denen die kunstreichste Musik aufgeführt wurde, die selten zu hören ist. Zwar singt ein Vogel in einem Käfiche auch; denn der Vogel ist leichtsinnig, er er¬ schrickt zwar heftig, er fürchtet sich; aber bald ist der Schrecken und die Furcht vergessen, er hüpft auf einen Halt für seine Füsse, und trällert dort das Lied, das er gelernt hat, und das er immer wiederholt. Wenn er jung und sogar auch alt gefangen wird, vergißt er sich und sein Leid, wird ein Hin- und Widerhüpfer in kleinem Raume, da er sonst einen großen brauchte, und singt seine Weise; aber dieser Gesang ist ein Ge¬ sang der Gewohnheit, nicht der Lust. Wir haben an unserm Garten einen ungeheueren Käfich ohne Draht Stangen und Vogelthürchen, in welchem der Vogel vor außerordentlicher Freude, der er sich so leicht hin¬ gibt, singt, in welchem wir das Zusammentönen vieler Stimmen hören können, das in einem Zimmer bei¬ sammen nur ein Geschrei wäre, und in welchem wir endlich die häusliche Wirthschaft der Vögel und ihre Geberden sehen können, die so verschieden sind und oft dem tiefsten Ernste ein Lächeln abgewinnen kön¬ nen. Man hat uns in diesem Hegen von Vögeln in einem Garten nicht nachgeahmt. Die Leute sind nicht verhärtet gegen die Schönheit des Vogels und gegen
denen die kunſtreichſte Muſik aufgeführt wurde, die ſelten zu hören iſt. Zwar ſingt ein Vogel in einem Käfiche auch; denn der Vogel iſt leichtſinnig, er er¬ ſchrickt zwar heftig, er fürchtet ſich; aber bald iſt der Schrecken und die Furcht vergeſſen, er hüpft auf einen Halt für ſeine Füſſe, und trällert dort das Lied, das er gelernt hat, und das er immer wiederholt. Wenn er jung und ſogar auch alt gefangen wird, vergißt er ſich und ſein Leid, wird ein Hin- und Widerhüpfer in kleinem Raume, da er ſonſt einen großen brauchte, und ſingt ſeine Weiſe; aber dieſer Geſang iſt ein Ge¬ ſang der Gewohnheit, nicht der Luſt. Wir haben an unſerm Garten einen ungeheueren Käfich ohne Draht Stangen und Vogelthürchen, in welchem der Vogel vor außerordentlicher Freude, der er ſich ſo leicht hin¬ gibt, ſingt, in welchem wir das Zuſammentönen vieler Stimmen hören können, das in einem Zimmer bei¬ ſammen nur ein Geſchrei wäre, und in welchem wir endlich die häusliche Wirthſchaft der Vögel und ihre Geberden ſehen können, die ſo verſchieden ſind und oft dem tiefſten Ernſte ein Lächeln abgewinnen kön¬ nen. Man hat uns in dieſem Hegen von Vögeln in einem Garten nicht nachgeahmt. Die Leute ſind nicht verhärtet gegen die Schönheit des Vogels und gegen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0259"n="245"/>
denen die kunſtreichſte Muſik aufgeführt wurde, die<lb/>ſelten zu hören iſt. Zwar ſingt ein Vogel in einem<lb/>
Käfiche auch; denn der Vogel iſt leichtſinnig, er er¬<lb/>ſchrickt zwar heftig, er fürchtet ſich; aber bald iſt der<lb/>
Schrecken und die Furcht vergeſſen, er hüpft auf einen<lb/>
Halt für ſeine Füſſe, und trällert dort das Lied, das<lb/>
er gelernt hat, und das er immer wiederholt. Wenn<lb/>
er jung und ſogar auch alt gefangen wird, vergißt er<lb/>ſich und ſein Leid, wird ein Hin- und Widerhüpfer in<lb/>
kleinem Raume, da er ſonſt einen großen brauchte,<lb/>
und ſingt ſeine Weiſe; aber dieſer Geſang iſt ein Ge¬<lb/>ſang der Gewohnheit, nicht der Luſt. Wir haben an<lb/>
unſerm Garten einen ungeheueren Käfich ohne Draht<lb/>
Stangen und Vogelthürchen, in welchem der Vogel<lb/>
vor außerordentlicher Freude, der er ſich ſo leicht hin¬<lb/>
gibt, ſingt, in welchem wir das Zuſammentönen vieler<lb/>
Stimmen hören können, das in einem Zimmer bei¬<lb/>ſammen nur ein Geſchrei wäre, und in welchem wir<lb/>
endlich die häusliche Wirthſchaft der Vögel und ihre<lb/>
Geberden ſehen können, die ſo verſchieden ſind und<lb/>
oft dem tiefſten Ernſte ein Lächeln abgewinnen kön¬<lb/>
nen. Man hat uns in dieſem Hegen von Vögeln in<lb/>
einem Garten nicht nachgeahmt. Die Leute ſind nicht<lb/>
verhärtet gegen die Schönheit des Vogels und gegen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[245/0259]
denen die kunſtreichſte Muſik aufgeführt wurde, die
ſelten zu hören iſt. Zwar ſingt ein Vogel in einem
Käfiche auch; denn der Vogel iſt leichtſinnig, er er¬
ſchrickt zwar heftig, er fürchtet ſich; aber bald iſt der
Schrecken und die Furcht vergeſſen, er hüpft auf einen
Halt für ſeine Füſſe, und trällert dort das Lied, das
er gelernt hat, und das er immer wiederholt. Wenn
er jung und ſogar auch alt gefangen wird, vergißt er
ſich und ſein Leid, wird ein Hin- und Widerhüpfer in
kleinem Raume, da er ſonſt einen großen brauchte,
und ſingt ſeine Weiſe; aber dieſer Geſang iſt ein Ge¬
ſang der Gewohnheit, nicht der Luſt. Wir haben an
unſerm Garten einen ungeheueren Käfich ohne Draht
Stangen und Vogelthürchen, in welchem der Vogel
vor außerordentlicher Freude, der er ſich ſo leicht hin¬
gibt, ſingt, in welchem wir das Zuſammentönen vieler
Stimmen hören können, das in einem Zimmer bei¬
ſammen nur ein Geſchrei wäre, und in welchem wir
endlich die häusliche Wirthſchaft der Vögel und ihre
Geberden ſehen können, die ſo verſchieden ſind und
oft dem tiefſten Ernſte ein Lächeln abgewinnen kön¬
nen. Man hat uns in dieſem Hegen von Vögeln in
einem Garten nicht nachgeahmt. Die Leute ſind nicht
verhärtet gegen die Schönheit des Vogels und gegen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/259>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.