Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

den Gefallen daran verloren, und was da einmal vergessen und verschollen, das ist nie mehr zurückzuführen.

Sitten und Gebräuche anlangend, so wurde und wird auch da mehr und mehr alles Eigenthümliche weggekehrt, in manchen Fällen mit gefälliger Hülfeleistung der weltlichen Behörde, die nicht überall Unrecht daran that und thut, denn das alte Roblerwesen zum Beispiel und das Widderstoßen auf jener Au im Zillerthale wird für unsre Zeit kaum mehr haltbar erscheinen dürfen. Aber auch gegen andre, zum Theil bedeutsamere, jedenfalls unschädliche Gebräuche ist gewirkt worden, wie gegen das an der heidnischen Frau Berchte hängende Berchtenlaufen, das zu Lienz im Pusterthale noch bis auf unsre Zeiten in Uebung war, gegen andre alte Gebräuche in dieser Gegend, gegen das Schemenlaufen im Oberinnthale, gegen eine lange Reihe anderer, die wir hier nicht aufführen wollen. Das tirolische Volksleben hatte sich ungemein vieles von diesen Alterthümern erhalten, was jetzt noch zu erfragen ist und mit Eifer erforscht werden darf, ehe es ganz vergessen wird. Das Volk hat nicht immer gerne nachgegeben; man hört noch manchmal klagen über den Abgang dieser oder jener fröhlichen Sitte mit dem immer wiederkehrenden Refrain: Es heißt halt a nicht mehr. Es ist zwar zu bedauern, zumal gerade jetzt, wo das Verständniß aufgegangen, daß so vieles Werthvolle mit Gewalt ausgerottet wurde, aber man kann auch zugeben, daß das Wenigste davon noch eine lange Dauer versprach. Es ist unmöglich, selbst ein Alpenvolk, zu gelehrten Zwecken vor allem Eindringen neuerer Anschauungen abzusperren, und selbst die sorgsamste, liebreichste Pflege würde es bei seinen alten Mähren und Sagen, bei allen ehrwürdigen, anziehenden, aufschlußreichen Sitten und Gebräuchen nicht zu erhalten vermögen. Die stolze Eiche des alten Heidenthums ist erstorben und ihre letzten Blätter säuseln wehmüthig von den Zweigen herab. "Der Hochmuth der Prosa" ist auch ins Volk gedrungen und seine Ueberlieferungen sind ihm so ziemlich verleidet. Das geht zunächst die Sagen und Mährchen an; in Betreff erheblicher, eigenthümlicher Volkssitten ist aber auch die ganze Gesammtheit zurückgegangen und spröde geworden.

den Gefallen daran verloren, und was da einmal vergessen und verschollen, das ist nie mehr zurückzuführen.

