was im Staate und in der Menschlichkeit gut ist, von der Familie kömmt, so werden sie nicht blos gute Dienstleute, die den Dienst lieben, sondern leicht auch gute Menschen, die in einfacher Frömmigkeit an dem Hause wie an einer unverrückbaren Kirche hängen, und denen der Herr ein zuverlässiger Freund ist. Seit sie aber von ihm getrennt sind, für die Ar¬ beit bezahlt werden, und abgesondert ihre Nahrung erhalten, gehören sie nicht zu ihm nicht zu seinem Kinde, haben andere Zwecke, widerstreben ihm, ver¬ lassen ihn leicht, und fallen, da sie familienlos und ohne Bildung sind, leicht dem Laster anheim. Die Kluft zwischen den sogenannten Gebildeten und Un¬ gebildeten wird immer größer; wenn noch erst auch der Landmann seine Speisen in seinem abgesonderten Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unter¬ scheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewe¬ sen wäre."
"Ich habe," fuhr er nach einer Weile fort, "diese Sitte in unserem hiesigen Hause einführen wollen; allein die Leute waren auf eine andere Weise heran¬ gewachsen, waren in sich selber hineingewachsen, konnten sich an ein Fremdes nicht anschließen, und hätten nur die Freiheit ihres Wesens verloren. Es
was im Staate und in der Menſchlichkeit gut iſt, von der Familie kömmt, ſo werden ſie nicht blos gute Dienſtleute, die den Dienſt lieben, ſondern leicht auch gute Menſchen, die in einfacher Frömmigkeit an dem Hauſe wie an einer unverrückbaren Kirche hängen, und denen der Herr ein zuverläſſiger Freund iſt. Seit ſie aber von ihm getrennt ſind, für die Ar¬ beit bezahlt werden, und abgeſondert ihre Nahrung erhalten, gehören ſie nicht zu ihm nicht zu ſeinem Kinde, haben andere Zwecke, widerſtreben ihm, ver¬ laſſen ihn leicht, und fallen, da ſie familienlos und ohne Bildung ſind, leicht dem Laſter anheim. Die Kluft zwiſchen den ſogenannten Gebildeten und Un¬ gebildeten wird immer größer; wenn noch erſt auch der Landmann ſeine Speiſen in ſeinem abgeſonderten Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unter¬ ſcheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewe¬ ſen wäre.“
„Ich habe,“ fuhr er nach einer Weile fort, „dieſe Sitte in unſerem hieſigen Hauſe einführen wollen; allein die Leute waren auf eine andere Weiſe heran¬ gewachſen, waren in ſich ſelber hineingewachſen, konnten ſich an ein Fremdes nicht anſchließen, und hätten nur die Freiheit ihres Weſens verloren. Es
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0218"n="204"/>
was im Staate und in der Menſchlichkeit gut iſt, von<lb/>
der Familie kömmt, ſo werden ſie nicht blos gute<lb/>
Dienſtleute, die den Dienſt lieben, ſondern leicht<lb/>
auch gute Menſchen, die in einfacher Frömmigkeit<lb/>
an dem Hauſe wie an einer unverrückbaren Kirche<lb/>
hängen, und denen der Herr ein zuverläſſiger Freund<lb/>
iſt. Seit ſie aber von ihm getrennt ſind, für die Ar¬<lb/>
beit bezahlt werden, und abgeſondert ihre Nahrung<lb/>
erhalten, gehören ſie nicht zu ihm nicht zu ſeinem<lb/>
Kinde, haben andere Zwecke, widerſtreben ihm, ver¬<lb/>
laſſen ihn leicht, und fallen, da ſie familienlos und<lb/>
ohne Bildung ſind, leicht dem Laſter anheim. Die<lb/>
Kluft zwiſchen den ſogenannten Gebildeten und Un¬<lb/>
gebildeten wird immer größer; wenn noch erſt auch<lb/>
der Landmann ſeine Speiſen in ſeinem abgeſonderten<lb/>
Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unter¬<lb/>ſcheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewe¬<lb/>ſen wäre.“</p><lb/><p>„Ich habe,“ fuhr er nach einer Weile fort, „dieſe<lb/>
Sitte in unſerem hieſigen Hauſe einführen wollen;<lb/>
allein die Leute waren auf eine andere Weiſe heran¬<lb/>
gewachſen, waren in ſich ſelber hineingewachſen,<lb/>
konnten ſich an ein Fremdes nicht anſchließen, und<lb/>
hätten nur die Freiheit ihres Weſens verloren. Es<lb/></p></div></body></text></TEI>
[204/0218]
was im Staate und in der Menſchlichkeit gut iſt, von
der Familie kömmt, ſo werden ſie nicht blos gute
Dienſtleute, die den Dienſt lieben, ſondern leicht
auch gute Menſchen, die in einfacher Frömmigkeit
an dem Hauſe wie an einer unverrückbaren Kirche
hängen, und denen der Herr ein zuverläſſiger Freund
iſt. Seit ſie aber von ihm getrennt ſind, für die Ar¬
beit bezahlt werden, und abgeſondert ihre Nahrung
erhalten, gehören ſie nicht zu ihm nicht zu ſeinem
Kinde, haben andere Zwecke, widerſtreben ihm, ver¬
laſſen ihn leicht, und fallen, da ſie familienlos und
ohne Bildung ſind, leicht dem Laſter anheim. Die
Kluft zwiſchen den ſogenannten Gebildeten und Un¬
gebildeten wird immer größer; wenn noch erſt auch
der Landmann ſeine Speiſen in ſeinem abgeſonderten
Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unter¬
ſcheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewe¬
ſen wäre.“
„Ich habe,“ fuhr er nach einer Weile fort, „dieſe
Sitte in unſerem hieſigen Hauſe einführen wollen;
allein die Leute waren auf eine andere Weiſe heran¬
gewachſen, waren in ſich ſelber hineingewachſen,
konnten ſich an ein Fremdes nicht anſchließen, und
hätten nur die Freiheit ihres Weſens verloren. Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/218>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.