Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Wiesen in der Gegend sind, auf welchen zu jener Zeit
die Heuernte vorkömmt, so haben die Leute keine Arbeit
auf den Feldern, und lassen sie allein unter der befruch¬
tenden Sonne. Die Stille war wie in dem Hochge¬
birge; aber sie war nicht so einsam, weil man über¬
all von der Geselligkeit der Nährpflanzen umge¬
ben war.

Der Klang einer fernen Dorfglocke und meine
Uhr, die ich herauszog, erinnerte mich daran, daß es
Mittag sei.

Ich ging dem Hause zu, das Gitter wurde mir
auf einen Zug an der Glockenstange geöffnet, und ich
ging in das Speisezimmer. Dort fand ich meinen
Gastfreund und Gustav, und wir sezten uns zu Tische.
Wir drei waren allein bei dem Mahle.

Während des Essens sagte mein Gastfreund: "Ihr
werdet euch wundern, daß wir so allein unsere Speisen
verzehren. Es ist in der That sehr zu bedauern, daß
die alte Sitte abgekommen ist, daß der Herr des
Hauses zugleich mit den Seinigen und seinem Ge¬
sinde beim Mahle sizt. Die Dienstleute gehören auf
diese Weise zu der Familie, sie dienen oft lebenslang
in demselben Hause, der Herr lebt mit ihnen ein an¬
genehmes gemeinschaftliches Leben, und weil alles,

Wieſen in der Gegend ſind, auf welchen zu jener Zeit
die Heuernte vorkömmt, ſo haben die Leute keine Arbeit
auf den Feldern, und laſſen ſie allein unter der befruch¬
tenden Sonne. Die Stille war wie in dem Hochge¬
birge; aber ſie war nicht ſo einſam, weil man über¬
all von der Geſelligkeit der Nährpflanzen umge¬
ben war.

Der Klang einer fernen Dorfglocke und meine
Uhr, die ich herauszog, erinnerte mich daran, daß es
Mittag ſei.

Ich ging dem Hauſe zu, das Gitter wurde mir
auf einen Zug an der Glockenſtange geöffnet, und ich
ging in das Speiſezimmer. Dort fand ich meinen
Gaſtfreund und Guſtav, und wir ſezten uns zu Tiſche.
Wir drei waren allein bei dem Mahle.

Während des Eſſens ſagte mein Gaſtfreund: „Ihr
werdet euch wundern, daß wir ſo allein unſere Speiſen
verzehren. Es iſt in der That ſehr zu bedauern, daß
die alte Sitte abgekommen iſt, daß der Herr des
Hauſes zugleich mit den Seinigen und ſeinem Ge¬
ſinde beim Mahle ſizt. Die Dienſtleute gehören auf
dieſe Weiſe zu der Familie, ſie dienen oft lebenslang
in demſelben Hauſe, der Herr lebt mit ihnen ein an¬
genehmes gemeinſchaftliches Leben, und weil alles,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0217" n="203"/>
Wie&#x017F;en in der Gegend &#x017F;ind, auf welchen zu jener Zeit<lb/>
die Heuernte vorkömmt, &#x017F;o haben die Leute keine Arbeit<lb/>
auf den Feldern, und la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie allein unter der befruch¬<lb/>
tenden Sonne. Die Stille war wie in dem Hochge¬<lb/>
birge; aber &#x017F;ie war nicht &#x017F;o ein&#x017F;am, weil man über¬<lb/>
all von der Ge&#x017F;elligkeit der Nährpflanzen umge¬<lb/>
ben war.</p><lb/>
        <p>Der Klang einer fernen Dorfglocke und meine<lb/>
Uhr, die ich herauszog, erinnerte mich daran, daß es<lb/>
Mittag &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>Ich ging dem Hau&#x017F;e zu, das Gitter wurde mir<lb/>
auf einen Zug an der Glocken&#x017F;tange geöffnet, und ich<lb/>
ging in das Spei&#x017F;ezimmer. Dort fand ich meinen<lb/>
Ga&#x017F;tfreund und Gu&#x017F;tav, und wir &#x017F;ezten uns zu Ti&#x017F;che.<lb/>
Wir drei waren allein bei dem Mahle.</p><lb/>
        <p>Während des E&#x017F;&#x017F;ens &#x017F;agte mein Ga&#x017F;tfreund: &#x201E;Ihr<lb/>
werdet euch wundern, daß wir &#x017F;o allein un&#x017F;ere Spei&#x017F;en<lb/>
verzehren. Es i&#x017F;t in der That &#x017F;ehr zu bedauern, daß<lb/>
die alte Sitte abgekommen i&#x017F;t, daß der Herr des<lb/>
Hau&#x017F;es zugleich mit den Seinigen und &#x017F;einem Ge¬<lb/>
&#x017F;inde beim Mahle &#x017F;izt. Die Dien&#x017F;tleute gehören auf<lb/>
die&#x017F;e Wei&#x017F;e zu der Familie, &#x017F;ie dienen oft lebenslang<lb/>
in dem&#x017F;elben Hau&#x017F;e, der Herr lebt mit ihnen ein an¬<lb/>
genehmes gemein&#x017F;chaftliches Leben, und weil alles,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0217] Wieſen in der Gegend ſind, auf welchen zu jener Zeit die Heuernte vorkömmt, ſo haben die Leute keine Arbeit auf den Feldern, und laſſen ſie allein unter der befruch¬ tenden Sonne. Die Stille war wie in dem Hochge¬ birge; aber ſie war nicht ſo einſam, weil man über¬ all von der Geſelligkeit der Nährpflanzen umge¬ ben war. Der Klang einer fernen Dorfglocke und meine Uhr, die ich herauszog, erinnerte mich daran, daß es Mittag ſei. Ich ging dem Hauſe zu, das Gitter wurde mir auf einen Zug an der Glockenſtange geöffnet, und ich ging in das Speiſezimmer. Dort fand ich meinen Gaſtfreund und Guſtav, und wir ſezten uns zu Tiſche. Wir drei waren allein bei dem Mahle. Während des Eſſens ſagte mein Gaſtfreund: „Ihr werdet euch wundern, daß wir ſo allein unſere Speiſen verzehren. Es iſt in der That ſehr zu bedauern, daß die alte Sitte abgekommen iſt, daß der Herr des Hauſes zugleich mit den Seinigen und ſeinem Ge¬ ſinde beim Mahle ſizt. Die Dienſtleute gehören auf dieſe Weiſe zu der Familie, ſie dienen oft lebenslang in demſelben Hauſe, der Herr lebt mit ihnen ein an¬ genehmes gemeinſchaftliches Leben, und weil alles,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/217
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/217>, abgerufen am 13.05.2024.