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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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Man mußte an heiteren Tagen von hier aus die ganze
Gebirgskette im Süden sehen, jezt aber war nichts
davon zu erblicken; denn alles floß in eine einzige
Gewittermasse zusammen. Gegen Mitternacht erschien
ein freundlicher Höhenzug, hinter welchem nach mei¬
ner Schäzung das Städtchen Landegg liegen mußte.

Wir sezten uns ein wenig auf das Bänklein. Es
schien, daß man an diesem Pläzchen niemals vorüber
gehen konnte, ohne sich zu sezen, und eine kleine Um¬
schau zu halten; denn das Gras war um den Baum
herum abgetreten, daß der kahle Boden hervorsah,
wie wenn ein Weg um den Baum ginge. Man mußte
sich daher gerne an diesem Plaze versammeln.

Als wir kaum ein Weilchen ausgeruht hatten,
sah ich eine Gestalt aus den nicht sehr entfernten
Büschen und Bäumen hervortreten, und gegen uns
empor gehen. Da sie etwas näher gekommen war,
erkannte ich, daß es ein Gemische von Knabe und
Jüngling war. Zuweilen hätte man meinen können,
der Ankommende sei ganz ein Jüngling, und zuweilen,
er sei noch ganz ein Knabe. Er trug ein blau- und
weißgestreiftes Leinenzeug als Bekleidung, um den
Hals hatte er nichts und auf dem Haupte auch nichts
als eine dichte Menge brauner Locken.

Man mußte an heiteren Tagen von hier aus die ganze
Gebirgskette im Süden ſehen, jezt aber war nichts
davon zu erblicken; denn alles floß in eine einzige
Gewittermaſſe zuſammen. Gegen Mitternacht erſchien
ein freundlicher Höhenzug, hinter welchem nach mei¬
ner Schäzung das Städtchen Landegg liegen mußte.

Wir ſezten uns ein wenig auf das Bänklein. Es
ſchien, daß man an dieſem Pläzchen niemals vorüber
gehen konnte, ohne ſich zu ſezen, und eine kleine Um¬
ſchau zu halten; denn das Gras war um den Baum
herum abgetreten, daß der kahle Boden hervorſah,
wie wenn ein Weg um den Baum ginge. Man mußte
ſich daher gerne an dieſem Plaze verſammeln.

Als wir kaum ein Weilchen ausgeruht hatten,
ſah ich eine Geſtalt aus den nicht ſehr entfernten
Büſchen und Bäumen hervortreten, und gegen uns
empor gehen. Da ſie etwas näher gekommen war,
erkannte ich, daß es ein Gemiſche von Knabe und
Jüngling war. Zuweilen hätte man meinen können,
der Ankommende ſei ganz ein Jüngling, und zuweilen,
er ſei noch ganz ein Knabe. Er trug ein blau- und
weißgeſtreiftes Leinenzeug als Bekleidung, um den
Hals hatte er nichts und auf dem Haupte auch nichts
als eine dichte Menge brauner Locken.

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[90/0104] Man mußte an heiteren Tagen von hier aus die ganze Gebirgskette im Süden ſehen, jezt aber war nichts davon zu erblicken; denn alles floß in eine einzige Gewittermaſſe zuſammen. Gegen Mitternacht erſchien ein freundlicher Höhenzug, hinter welchem nach mei¬ ner Schäzung das Städtchen Landegg liegen mußte. Wir ſezten uns ein wenig auf das Bänklein. Es ſchien, daß man an dieſem Pläzchen niemals vorüber gehen konnte, ohne ſich zu ſezen, und eine kleine Um¬ ſchau zu halten; denn das Gras war um den Baum herum abgetreten, daß der kahle Boden hervorſah, wie wenn ein Weg um den Baum ginge. Man mußte ſich daher gerne an dieſem Plaze verſammeln. Als wir kaum ein Weilchen ausgeruht hatten, ſah ich eine Geſtalt aus den nicht ſehr entfernten Büſchen und Bäumen hervortreten, und gegen uns empor gehen. Da ſie etwas näher gekommen war, erkannte ich, daß es ein Gemiſche von Knabe und Jüngling war. Zuweilen hätte man meinen können, der Ankommende ſei ganz ein Jüngling, und zuweilen, er ſei noch ganz ein Knabe. Er trug ein blau- und weißgeſtreiftes Leinenzeug als Bekleidung, um den Hals hatte er nichts und auf dem Haupte auch nichts als eine dichte Menge brauner Locken.

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/104>, abgerufen am 22.11.2024.