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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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stab hatten, so daß Rußland in einer außerordentlich
großen, die Schweiz in einer sehr kleinen Karte dar¬
gestellt war. Mir leuchtete der Zweck dieser Maßregel
ein, damit nehmlich bei der lebhaften jugendlichen
Einbildungskraft ein Bild der Größenverhältnisse
dauernd eingeprägt werde. Ich erinnerte mich bei die¬
ser Gelegenheit einer Wette, die wir Kinder um eine
Kleinigkeit über die Frage abgeschlossen hatten, ob
Philadelphia nicht beinahe so südlich wie Rom liege,
was die meisten mit Lachen verneinten. Eine herbei¬
gebrachte Karte zeigte, daß es südlicher als Neapel
liege. Allgemein sagten damals auch die großen Leute,
die zugegen waren, daß bei Kindern dieser Irrthum
durch die Raumverhältnisse, in denen unsere gewöhn¬
lichen Karten gezeichnet seien, veranlaßt werden
mußte. Die Karten, welche Gustav gebrauchte, wa¬
ren von dem Zeichner im Schreinerhause nach Karten
unserer sogenannten Atlasse verfertiget worden.

Ich fragte meinen Gastfreund, ob Gustav auch
Geschichte lerne, worauf er erwiederte: "Man nimmt
sehr häufig mit jungen Schülern gleich zur Erdbe¬
schreibung auch Geschichte vor; ich glaube aber, daß
man hierin Unrecht thut. Wenn man in der Erdbe¬
schreibung nicht blos die geschichtliche Eintheilung

ſtab hatten, ſo daß Rußland in einer außerordentlich
großen, die Schweiz in einer ſehr kleinen Karte dar¬
geſtellt war. Mir leuchtete der Zweck dieſer Maßregel
ein, damit nehmlich bei der lebhaften jugendlichen
Einbildungskraft ein Bild der Größenverhältniſſe
dauernd eingeprägt werde. Ich erinnerte mich bei die¬
ſer Gelegenheit einer Wette, die wir Kinder um eine
Kleinigkeit über die Frage abgeſchloſſen hatten, ob
Philadelphia nicht beinahe ſo ſüdlich wie Rom liege,
was die meiſten mit Lachen verneinten. Eine herbei¬
gebrachte Karte zeigte, daß es ſüdlicher als Neapel
liege. Allgemein ſagten damals auch die großen Leute,
die zugegen waren, daß bei Kindern dieſer Irrthum
durch die Raumverhältniſſe, in denen unſere gewöhn¬
lichen Karten gezeichnet ſeien, veranlaßt werden
mußte. Die Karten, welche Guſtav gebrauchte, wa¬
ren von dem Zeichner im Schreinerhauſe nach Karten
unſerer ſogenannten Atlaſſe verfertiget worden.

Ich fragte meinen Gaſtfreund, ob Guſtav auch
Geſchichte lerne, worauf er erwiederte: „Man nimmt
ſehr häufig mit jungen Schülern gleich zur Erdbe¬
ſchreibung auch Geſchichte vor; ich glaube aber, daß
man hierin Unrecht thut. Wenn man in der Erdbe¬
ſchreibung nicht blos die geſchichtliche Eintheilung

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[341/0355] ſtab hatten, ſo daß Rußland in einer außerordentlich großen, die Schweiz in einer ſehr kleinen Karte dar¬ geſtellt war. Mir leuchtete der Zweck dieſer Maßregel ein, damit nehmlich bei der lebhaften jugendlichen Einbildungskraft ein Bild der Größenverhältniſſe dauernd eingeprägt werde. Ich erinnerte mich bei die¬ ſer Gelegenheit einer Wette, die wir Kinder um eine Kleinigkeit über die Frage abgeſchloſſen hatten, ob Philadelphia nicht beinahe ſo ſüdlich wie Rom liege, was die meiſten mit Lachen verneinten. Eine herbei¬ gebrachte Karte zeigte, daß es ſüdlicher als Neapel liege. Allgemein ſagten damals auch die großen Leute, die zugegen waren, daß bei Kindern dieſer Irrthum durch die Raumverhältniſſe, in denen unſere gewöhn¬ lichen Karten gezeichnet ſeien, veranlaßt werden mußte. Die Karten, welche Guſtav gebrauchte, wa¬ ren von dem Zeichner im Schreinerhauſe nach Karten unſerer ſogenannten Atlaſſe verfertiget worden. Ich fragte meinen Gaſtfreund, ob Guſtav auch Geſchichte lerne, worauf er erwiederte: „Man nimmt ſehr häufig mit jungen Schülern gleich zur Erdbe¬ ſchreibung auch Geſchichte vor; ich glaube aber, daß man hierin Unrecht thut. Wenn man in der Erdbe¬ ſchreibung nicht blos die geſchichtliche Eintheilung

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/355>, abgerufen am 21.11.2024.