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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu
allen Theilen gestatten, angelegt, und es wird das
ganze Gitter untersucht. Man reinigt die Rinde,
pflegt sie, verbindet ihre Wunden, knüpft die Zweige
an, und schneidet das Untaugliche weg. Aber auch
im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte
Blatt und jede unvollständige Blume. Es haben nach
und nach alle im Hause eine Neigung zu den Rosen
bekommen, sehen gerne nach, und zeigen es sogleich
an, wenn sich etwas Unrechtes bemerken läßt. Auch
in der Umgegend hat man Wohlgefallen an diesen
Blumen gefunden, man sezt sie in Gärten und pflegt
sie, ich schenke den Leuten die Pflanzen aus meinen
Vermehrungsbeeten, und unterrichte sie in der Behand¬
lung. Zwei Wegestunden von hier ist ein Bauer, der
wie ich eine ganze Wand seines Hauses mit Rosen
bepflanzt hat."

"Je mehr es mir wichtig erscheint, wie ihr mit
euren Rosen umgeht," antwortete ich, "und für je
wichtiger ihr sie selbst betrachtet, desto mehr muß ich
doch die Frage thun, warum ihr denn gerade vorzugs¬
weise an dieser Wand eures Hauses die Rosen zieht,
wo ihr Standort doch nicht so ersprießlich ist, und
wo man solche Anstalten machen muß, um ihr völli¬

Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu
allen Theilen geſtatten, angelegt, und es wird das
ganze Gitter unterſucht. Man reinigt die Rinde,
pflegt ſie, verbindet ihre Wunden, knüpft die Zweige
an, und ſchneidet das Untaugliche weg. Aber auch
im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte
Blatt und jede unvollſtändige Blume. Es haben nach
und nach alle im Hauſe eine Neigung zu den Roſen
bekommen, ſehen gerne nach, und zeigen es ſogleich
an, wenn ſich etwas Unrechtes bemerken läßt. Auch
in der Umgegend hat man Wohlgefallen an dieſen
Blumen gefunden, man ſezt ſie in Gärten und pflegt
ſie, ich ſchenke den Leuten die Pflanzen aus meinen
Vermehrungsbeeten, und unterrichte ſie in der Behand¬
lung. Zwei Wegeſtunden von hier iſt ein Bauer, der
wie ich eine ganze Wand ſeines Hauſes mit Roſen
bepflanzt hat.“

„Je mehr es mir wichtig erſcheint, wie ihr mit
euren Roſen umgeht,“ antwortete ich, „und für je
wichtiger ihr ſie ſelbſt betrachtet, deſto mehr muß ich
doch die Frage thun, warum ihr denn gerade vorzugs¬
weiſe an dieſer Wand eures Hauſes die Roſen zieht,
wo ihr Standort doch nicht ſo erſprießlich iſt, und
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[221/0235] Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu allen Theilen geſtatten, angelegt, und es wird das ganze Gitter unterſucht. Man reinigt die Rinde, pflegt ſie, verbindet ihre Wunden, knüpft die Zweige an, und ſchneidet das Untaugliche weg. Aber auch im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte Blatt und jede unvollſtändige Blume. Es haben nach und nach alle im Hauſe eine Neigung zu den Roſen bekommen, ſehen gerne nach, und zeigen es ſogleich an, wenn ſich etwas Unrechtes bemerken läßt. Auch in der Umgegend hat man Wohlgefallen an dieſen Blumen gefunden, man ſezt ſie in Gärten und pflegt ſie, ich ſchenke den Leuten die Pflanzen aus meinen Vermehrungsbeeten, und unterrichte ſie in der Behand¬ lung. Zwei Wegeſtunden von hier iſt ein Bauer, der wie ich eine ganze Wand ſeines Hauſes mit Roſen bepflanzt hat.“ „Je mehr es mir wichtig erſcheint, wie ihr mit euren Roſen umgeht,“ antwortete ich, „und für je wichtiger ihr ſie ſelbſt betrachtet, deſto mehr muß ich doch die Frage thun, warum ihr denn gerade vorzugs¬ weiſe an dieſer Wand eures Hauſes die Roſen zieht, wo ihr Standort doch nicht ſo erſprießlich iſt, und wo man ſolche Anſtalten machen muß, um ihr völli¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/235>, abgerufen am 27.11.2024.