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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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was im Staate und in der Menschlichkeit gut ist, von
der Familie kömmt, so werden sie nicht blos gute
Dienstleute, die den Dienst lieben, sondern leicht
auch gute Menschen, die in einfacher Frömmigkeit
an dem Hause wie an einer unverrückbaren Kirche
hängen, und denen der Herr ein zuverlässiger Freund
ist. Seit sie aber von ihm getrennt sind, für die Ar¬
beit bezahlt werden, und abgesondert ihre Nahrung
erhalten, gehören sie nicht zu ihm nicht zu seinem
Kinde, haben andere Zwecke, widerstreben ihm, ver¬
lassen ihn leicht, und fallen, da sie familienlos und
ohne Bildung sind, leicht dem Laster anheim. Die
Kluft zwischen den sogenannten Gebildeten und Un¬
gebildeten wird immer größer; wenn noch erst auch
der Landmann seine Speisen in seinem abgesonderten
Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unter¬
scheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewe¬
sen wäre."

"Ich habe," fuhr er nach einer Weile fort, "diese
Sitte in unserem hiesigen Hause einführen wollen;
allein die Leute waren auf eine andere Weise heran¬
gewachsen, waren in sich selber hineingewachsen,
konnten sich an ein Fremdes nicht anschließen, und
hätten nur die Freiheit ihres Wesens verloren. Es

was im Staate und in der Menſchlichkeit gut iſt, von
der Familie kömmt, ſo werden ſie nicht blos gute
Dienſtleute, die den Dienſt lieben, ſondern leicht
auch gute Menſchen, die in einfacher Frömmigkeit
an dem Hauſe wie an einer unverrückbaren Kirche
hängen, und denen der Herr ein zuverläſſiger Freund
iſt. Seit ſie aber von ihm getrennt ſind, für die Ar¬
beit bezahlt werden, und abgeſondert ihre Nahrung
erhalten, gehören ſie nicht zu ihm nicht zu ſeinem
Kinde, haben andere Zwecke, widerſtreben ihm, ver¬
laſſen ihn leicht, und fallen, da ſie familienlos und
ohne Bildung ſind, leicht dem Laſter anheim. Die
Kluft zwiſchen den ſogenannten Gebildeten und Un¬
gebildeten wird immer größer; wenn noch erſt auch
der Landmann ſeine Speiſen in ſeinem abgeſonderten
Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unter¬
ſcheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewe¬
ſen wäre.“

„Ich habe,“ fuhr er nach einer Weile fort, „dieſe
Sitte in unſerem hieſigen Hauſe einführen wollen;
allein die Leute waren auf eine andere Weiſe heran¬
gewachſen, waren in ſich ſelber hineingewachſen,
konnten ſich an ein Fremdes nicht anſchließen, und
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[204/0218] was im Staate und in der Menſchlichkeit gut iſt, von der Familie kömmt, ſo werden ſie nicht blos gute Dienſtleute, die den Dienſt lieben, ſondern leicht auch gute Menſchen, die in einfacher Frömmigkeit an dem Hauſe wie an einer unverrückbaren Kirche hängen, und denen der Herr ein zuverläſſiger Freund iſt. Seit ſie aber von ihm getrennt ſind, für die Ar¬ beit bezahlt werden, und abgeſondert ihre Nahrung erhalten, gehören ſie nicht zu ihm nicht zu ſeinem Kinde, haben andere Zwecke, widerſtreben ihm, ver¬ laſſen ihn leicht, und fallen, da ſie familienlos und ohne Bildung ſind, leicht dem Laſter anheim. Die Kluft zwiſchen den ſogenannten Gebildeten und Un¬ gebildeten wird immer größer; wenn noch erſt auch der Landmann ſeine Speiſen in ſeinem abgeſonderten Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unter¬ ſcheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewe¬ ſen wäre.“ „Ich habe,“ fuhr er nach einer Weile fort, „dieſe Sitte in unſerem hieſigen Hauſe einführen wollen; allein die Leute waren auf eine andere Weiſe heran¬ gewachſen, waren in ſich ſelber hineingewachſen, konnten ſich an ein Fremdes nicht anſchließen, und hätten nur die Freiheit ihres Weſens verloren. Es

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/218>, abgerufen am 12.05.2024.