Sitten und Gebräuche anlangend, so wurde und wird auch da mehr und mehr alles Eigenthümliche weggekehrt, in manchen Fällen mit gefälliger Hülfeleistung der weltlichen Behörde, die nicht überall Unrecht daran that und thut, denn das alte Roblerwesen zum Beispiel und das Widderstoßen auf jener Au im Zillerthale wird für unsre Zeit kaum mehr haltbar erscheinen dürfen. Aber auch gegen andre, zum Theil bedeutsamere, jedenfalls unschädliche Gebräuche ist gewirkt worden, wie gegen das an der heidnischen Frau Berchte hängende Berchtenlaufen, das zu Lienz im Pusterthale noch bis auf unsre Zeiten in Uebung war, gegen andre alte Gebräuche in dieser Gegend, gegen das Schemenlaufen im Oberinnthale, gegen eine lange Reihe anderer, die wir hier nicht aufführen wollen. Das tirolische Volksleben hatte sich ungemein vieles von diesen Alterthümern erhalten, was jetzt noch zu erfragen ist und mit Eifer erforscht werden darf, ehe es ganz vergessen wird. Das Volk hat nicht immer gerne nachgegeben; man hört noch manchmal klagen über den Abgang dieser oder jener fröhlichen Sitte mit dem immer wiederkehrenden Refrain: Es heißt halt a nicht mehr. Es ist zwar zu bedauern, zumal gerade jetzt, wo das Verständniß aufgegangen, daß so vieles Werthvolle mit Gewalt ausgerottet wurde, aber man kann auch zugeben, daß das Wenigste davon noch eine lange Dauer versprach. Es ist unmöglich, selbst ein Alpenvolk, zu gelehrten Zwecken vor allem Eindringen neuerer Anschauungen abzusperren, und selbst die sorgsamste, liebreichste Pflege würde es bei seinen alten Mähren und Sagen, bei allen ehrwürdigen, anziehenden, aufschlußreichen Sitten und Gebräuchen nicht zu erhalten vermögen. Die stolze Eiche des alten Heidenthums ist erstorben und ihre letzten Blätter säuseln wehmüthig von den Zweigen herab. „Der Hochmuth der Prosa“ ist auch ins Volk gedrungen und seine Ueberlieferungen sind ihm so ziemlich verleidet. Das geht zunächst die Sagen und Mährchen an; in Betreff erheblicher, eigenthümlicher Volkssitten ist aber auch die ganze Gesammtheit zurückgegangen und spröde geworden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0655" n="651"/>
den Gefallen daran verloren, und was da einmal vergessen und verschollen, das ist nie mehr zurückzuführen.</p>
        <p>Sitten und Gebräuche anlangend, so wurde und wird auch da mehr und mehr alles Eigenthümliche weggekehrt, in manchen Fällen mit gefälliger Hülfeleistung der weltlichen Behörde, die nicht überall Unrecht daran that und thut, denn das alte Roblerwesen zum Beispiel und das Widderstoßen auf jener Au im Zillerthale wird für unsre Zeit kaum mehr haltbar erscheinen dürfen. Aber auch gegen andre, zum Theil bedeutsamere, jedenfalls unschädliche Gebräuche ist gewirkt worden, wie gegen das an der heidnischen Frau Berchte hängende Berchtenlaufen, das zu Lienz im Pusterthale noch bis auf unsre Zeiten in Uebung war, gegen andre alte Gebräuche in dieser Gegend, gegen das Schemenlaufen im Oberinnthale, gegen eine lange Reihe anderer, die wir hier nicht aufführen wollen. Das tirolische Volksleben hatte sich ungemein vieles von diesen Alterthümern erhalten, was jetzt noch zu erfragen ist und mit Eifer erforscht werden darf, ehe es ganz vergessen wird. Das Volk hat nicht immer gerne nachgegeben; man hört noch manchmal klagen über den Abgang dieser oder jener fröhlichen Sitte mit dem immer wiederkehrenden Refrain: Es heißt halt a nicht mehr. Es ist zwar zu bedauern, zumal gerade jetzt, wo das Verständniß aufgegangen, daß so vieles Werthvolle mit Gewalt ausgerottet wurde, aber man kann auch zugeben, daß das Wenigste davon noch eine lange Dauer versprach. Es ist unmöglich, selbst ein Alpenvolk, zu gelehrten Zwecken vor allem Eindringen neuerer Anschauungen abzusperren, und selbst die sorgsamste, liebreichste Pflege würde es bei seinen alten Mähren und Sagen, bei allen ehrwürdigen, anziehenden, aufschlußreichen Sitten und Gebräuchen nicht zu erhalten vermögen. Die stolze Eiche des alten Heidenthums ist erstorben und ihre letzten Blätter säuseln wehmüthig von den Zweigen herab. &#x201E;Der Hochmuth der Prosa&#x201C; ist auch ins Volk gedrungen und seine Ueberlieferungen sind ihm so ziemlich verleidet. Das geht zunächst die Sagen und Mährchen an; in Betreff erheblicher, eigenthümlicher Volkssitten ist aber auch die ganze Gesammtheit zurückgegangen und spröde geworden.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[651/0655] den Gefallen daran verloren, und was da einmal vergessen und verschollen, das ist nie mehr zurückzuführen. Sitten und Gebräuche anlangend, so wurde und wird auch da mehr und mehr alles Eigenthümliche weggekehrt, in manchen Fällen mit gefälliger Hülfeleistung der weltlichen Behörde, die nicht überall Unrecht daran that und thut, denn das alte Roblerwesen zum Beispiel und das Widderstoßen auf jener Au im Zillerthale wird für unsre Zeit kaum mehr haltbar erscheinen dürfen. Aber auch gegen andre, zum Theil bedeutsamere, jedenfalls unschädliche Gebräuche ist gewirkt worden, wie gegen das an der heidnischen Frau Berchte hängende Berchtenlaufen, das zu Lienz im Pusterthale noch bis auf unsre Zeiten in Uebung war, gegen andre alte Gebräuche in dieser Gegend, gegen das Schemenlaufen im Oberinnthale, gegen eine lange Reihe anderer, die wir hier nicht aufführen wollen. Das tirolische Volksleben hatte sich ungemein vieles von diesen Alterthümern erhalten, was jetzt noch zu erfragen ist und mit Eifer erforscht werden darf, ehe es ganz vergessen wird. Das Volk hat nicht immer gerne nachgegeben; man hört noch manchmal klagen über den Abgang dieser oder jener fröhlichen Sitte mit dem immer wiederkehrenden Refrain: Es heißt halt a nicht mehr. Es ist zwar zu bedauern, zumal gerade jetzt, wo das Verständniß aufgegangen, daß so vieles Werthvolle mit Gewalt ausgerottet wurde, aber man kann auch zugeben, daß das Wenigste davon noch eine lange Dauer versprach. Es ist unmöglich, selbst ein Alpenvolk, zu gelehrten Zwecken vor allem Eindringen neuerer Anschauungen abzusperren, und selbst die sorgsamste, liebreichste Pflege würde es bei seinen alten Mähren und Sagen, bei allen ehrwürdigen, anziehenden, aufschlußreichen Sitten und Gebräuchen nicht zu erhalten vermögen. Die stolze Eiche des alten Heidenthums ist erstorben und ihre letzten Blätter säuseln wehmüthig von den Zweigen herab. „Der Hochmuth der Prosa“ ist auch ins Volk gedrungen und seine Ueberlieferungen sind ihm so ziemlich verleidet. Das geht zunächst die Sagen und Mährchen an; in Betreff erheblicher, eigenthümlicher Volkssitten ist aber auch die ganze Gesammtheit zurückgegangen und spröde geworden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/655
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/655>, abgerufen am 17.05.2024.