Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Landammann: "Wie soll ich das Gericht halten?" Und darauf spricht der erste Rath: "Herr Richter! So dünkt mich Recht daß Ihr Eure Knecht am Ring (am Gerichtsplatz) habt, die das Gericht schützen und schirmen, die Leute stillen und schweigen machen, und daß ein Jeder den Rechten das Vordertheil kehre, und da die andern einen Aufruhr am Gericht anfingen, also daß männiglich an seiner Rede gesaumet wurde, daß diese sollen gestrafet werden. So wird das Recht erkannt - dünkt mich jemal Recht, Herr Richter!" - Nachdem der Landammann noch gefragt: "Wie und wann soll ich das Gericht verbannen?" und darauf in herkömmlicher Weise Antwort erhalten, steht er sammt den Räthen auf, hebt den Stab in die Höhe und verbannt das Gericht mit den Worten: "So verbanne ich das ehehafte Gericht, wie ich es von Rechtswegen verbannen soll, und verbiete das Unrecht, erlaube das Recht. Dazu gebe uns Gott Glück, daß Niemanden Unrecht geschehe." Darauf traten die Rechtsuchenden vor: zuerst die Fremden, dann die Einheimischen. Klägern und Beklagten wurde nach deutschem Gebrauch ein Fürsprech gegeben, und der Landschreiber notirte in Kürze ihre Anbringen. Die Zeugen wurden sogleich mit vorgestellt und vernommen. Nach angehörter Klag, Antwort und Zeugenschaft begaben sich die Richter an einen besondern Ort. Jeder wurde um seine Meinung gefragt und nach dem Mehr der Stimmen das Urtheil gefällt. Landammann und Landschreiber zog man nach alter Uebung nur in schwierigen Fällen bei. War das Urtheil gefunden, so ging das Gericht wieder in das Tanzhaus zurück und derjenige, der des Klägers Fürsprech gewesen, verkündete unter herkömmlichen Formen das Erkenntniß. Zuletzt sprach der Landammann: "Welchem dieß recht dünkt, der hebe die Hand auf," und nun streckten alle Beistimmenden die Hände empor. So wurde die Sache, wenn nicht besondere Säumnisse eintraten, in derselben Sitzung angebracht und entschieden.

Wer sich durch die Entscheidung des Gerichts für beschwert erachtete, der mußte, wie Waizenegger behauptet, das Ohrläppchen in die rechte, einen Goldgulden in die linke Hand nehmen, das Gesicht gegen Sonnenaufgang kehren und laut ausrufen: Ich appellire. In solchem Fall ging die Sache an die

Landammann: „Wie soll ich das Gericht halten?" Und darauf spricht der erste Rath: „Herr Richter! So dünkt mich Recht daß Ihr Eure Knecht am Ring (am Gerichtsplatz) habt, die das Gericht schützen und schirmen, die Leute stillen und schweigen machen, und daß ein Jeder den Rechten das Vordertheil kehre, und da die andern einen Aufruhr am Gericht anfingen, also daß männiglich an seiner Rede gesaumet wurde, daß diese sollen gestrafet werden. So wird das Recht erkannt – dünkt mich jemal Recht, Herr Richter!" – Nachdem der Landammann noch gefragt: „Wie und wann soll ich das Gericht verbannen?" und darauf in herkömmlicher Weise Antwort erhalten, steht er sammt den Räthen auf, hebt den Stab in die Höhe und verbannt das Gericht mit den Worten: „So verbanne ich das ehehafte Gericht, wie ich es von Rechtswegen verbannen soll, und verbiete das Unrecht, erlaube das Recht. Dazu gebe uns Gott Glück, daß Niemanden Unrecht geschehe." Darauf traten die Rechtsuchenden vor: zuerst die Fremden, dann die Einheimischen. Klägern und Beklagten wurde nach deutschem Gebrauch ein Fürsprech gegeben, und der Landschreiber notirte in Kürze ihre Anbringen. Die Zeugen wurden sogleich mit vorgestellt und vernommen. Nach angehörter Klag, Antwort und Zeugenschaft begaben sich die Richter an einen besondern Ort. Jeder wurde um seine Meinung gefragt und nach dem Mehr der Stimmen das Urtheil gefällt. Landammann und Landschreiber zog man nach alter Uebung nur in schwierigen Fällen bei. War das Urtheil gefunden, so ging das Gericht wieder in das Tanzhaus zurück und derjenige, der des Klägers Fürsprech gewesen, verkündete unter herkömmlichen Formen das Erkenntniß. Zuletzt sprach der Landammann: „Welchem dieß recht dünkt, der hebe die Hand auf," und nun streckten alle Beistimmenden die Hände empor. So wurde die Sache, wenn nicht besondere Säumnisse eintraten, in derselben Sitzung angebracht und entschieden.

