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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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diener nicht zugegen waren, und das nur in der Mut¬
ter und in unserer Gegenwart eingenommen wurde.
Bei diesem Abendessen sprach er sehr gerne zu uns
Kindern, und erzählte uns allerlei Dinge, mitunter
auch scherzhafte Geschichten und Märchen. Das Buch,
in dem er gelesen hatte, stellte er genau immer wieder
in den Schrein, aus dem er es genommen hatte, und
wenn man gleich nach seinem Heraustritte in das
Bücherzimmer ging, konnte man nicht im Geringsten
wahrnehmen, daß eben jemand hier gewesen sei, und
gelesen habe. Überhaupt durfte bei dem Vater kein
Zimmer die Spuren des unmittelbaren Gebrauches
zeigen, sondern mußte immer aufgeräumt sein, als
wäre es ein Prunkzimmer. Es sollte dafür aber aus¬
sprechen, zu was es besonders bestimmt sei. Die ge¬
mischten Zimmer, wie er sich ausdrückte, die mehreres
zugleich sein können, Schlafzimmer Spielzimmer und
dergleichen, konnte er nicht leiden. Jedes Ding und
jeder Mensch, pflegte er zu sagen, könne nur eines
sein, dieses aber muß er ganz sein. Dieser Zug stren¬
ger Genauigkeit prägte sich uns ein, und ließ uns auf
die Befehle der Eltern achten, wenn wir sie auch nicht
verstanden. So zum Beispiele durften nicht einmal
wir Kinder das Schlafzimmer der Eltern betreten.

diener nicht zugegen waren, und das nur in der Mut¬
ter und in unſerer Gegenwart eingenommen wurde.
Bei dieſem Abendeſſen ſprach er ſehr gerne zu uns
Kindern, und erzählte uns allerlei Dinge, mitunter
auch ſcherzhafte Geſchichten und Märchen. Das Buch,
in dem er geleſen hatte, ſtellte er genau immer wieder
in den Schrein, aus dem er es genommen hatte, und
wenn man gleich nach ſeinem Heraustritte in das
Bücherzimmer ging, konnte man nicht im Geringſten
wahrnehmen, daß eben jemand hier geweſen ſei, und
geleſen habe. Überhaupt durfte bei dem Vater kein
Zimmer die Spuren des unmittelbaren Gebrauches
zeigen, ſondern mußte immer aufgeräumt ſein, als
wäre es ein Prunkzimmer. Es ſollte dafür aber aus¬
ſprechen, zu was es beſonders beſtimmt ſei. Die ge¬
miſchten Zimmer, wie er ſich ausdrückte, die mehreres
zugleich ſein können, Schlafzimmer Spielzimmer und
dergleichen, konnte er nicht leiden. Jedes Ding und
jeder Menſch, pflegte er zu ſagen, könne nur eines
ſein, dieſes aber muß er ganz ſein. Dieſer Zug ſtren¬
ger Genauigkeit prägte ſich uns ein, und ließ uns auf
die Befehle der Eltern achten, wenn wir ſie auch nicht
verſtanden. So zum Beiſpiele durften nicht einmal
wir Kinder das Schlafzimmer der Eltern betreten.

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[4/0018] diener nicht zugegen waren, und das nur in der Mut¬ ter und in unſerer Gegenwart eingenommen wurde. Bei dieſem Abendeſſen ſprach er ſehr gerne zu uns Kindern, und erzählte uns allerlei Dinge, mitunter auch ſcherzhafte Geſchichten und Märchen. Das Buch, in dem er geleſen hatte, ſtellte er genau immer wieder in den Schrein, aus dem er es genommen hatte, und wenn man gleich nach ſeinem Heraustritte in das Bücherzimmer ging, konnte man nicht im Geringſten wahrnehmen, daß eben jemand hier geweſen ſei, und geleſen habe. Überhaupt durfte bei dem Vater kein Zimmer die Spuren des unmittelbaren Gebrauches zeigen, ſondern mußte immer aufgeräumt ſein, als wäre es ein Prunkzimmer. Es ſollte dafür aber aus¬ ſprechen, zu was es beſonders beſtimmt ſei. Die ge¬ miſchten Zimmer, wie er ſich ausdrückte, die mehreres zugleich ſein können, Schlafzimmer Spielzimmer und dergleichen, konnte er nicht leiden. Jedes Ding und jeder Menſch, pflegte er zu ſagen, könne nur eines ſein, dieſes aber muß er ganz ſein. Dieſer Zug ſtren¬ ger Genauigkeit prägte ſich uns ein, und ließ uns auf die Befehle der Eltern achten, wenn wir ſie auch nicht verſtanden. So zum Beiſpiele durften nicht einmal wir Kinder das Schlafzimmer der Eltern betreten.

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/18>, abgerufen am 21.11.2024.