Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Brigitta. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–301. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte er von dem Orte weg getrachtet. Ich blickte hin. Es standen zwei Säulen und darauf war ein Querbalken. So ragte es in das gelbe Mondlicht empor. Oben lag etwas, wie ein Kopf. In der That aber mochte es irgend eine Erhöhung sein. Ich ging weiter, gleichsam als ob das Gras der Haide hinter mir lispelte und sich etwas am Fuße des Galgens rührte. Von Milosch war nicht mehr das Geringste zu vernehmen, als sei er gar nie dagewesen. Ich kam sogleich zu der Todeseiche. Der Bach schillerte und glänzte und ringelte sich um Binsen, wie eine todte Schlange. Daneben war der schwarze Bau des Baumes. Ich ging um ihn herum, und jenseits war ein gerader weißer Weg, von dem Monde beschienen. Der Weg war gestampft und hatte Gräben und eine Allee junger Pappeln. Es that mir wohl, daß ich wieder meine Schritte schallen hörte, wie es daheim in unserem Lande auf den Wegen der Fall ist.

Ich ging langsam dahin. Der Mond hob sich mehr und mehr und stand endlich klar an dem warmen Sommerhimmel. Die Haide lief wie eine fahle Scheibe unter ihm weg. Endlich, da eine gute Stunde vergangen sein mochte, hoben sich vor mir schwarze Klumpen, wie ein Wald oder ein Garten, und in kurzer Frist stieß der Weg an ein Gitter, das in einer Mauer stand, die außer dem Walde hinlief und hinter sich riesengroße Wipfel hatte, die todesstille in dem Silber der Nachtluft empor standen. An dem Gitter war ein Glocken-

hatte er von dem Orte weg getrachtet. Ich blickte hin. Es standen zwei Säulen und darauf war ein Querbalken. So ragte es in das gelbe Mondlicht empor. Oben lag etwas, wie ein Kopf. In der That aber mochte es irgend eine Erhöhung sein. Ich ging weiter, gleichsam als ob das Gras der Haide hinter mir lispelte und sich etwas am Fuße des Galgens rührte. Von Milosch war nicht mehr das Geringste zu vernehmen, als sei er gar nie dagewesen. Ich kam sogleich zu der Todeseiche. Der Bach schillerte und glänzte und ringelte sich um Binsen, wie eine todte Schlange. Daneben war der schwarze Bau des Baumes. Ich ging um ihn herum, und jenseits war ein gerader weißer Weg, von dem Monde beschienen. Der Weg war gestampft und hatte Gräben und eine Allee junger Pappeln. Es that mir wohl, daß ich wieder meine Schritte schallen hörte, wie es daheim in unserem Lande auf den Wegen der Fall ist.

Ich ging langsam dahin. Der Mond hob sich mehr und mehr und stand endlich klar an dem warmen Sommerhimmel. Die Haide lief wie eine fahle Scheibe unter ihm weg. Endlich, da eine gute Stunde vergangen sein mochte, hoben sich vor mir schwarze Klumpen, wie ein Wald oder ein Garten, und in kurzer Frist stieß der Weg an ein Gitter, das in einer Mauer stand, die außer dem Walde hinlief und hinter sich riesengroße Wipfel hatte, die todesstille in dem Silber der Nachtluft empor standen. An dem Gitter war ein Glocken-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0024"/>
hatte er von dem Orte weg getrachtet. Ich blickte hin. Es standen zwei Säulen und                darauf war ein Querbalken. So ragte es in das gelbe Mondlicht empor. Oben lag etwas,                wie ein Kopf. In der That aber mochte es irgend eine Erhöhung sein. Ich ging weiter,                gleichsam als ob das Gras der Haide hinter mir lispelte und sich etwas am Fuße des                Galgens rührte. Von Milosch war nicht mehr das Geringste zu vernehmen, als sei er gar                nie dagewesen. Ich kam sogleich zu der Todeseiche. Der Bach schillerte und glänzte                und ringelte sich um Binsen, wie eine todte Schlange. Daneben war der schwarze Bau                des Baumes. Ich ging um ihn herum, und jenseits war ein gerader weißer Weg, von dem                Monde beschienen. Der Weg war gestampft und hatte Gräben und eine Allee junger                Pappeln. Es that mir wohl, daß ich wieder meine Schritte schallen hörte, wie es                daheim in unserem Lande auf den Wegen der Fall ist.</p><lb/>
        <p>Ich ging langsam dahin. Der Mond hob sich mehr und mehr und stand endlich klar an dem                warmen Sommerhimmel. Die Haide lief wie eine fahle Scheibe unter ihm weg. Endlich, da                eine gute Stunde vergangen sein mochte, hoben sich vor mir schwarze Klumpen, wie ein                Wald oder ein Garten, und in kurzer Frist stieß der Weg an ein Gitter, das in einer                Mauer stand, die außer dem Walde hinlief und hinter sich riesengroße Wipfel hatte,                die todesstille in dem Silber der Nachtluft empor standen. An dem Gitter war ein                Glocken-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] hatte er von dem Orte weg getrachtet. Ich blickte hin. Es standen zwei Säulen und darauf war ein Querbalken. So ragte es in das gelbe Mondlicht empor. Oben lag etwas, wie ein Kopf. In der That aber mochte es irgend eine Erhöhung sein. Ich ging weiter, gleichsam als ob das Gras der Haide hinter mir lispelte und sich etwas am Fuße des Galgens rührte. Von Milosch war nicht mehr das Geringste zu vernehmen, als sei er gar nie dagewesen. Ich kam sogleich zu der Todeseiche. Der Bach schillerte und glänzte und ringelte sich um Binsen, wie eine todte Schlange. Daneben war der schwarze Bau des Baumes. Ich ging um ihn herum, und jenseits war ein gerader weißer Weg, von dem Monde beschienen. Der Weg war gestampft und hatte Gräben und eine Allee junger Pappeln. Es that mir wohl, daß ich wieder meine Schritte schallen hörte, wie es daheim in unserem Lande auf den Wegen der Fall ist. Ich ging langsam dahin. Der Mond hob sich mehr und mehr und stand endlich klar an dem warmen Sommerhimmel. Die Haide lief wie eine fahle Scheibe unter ihm weg. Endlich, da eine gute Stunde vergangen sein mochte, hoben sich vor mir schwarze Klumpen, wie ein Wald oder ein Garten, und in kurzer Frist stieß der Weg an ein Gitter, das in einer Mauer stand, die außer dem Walde hinlief und hinter sich riesengroße Wipfel hatte, die todesstille in dem Silber der Nachtluft empor standen. An dem Gitter war ein Glocken-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:12:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:12:00Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910/24
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Brigitta. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–301. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910/24>, abgerufen am 21.11.2024.