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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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waren, bis herab nach Neustift, das in einem milden Thale liegt, im grünen Laub der Bäume, die sich an dem Fernerbach hinziehen, wie die Weiden an den Lechcanälen bei Augsburg.

Da man nicht gerne einen Zug verschweigt, der irgend einen mißfälligen Schatten mildern kann, so erwähne ich auch mit Vergnügen, daß mir der Wirth von Neustift anvertraut, das Mädchen auf der Alm zu Isse sey eine besonders brave und rechtschaffene Person. Aber gar so viel wenig reden thut sie - meinte ich. Ach, sagte der Andre, sie würde schon freundlicher seyn, wenn sie besser mit Ihnen bekannt wäre. Ich dankte ihm herzlich für diese Beruhigung.

Im vorigen Jahrhundert lebte zu Neustift Franz Penz, ein Priester, der aber nicht allein die Seelen auferbaute, sondern auch Kirchen und Pfarrhäuser. Er war ein Bauernsohn aus dem kleinen Thale Navis, das bei Steinach in das Wippthal ausmündet. Kaum hatte ihn der Bischof zum Priester geweiht, als er so verläßliche Zeichen seines inwohnenden Meisterthums an den Tag legte, daß ihn seine geistliche Obrigkeit immer an solche Orte als Seelsorger stellte, wo zugleich auch Bauten zu führen waren. Er löste alle diese Aufgaben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten wie der betheiligten Gemeinden und erlangte so allmählich große Anerkennung. Man weiß von vierzehn Kirchen und acht Pfarrhäusern, deren Bau er geleitet. Die Kirchen, die ich von ihm gesehen, und so auch die große Kirche zu Neustift, sind helle reinliche Säle in mildem Zopfstyle gehalten, sehr aufgeklärte Räume, ohne alle Mystik der Andacht, ohne alles Helldunkel, das der deutsche Beter braucht, um mit unserm Herrgott reden zu können. Es ist landesüblich sie zu bewundern, sie werden indessen nicht jeden überraschen. Ueberdieß liegt die Vermuthung nahe, der Pfarrer Franz Penz sey auch einer von denen gewesen, welche die alten ehrwürdigen gothischen Kirchlein, statt sie zu stützen und zu erhalten, niedergerissen, um ihre eigenen Kunststücke an die Stelle zu setzen. Ihm, als Mann des vorigen Jahrhunderts, wird man das noch lieber verzeihen, als den traurigen Baumeistern, die zu dieser Zeit in den

waren, bis herab nach Neustift, das in einem milden Thale liegt, im grünen Laub der Bäume, die sich an dem Fernerbach hinziehen, wie die Weiden an den Lechcanälen bei Augsburg.

Da man nicht gerne einen Zug verschweigt, der irgend einen mißfälligen Schatten mildern kann, so erwähne ich auch mit Vergnügen, daß mir der Wirth von Neustift anvertraut, das Mädchen auf der Alm zu Isse sey eine besonders brave und rechtschaffene Person. Aber gar so viel wenig reden thut sie – meinte ich. Ach, sagte der Andre, sie würde schon freundlicher seyn, wenn sie besser mit Ihnen bekannt wäre. Ich dankte ihm herzlich für diese Beruhigung.

Im vorigen Jahrhundert lebte zu Neustift Franz Penz, ein Priester, der aber nicht allein die Seelen auferbaute, sondern auch Kirchen und Pfarrhäuser. Er war ein Bauernsohn aus dem kleinen Thale Navis, das bei Steinach in das Wippthal ausmündet. Kaum hatte ihn der Bischof zum Priester geweiht, als er so verläßliche Zeichen seines inwohnenden Meisterthums an den Tag legte, daß ihn seine geistliche Obrigkeit immer an solche Orte als Seelsorger stellte, wo zugleich auch Bauten zu führen waren. Er löste alle diese Aufgaben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten wie der betheiligten Gemeinden und erlangte so allmählich große Anerkennung. Man weiß von vierzehn Kirchen und acht Pfarrhäusern, deren Bau er geleitet. Die Kirchen, die ich von ihm gesehen, und so auch die große Kirche zu Neustift, sind helle reinliche Säle in mildem Zopfstyle gehalten, sehr aufgeklärte Räume, ohne alle Mystik der Andacht, ohne alles Helldunkel, das der deutsche Beter braucht, um mit unserm Herrgott reden zu können. Es ist landesüblich sie zu bewundern, sie werden indessen nicht jeden überraschen. Ueberdieß liegt die Vermuthung nahe, der Pfarrer Franz Penz sey auch einer von denen gewesen, welche die alten ehrwürdigen gothischen Kirchlein, statt sie zu stützen und zu erhalten, niedergerissen, um ihre eigenen Kunststücke an die Stelle zu setzen. Ihm, als Mann des vorigen Jahrhunderts, wird man das noch lieber verzeihen, als den traurigen Baumeistern, die zu dieser Zeit in den

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[489/0493] waren, bis herab nach Neustift, das in einem milden Thale liegt, im grünen Laub der Bäume, die sich an dem Fernerbach hinziehen, wie die Weiden an den Lechcanälen bei Augsburg. Da man nicht gerne einen Zug verschweigt, der irgend einen mißfälligen Schatten mildern kann, so erwähne ich auch mit Vergnügen, daß mir der Wirth von Neustift anvertraut, das Mädchen auf der Alm zu Isse sey eine besonders brave und rechtschaffene Person. Aber gar so viel wenig reden thut sie – meinte ich. Ach, sagte der Andre, sie würde schon freundlicher seyn, wenn sie besser mit Ihnen bekannt wäre. Ich dankte ihm herzlich für diese Beruhigung. Im vorigen Jahrhundert lebte zu Neustift Franz Penz, ein Priester, der aber nicht allein die Seelen auferbaute, sondern auch Kirchen und Pfarrhäuser. Er war ein Bauernsohn aus dem kleinen Thale Navis, das bei Steinach in das Wippthal ausmündet. Kaum hatte ihn der Bischof zum Priester geweiht, als er so verläßliche Zeichen seines inwohnenden Meisterthums an den Tag legte, daß ihn seine geistliche Obrigkeit immer an solche Orte als Seelsorger stellte, wo zugleich auch Bauten zu führen waren. Er löste alle diese Aufgaben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten wie der betheiligten Gemeinden und erlangte so allmählich große Anerkennung. Man weiß von vierzehn Kirchen und acht Pfarrhäusern, deren Bau er geleitet. Die Kirchen, die ich von ihm gesehen, und so auch die große Kirche zu Neustift, sind helle reinliche Säle in mildem Zopfstyle gehalten, sehr aufgeklärte Räume, ohne alle Mystik der Andacht, ohne alles Helldunkel, das der deutsche Beter braucht, um mit unserm Herrgott reden zu können. Es ist landesüblich sie zu bewundern, sie werden indessen nicht jeden überraschen. Ueberdieß liegt die Vermuthung nahe, der Pfarrer Franz Penz sey auch einer von denen gewesen, welche die alten ehrwürdigen gothischen Kirchlein, statt sie zu stützen und zu erhalten, niedergerissen, um ihre eigenen Kunststücke an die Stelle zu setzen. Ihm, als Mann des vorigen Jahrhunderts, wird man das noch lieber verzeihen, als den traurigen Baumeistern, die zu dieser Zeit in den

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/493>, abgerufen am 23.11.2024.