt und die Thüre geöffnet hatte, war alles neblig, um und um, die Bergspitzen sämmtlich verhüllt, selbst die niedern Weiden nicht frei. Gleichwohl hoffte ich, die Luft würde ihren Trübsinn noch zeitig lassen und machte mich auf, dem Bach entlang gegen Alpein zu gehen, da ich denn, einmal in solcher Nähe, nicht gerne wieder abziehen wollte, ohne den Ferner gesehen zu haben. Ich kam bis an den hohen Bergvorhang, wo der Steig steil aufwärts geht. Dort ist ein brüllender Wasserfall, der stäubend in ein Felsengrab springt, um sich in grauenvollen Wirbeln wieder daraus loszureißen. Als ich mit wonnevollem Grausen das Bild beschaute, begann es zu regnen. So kehrte ich zurück zu meiner lieben Sennerin.
Des Mädchens Trutzlichkeit war noch wie am Abende vorher. Ich dachte wir würden uns jetzt bei dem trüben Regen durch Gespräch die Zeit vertreiben und unsre Ideen friedfertig austauschen, allein sie hatte genug an den ihren und wollte nichts von den meinigen. Drum setzte ich mich allein ins Kämmerlein, zog meinen Bleistift heraus und schrieb an meinem Tagebuche, während der Regen draußen plätschernd von den Schindeln lief.
So wartete ich bis 10 Uhr, und da hörte zwar der Regen auf, aber die Nebel saßen noch immer fest im Thale und thaten nicht, als wenn sie sich verziehen wollten. Deßwegen schien’s mir gut, mich mit den bereits gesehenen Fernern zu trösten und den schönen von Alpein sich selbst zu überlassen. Also ging ich – und Niemand gab mir das Geleite, nicht einmal bis zur Thüre – bergabwärts, einen sehr, gangbaren Weg, kam noch durch ein Dorf von Sennhütten und dann wieder in perennirend bewohnte Gegenden, wo hübsche Häuser, steinerne und hölzerne, eines über dem andern an den Halden hinauf standen, umgeben von Gerstenfeldern, die eben gemäht
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