Wer sich durch die Entscheidung des Gerichts für beschwert erachtete, der mußte, wie Waizenegger behauptet, das Ohrläppchen in die rechte, einen Goldgulden in die linke Hand nehmen, das Gesicht gegen Sonnenaufgang kehren und laut ausrufen: Ich appellire. In solchem Fall ging die Sache an die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0061" n="56"/>
Landammann: &#x201E;Wie soll ich das Gericht halten?" Und darauf spricht der erste Rath: &#x201E;Herr Richter! So dünkt mich Recht daß Ihr Eure Knecht am Ring (am Gerichtsplatz) habt, die das Gericht schützen und schirmen, die Leute stillen und schweigen machen, und daß ein Jeder den Rechten das Vordertheil kehre, und da die andern einen Aufruhr am Gericht anfingen, also daß männiglich an seiner Rede gesaumet wurde, daß diese sollen gestrafet werden. So wird das Recht erkannt &#x2013; dünkt mich jemal Recht, Herr Richter!" &#x2013; Nachdem der Landammann noch gefragt: &#x201E;Wie und wann soll ich das Gericht verbannen?" und darauf in herkömmlicher Weise Antwort erhalten, steht er sammt den Räthen auf, hebt den Stab in die Höhe und verbannt das Gericht mit den Worten: &#x201E;So verbanne ich das ehehafte Gericht, wie ich es von Rechtswegen verbannen soll, und verbiete das Unrecht, erlaube das Recht. Dazu gebe uns Gott Glück, daß Niemanden Unrecht geschehe." Darauf traten die Rechtsuchenden vor: zuerst die Fremden, dann die Einheimischen. Klägern und Beklagten wurde nach deutschem Gebrauch ein Fürsprech gegeben, und der Landschreiber notirte in Kürze ihre Anbringen. Die Zeugen wurden sogleich mit vorgestellt und vernommen. Nach angehörter Klag, Antwort und Zeugenschaft begaben sich die Richter an einen besondern Ort. Jeder wurde um seine Meinung gefragt und nach dem Mehr der Stimmen das Urtheil gefällt. Landammann und Landschreiber zog man nach alter Uebung nur in schwierigen Fällen bei. War das Urtheil gefunden, so ging das Gericht wieder in das Tanzhaus zurück und derjenige, der des Klägers Fürsprech gewesen, verkündete unter herkömmlichen Formen das Erkenntniß. Zuletzt sprach der Landammann: &#x201E;Welchem dieß recht dünkt, der hebe die Hand auf," und nun streckten alle Beistimmenden die Hände empor. So wurde die Sache, wenn nicht besondere Säumnisse eintraten, in derselben Sitzung angebracht und entschieden.</p>
        <p>Wer sich durch die Entscheidung des Gerichts für beschwert erachtete, der mußte, wie Waizenegger behauptet, das Ohrläppchen in die rechte, einen Goldgulden in die linke Hand nehmen, das Gesicht gegen Sonnenaufgang kehren und laut ausrufen: Ich appellire. In solchem Fall ging die Sache an die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0061] Landammann: „Wie soll ich das Gericht halten?" Und darauf spricht der erste Rath: „Herr Richter! So dünkt mich Recht daß Ihr Eure Knecht am Ring (am Gerichtsplatz) habt, die das Gericht schützen und schirmen, die Leute stillen und schweigen machen, und daß ein Jeder den Rechten das Vordertheil kehre, und da die andern einen Aufruhr am Gericht anfingen, also daß männiglich an seiner Rede gesaumet wurde, daß diese sollen gestrafet werden. So wird das Recht erkannt – dünkt mich jemal Recht, Herr Richter!" – Nachdem der Landammann noch gefragt: „Wie und wann soll ich das Gericht verbannen?" und darauf in herkömmlicher Weise Antwort erhalten, steht er sammt den Räthen auf, hebt den Stab in die Höhe und verbannt das Gericht mit den Worten: „So verbanne ich das ehehafte Gericht, wie ich es von Rechtswegen verbannen soll, und verbiete das Unrecht, erlaube das Recht. Dazu gebe uns Gott Glück, daß Niemanden Unrecht geschehe." Darauf traten die Rechtsuchenden vor: zuerst die Fremden, dann die Einheimischen. Klägern und Beklagten wurde nach deutschem Gebrauch ein Fürsprech gegeben, und der Landschreiber notirte in Kürze ihre Anbringen. Die Zeugen wurden sogleich mit vorgestellt und vernommen. Nach angehörter Klag, Antwort und Zeugenschaft begaben sich die Richter an einen besondern Ort. Jeder wurde um seine Meinung gefragt und nach dem Mehr der Stimmen das Urtheil gefällt. Landammann und Landschreiber zog man nach alter Uebung nur in schwierigen Fällen bei. War das Urtheil gefunden, so ging das Gericht wieder in das Tanzhaus zurück und derjenige, der des Klägers Fürsprech gewesen, verkündete unter herkömmlichen Formen das Erkenntniß. Zuletzt sprach der Landammann: „Welchem dieß recht dünkt, der hebe die Hand auf," und nun streckten alle Beistimmenden die Hände empor. So wurde die Sache, wenn nicht besondere Säumnisse eintraten, in derselben Sitzung angebracht und entschieden. Wer sich durch die Entscheidung des Gerichts für beschwert erachtete, der mußte, wie Waizenegger behauptet, das Ohrläppchen in die rechte, einen Goldgulden in die linke Hand nehmen, das Gesicht gegen Sonnenaufgang kehren und laut ausrufen: Ich appellire. In solchem Fall ging die Sache an die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/61
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/61>, abgerufen am 17.05.2024.