Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu allen Theilen gestatten, angelegt, und es wird das ganze Gitter untersucht. Man reinigt die Rinde, pflegt sie, verbindet ihre Wunden, knüpft die Zweige an, und schneidet das Untaugliche weg. Aber auch im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte Blatt und jede unvollständige Blume. Es haben nach und nach alle im Hause eine Neigung zu den Rosen bekommen, sehen gerne nach, und zeigen es sogleich an, wenn sich etwas Unrechtes bemerken läßt. Auch in der Umgegend hat man Wohlgefallen an diesen Blumen gefunden, man sezt sie in Gärten und pflegt sie, ich schenke den Leuten die Pflanzen aus meinen Vermehrungsbeeten, und unterrichte sie in der Behand¬ lung. Zwei Wegestunden von hier ist ein Bauer, der wie ich eine ganze Wand seines Hauses mit Rosen bepflanzt hat."
"Je mehr es mir wichtig erscheint, wie ihr mit euren Rosen umgeht," antwortete ich, "und für je wichtiger ihr sie selbst betrachtet, desto mehr muß ich doch die Frage thun, warum ihr denn gerade vorzugs¬ weise an dieser Wand eures Hauses die Rosen zieht, wo ihr Standort doch nicht so ersprießlich ist, und wo man solche Anstalten machen muß, um ihr völli¬
Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu allen Theilen geſtatten, angelegt, und es wird das ganze Gitter unterſucht. Man reinigt die Rinde, pflegt ſie, verbindet ihre Wunden, knüpft die Zweige an, und ſchneidet das Untaugliche weg. Aber auch im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte Blatt und jede unvollſtändige Blume. Es haben nach und nach alle im Hauſe eine Neigung zu den Roſen bekommen, ſehen gerne nach, und zeigen es ſogleich an, wenn ſich etwas Unrechtes bemerken läßt. Auch in der Umgegend hat man Wohlgefallen an dieſen Blumen gefunden, man ſezt ſie in Gärten und pflegt ſie, ich ſchenke den Leuten die Pflanzen aus meinen Vermehrungsbeeten, und unterrichte ſie in der Behand¬ lung. Zwei Wegeſtunden von hier iſt ein Bauer, der wie ich eine ganze Wand ſeines Hauſes mit Roſen bepflanzt hat.“
„Je mehr es mir wichtig erſcheint, wie ihr mit euren Roſen umgeht,“ antwortete ich, „und für je wichtiger ihr ſie ſelbſt betrachtet, deſto mehr muß ich doch die Frage thun, warum ihr denn gerade vorzugs¬ weiſe an dieſer Wand eures Hauſes die Roſen zieht, wo ihr Standort doch nicht ſo erſprießlich iſt, und wo man ſolche Anſtalten machen muß, um ihr völli¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0235"n="221"/>
Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu<lb/>
allen Theilen geſtatten, angelegt, und es wird das<lb/>
ganze Gitter unterſucht. Man reinigt die Rinde,<lb/>
pflegt ſie, verbindet ihre Wunden, knüpft die Zweige<lb/>
an, und ſchneidet das Untaugliche weg. Aber auch<lb/>
im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte<lb/>
Blatt und jede unvollſtändige Blume. Es haben nach<lb/>
und nach alle im Hauſe eine Neigung zu den Roſen<lb/>
bekommen, ſehen gerne nach, und zeigen es ſogleich<lb/>
an, wenn ſich etwas Unrechtes bemerken läßt. Auch<lb/>
in der Umgegend hat man Wohlgefallen an dieſen<lb/>
Blumen gefunden, man ſezt ſie in Gärten und pflegt<lb/>ſie, ich ſchenke den Leuten die Pflanzen aus meinen<lb/>
Vermehrungsbeeten, und unterrichte ſie in der Behand¬<lb/>
lung. Zwei Wegeſtunden von hier iſt ein Bauer, der<lb/>
wie ich eine ganze Wand ſeines Hauſes mit Roſen<lb/>
bepflanzt hat.“</p><lb/><p>„Je mehr es mir wichtig erſcheint, wie ihr mit<lb/>
euren Roſen umgeht,“ antwortete ich, „und für je<lb/>
wichtiger ihr ſie ſelbſt betrachtet, deſto mehr muß ich<lb/>
doch die Frage thun, warum ihr denn gerade vorzugs¬<lb/>
weiſe an dieſer Wand eures Hauſes die Roſen zieht,<lb/>
wo ihr Standort doch nicht ſo erſprießlich iſt, und<lb/>
wo man ſolche Anſtalten machen muß, um ihr völli¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[221/0235]
Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu
allen Theilen geſtatten, angelegt, und es wird das
ganze Gitter unterſucht. Man reinigt die Rinde,
pflegt ſie, verbindet ihre Wunden, knüpft die Zweige
an, und ſchneidet das Untaugliche weg. Aber auch
im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte
Blatt und jede unvollſtändige Blume. Es haben nach
und nach alle im Hauſe eine Neigung zu den Roſen
bekommen, ſehen gerne nach, und zeigen es ſogleich
an, wenn ſich etwas Unrechtes bemerken läßt. Auch
in der Umgegend hat man Wohlgefallen an dieſen
Blumen gefunden, man ſezt ſie in Gärten und pflegt
ſie, ich ſchenke den Leuten die Pflanzen aus meinen
Vermehrungsbeeten, und unterrichte ſie in der Behand¬
lung. Zwei Wegeſtunden von hier iſt ein Bauer, der
wie ich eine ganze Wand ſeines Hauſes mit Roſen
bepflanzt hat.“
„Je mehr es mir wichtig erſcheint, wie ihr mit
euren Roſen umgeht,“ antwortete ich, „und für je
wichtiger ihr ſie ſelbſt betrachtet, deſto mehr muß ich
doch die Frage thun, warum ihr denn gerade vorzugs¬
weiſe an dieſer Wand eures Hauſes die Roſen zieht,
wo ihr Standort doch nicht ſo erſprießlich iſt, und
wo man ſolche Anſtalten machen muß, um ihr völli¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/235>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.