Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch der Jüngling Gustav war sehr heiter, und
zeigte Freude, wenn er in die Büsche blickte, in denen
eine Wohnung war. Es war mir dies ein Beweis,
daß das Zerstören der Vogelnester durch Wegnahme
der Eier oder der Jungen und das Fangen der Vögel
überhaupt den Kindern nicht angeboren ist, sondern,
daß dieser Zerstörungstrieb, wenn er da ist, von Eltern
oder Erziehern hervorgerufen und in diese Bahn ge¬
leitet wurde, und daß er durch eine bessere Erziehung
sein Gegentheil wird.

Wir schritten weiter. In einer kleinen Fichte, die
am Rande des Gartens stand, zeigten sie mir noch
eine Finkenwohnung, die an dem Stamme in das
Geflechte theils hervorgewachsener theils künstlich
eingefugter Äste und Zweige gebaut war. An ande¬
ren Bäumen sahen wir auch in die aufgehängten
Behälter Vögel aus- und einschlüpfen. Mein Be¬
gleiter sagte, daß, wenn ich nur länger hier wäre,
mir selbst die Sitten der Vögel verständlicher werden
würden.

Ich erwiederte, daß ich schon mehreres aus mei¬
nen Reisen im Gebirge und aus meinen früheren Be¬
schäftigungen in den Naturwissenschaften kenne.

"Das ist doch immer weniger," sagte mein Gast¬

Auch der Jüngling Guſtav war ſehr heiter, und
zeigte Freude, wenn er in die Büſche blickte, in denen
eine Wohnung war. Es war mir dies ein Beweis,
daß das Zerſtören der Vogelneſter durch Wegnahme
der Eier oder der Jungen und das Fangen der Vögel
überhaupt den Kindern nicht angeboren iſt, ſondern,
daß dieſer Zerſtörungstrieb, wenn er da iſt, von Eltern
oder Erziehern hervorgerufen und in dieſe Bahn ge¬
leitet wurde, und daß er durch eine beſſere Erziehung
ſein Gegentheil wird.

Wir ſchritten weiter. In einer kleinen Fichte, die
am Rande des Gartens ſtand, zeigten ſie mir noch
eine Finkenwohnung, die an dem Stamme in das
Geflechte theils hervorgewachſener theils künſtlich
eingefugter Äſte und Zweige gebaut war. An ande¬
ren Bäumen ſahen wir auch in die aufgehängten
Behälter Vögel aus- und einſchlüpfen. Mein Be¬
gleiter ſagte, daß, wenn ich nur länger hier wäre,
mir ſelbſt die Sitten der Vögel verſtändlicher werden
würden.

Ich erwiederte, daß ich ſchon mehreres aus mei¬
nen Reiſen im Gebirge und aus meinen früheren Be¬
ſchäftigungen in den Naturwiſſenſchaften kenne.

„Das iſt doch immer weniger,“ ſagte mein Gaſt¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0266" n="252"/>
        <p>Auch der Jüngling Gu&#x017F;tav war &#x017F;ehr heiter, und<lb/>
zeigte Freude, wenn er in die Bü&#x017F;che blickte, in denen<lb/>
eine Wohnung war. Es war mir dies ein Beweis,<lb/>
daß das Zer&#x017F;tören der Vogelne&#x017F;ter durch Wegnahme<lb/>
der Eier oder der Jungen und das Fangen der Vögel<lb/>
überhaupt den Kindern nicht angeboren i&#x017F;t, &#x017F;ondern,<lb/>
daß die&#x017F;er Zer&#x017F;törungstrieb, wenn er da i&#x017F;t, von Eltern<lb/>
oder Erziehern hervorgerufen und in die&#x017F;e Bahn ge¬<lb/>
leitet wurde, und daß er durch eine be&#x017F;&#x017F;ere Erziehung<lb/>
&#x017F;ein Gegentheil wird.</p><lb/>
        <p>Wir &#x017F;chritten weiter. In einer kleinen Fichte, die<lb/>
am Rande des Gartens &#x017F;tand, zeigten &#x017F;ie mir noch<lb/>
eine Finkenwohnung, die an dem Stamme in das<lb/>
Geflechte theils hervorgewach&#x017F;ener theils kün&#x017F;tlich<lb/>
eingefugter Ä&#x017F;te und Zweige gebaut war. An ande¬<lb/>
ren Bäumen &#x017F;ahen wir auch in die aufgehängten<lb/>
Behälter Vögel aus- und ein&#x017F;chlüpfen. Mein Be¬<lb/>
gleiter &#x017F;agte, daß, wenn ich nur länger hier wäre,<lb/>
mir &#x017F;elb&#x017F;t die Sitten der Vögel ver&#x017F;tändlicher werden<lb/>
würden.</p><lb/>
        <p>Ich erwiederte, daß ich &#x017F;chon mehreres aus mei¬<lb/>
nen Rei&#x017F;en im Gebirge und aus meinen früheren Be¬<lb/>
&#x017F;chäftigungen in den Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften kenne.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t doch immer weniger,&#x201C; &#x017F;agte mein Ga&#x017F;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0266] Auch der Jüngling Guſtav war ſehr heiter, und zeigte Freude, wenn er in die Büſche blickte, in denen eine Wohnung war. Es war mir dies ein Beweis, daß das Zerſtören der Vogelneſter durch Wegnahme der Eier oder der Jungen und das Fangen der Vögel überhaupt den Kindern nicht angeboren iſt, ſondern, daß dieſer Zerſtörungstrieb, wenn er da iſt, von Eltern oder Erziehern hervorgerufen und in dieſe Bahn ge¬ leitet wurde, und daß er durch eine beſſere Erziehung ſein Gegentheil wird. Wir ſchritten weiter. In einer kleinen Fichte, die am Rande des Gartens ſtand, zeigten ſie mir noch eine Finkenwohnung, die an dem Stamme in das Geflechte theils hervorgewachſener theils künſtlich eingefugter Äſte und Zweige gebaut war. An ande¬ ren Bäumen ſahen wir auch in die aufgehängten Behälter Vögel aus- und einſchlüpfen. Mein Be¬ gleiter ſagte, daß, wenn ich nur länger hier wäre, mir ſelbſt die Sitten der Vögel verſtändlicher werden würden. Ich erwiederte, daß ich ſchon mehreres aus mei¬ nen Reiſen im Gebirge und aus meinen früheren Be¬ ſchäftigungen in den Naturwiſſenſchaften kenne. „Das iſt doch immer weniger,“ ſagte mein Gaſt¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/266
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/266>, abgerufen am 21.11.2024.