Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Gustav machte keine Einwendungen mehr. Er
nahm ihre Rechte in seine beiden Hände, drückte sie,
küßte sie, und ging dann wieder zu den Büchern.

Als er alle ausgepackt hatte, holte er einen Die¬
ner, und ließ sie durch ihn in seine Wohnung tragen.

Nach dem Essen war es im Plane, daß wir uns
zerstreuen sollten, und jeder sich nach seinem Sinne
beschäftige.

Ich hatte es während des Vorganges mit den
Büchern nicht vermocht, auf das Angesicht Nataliens
zu schauen, was etwa in ihr vorgehen möge, und
was sich in den Zügen spiegle. Ich mußte mir nur
denken, sie werde von dem höchsten Beifalle über
die Handlung ihrer Mutter durchdrungen sein. Als
wir uns aber von dem Tische erhoben, als wir das
stumme Gebeth gesprochen, und uns wechselweise
verneigt hatten, wobei ich meine Augen immer nur
auf meinen alten Gastfreund und auf die Frau ge¬
richtet hatte, und als wir uns jezt anschickten, das
Zimmer zu verlassen, und Natalie den Arm Gustavs
nahm, und beide Geschwister sich umkehrten, um der
Thür zuzugehen, wagte ich es, den Blick zu dem
Spiegel zu erheben, in dem ich sie sehen mußte. Ich

Guſtav machte keine Einwendungen mehr. Er
nahm ihre Rechte in ſeine beiden Hände, drückte ſie,
küßte ſie, und ging dann wieder zu den Büchern.

Als er alle ausgepackt hatte, holte er einen Die¬
ner, und ließ ſie durch ihn in ſeine Wohnung tragen.

Nach dem Eſſen war es im Plane, daß wir uns
zerſtreuen ſollten, und jeder ſich nach ſeinem Sinne
beſchäftige.

Ich hatte es während des Vorganges mit den
Büchern nicht vermocht, auf das Angeſicht Nataliens
zu ſchauen, was etwa in ihr vorgehen möge, und
was ſich in den Zügen ſpiegle. Ich mußte mir nur
denken, ſie werde von dem höchſten Beifalle über
die Handlung ihrer Mutter durchdrungen ſein. Als
wir uns aber von dem Tiſche erhoben, als wir das
ſtumme Gebeth geſprochen, und uns wechſelweiſe
verneigt hatten, wobei ich meine Augen immer nur
auf meinen alten Gaſtfreund und auf die Frau ge¬
richtet hatte, und als wir uns jezt anſchickten, das
Zimmer zu verlaſſen, und Natalie den Arm Guſtavs
nahm, und beide Geſchwiſter ſich umkehrten, um der
Thür zuzugehen, wagte ich es, den Blick zu dem
Spiegel zu erheben, in dem ich ſie ſehen mußte. Ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0404" n="390"/>
Gu&#x017F;tav machte keine Einwendungen mehr. Er<lb/>
nahm ihre Rechte in &#x017F;eine beiden Hände, drückte &#x017F;ie,<lb/>
küßte &#x017F;ie, und ging dann wieder zu den Büchern.</p><lb/>
        <p>Als er alle ausgepackt hatte, holte er einen Die¬<lb/>
ner, und ließ &#x017F;ie durch ihn in &#x017F;eine Wohnung tragen.</p><lb/>
        <p>Nach dem E&#x017F;&#x017F;en war es im Plane, daß wir uns<lb/>
zer&#x017F;treuen &#x017F;ollten, und jeder &#x017F;ich nach &#x017F;einem Sinne<lb/>
be&#x017F;chäftige.</p><lb/>
        <p>Ich hatte es während des Vorganges mit den<lb/>
Büchern nicht vermocht, auf das Ange&#x017F;icht Nataliens<lb/>
zu &#x017F;chauen, was etwa in ihr vorgehen möge, und<lb/>
was &#x017F;ich in den Zügen &#x017F;piegle. Ich mußte mir nur<lb/>
denken, &#x017F;ie werde von dem höch&#x017F;ten Beifalle über<lb/>
die Handlung ihrer Mutter durchdrungen &#x017F;ein. Als<lb/>
wir uns aber von dem Ti&#x017F;che erhoben, als wir das<lb/>
&#x017F;tumme Gebeth ge&#x017F;prochen, und uns wech&#x017F;elwei&#x017F;e<lb/>
verneigt hatten, wobei ich meine Augen immer nur<lb/>
auf meinen alten Ga&#x017F;tfreund und auf die Frau ge¬<lb/>
richtet hatte, und als wir uns jezt an&#x017F;chickten, das<lb/>
Zimmer zu verla&#x017F;&#x017F;en, und Natalie den Arm Gu&#x017F;tavs<lb/>
nahm, und beide Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter &#x017F;ich umkehrten, um der<lb/>
Thür zuzugehen, wagte ich es, den Blick zu dem<lb/>
Spiegel zu erheben, in dem ich &#x017F;ie &#x017F;ehen mußte. Ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[390/0404] Guſtav machte keine Einwendungen mehr. Er nahm ihre Rechte in ſeine beiden Hände, drückte ſie, küßte ſie, und ging dann wieder zu den Büchern. Als er alle ausgepackt hatte, holte er einen Die¬ ner, und ließ ſie durch ihn in ſeine Wohnung tragen. Nach dem Eſſen war es im Plane, daß wir uns zerſtreuen ſollten, und jeder ſich nach ſeinem Sinne beſchäftige. Ich hatte es während des Vorganges mit den Büchern nicht vermocht, auf das Angeſicht Nataliens zu ſchauen, was etwa in ihr vorgehen möge, und was ſich in den Zügen ſpiegle. Ich mußte mir nur denken, ſie werde von dem höchſten Beifalle über die Handlung ihrer Mutter durchdrungen ſein. Als wir uns aber von dem Tiſche erhoben, als wir das ſtumme Gebeth geſprochen, und uns wechſelweiſe verneigt hatten, wobei ich meine Augen immer nur auf meinen alten Gaſtfreund und auf die Frau ge¬ richtet hatte, und als wir uns jezt anſchickten, das Zimmer zu verlaſſen, und Natalie den Arm Guſtavs nahm, und beide Geſchwiſter ſich umkehrten, um der Thür zuzugehen, wagte ich es, den Blick zu dem Spiegel zu erheben, in dem ich ſie ſehen mußte. Ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/404
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/404>, abgerufen am 22.11.2024.