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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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brauches war es mir nicht schwer, den mit einem
Zaune und mit Gebüsch besäumten Weg, der von der
Landstraße ab hinauf ging, zu finden. Ich schritt auf
demselben empor und kam, wie ich richtig vermuthet
hatte, vor das Haus. Es war noch immer von der
Sonne hell beschienen. Allein, da ich näher vor das¬
selbe trat, hatte ich einen bewunderungswürdigen An¬
blick. Das Haus war über und über mit Rosen be¬
deckt, und wie es in jenem fruchtbaren hügligen Lande
ist, daß, wenn einmal etwas blüht, gleich alles mit
einander blüht, so war es auch hier: die Rosen schie¬
nen sich das Wort gegeben zu haben, alle zur selben
Zeit aufzubrechen, um das Haus in einen Überwurf
der reizendsten Farbe und in eine Wolke der süßesten
Gerüche zu hüllen.

Wenn ich sage, das Haus sei über und über mit
Rosen bedekt gewesen, so ist das nicht so wortgetreu
zu nehmen. Das Haus hatte zwei ziemlich hohe Ge¬
schosse. Die Wand des Erdgeschosses war bis zu den
Fenstern des oberen Geschosses mit den Rosen bedeckt.
Der übrige Theil bis zu dem Dache war frei, und er
war das leuchtende weiße Band, welches in die Land¬
schaft hinaus geschaut, und mich gewissermaßen her¬
auf gelockt hatte. Die Rosen waren an einem Gitter¬

brauches war es mir nicht ſchwer, den mit einem
Zaune und mit Gebüſch beſäumten Weg, der von der
Landſtraße ab hinauf ging, zu finden. Ich ſchritt auf
demſelben empor und kam, wie ich richtig vermuthet
hatte, vor das Haus. Es war noch immer von der
Sonne hell beſchienen. Allein, da ich näher vor das¬
ſelbe trat, hatte ich einen bewunderungswürdigen An¬
blick. Das Haus war über und über mit Roſen be¬
deckt, und wie es in jenem fruchtbaren hügligen Lande
iſt, daß, wenn einmal etwas blüht, gleich alles mit
einander blüht, ſo war es auch hier: die Roſen ſchie¬
nen ſich das Wort gegeben zu haben, alle zur ſelben
Zeit aufzubrechen, um das Haus in einen Überwurf
der reizendſten Farbe und in eine Wolke der ſüßeſten
Gerüche zu hüllen.

Wenn ich ſage, das Haus ſei über und über mit
Roſen bedekt geweſen, ſo iſt das nicht ſo wortgetreu
zu nehmen. Das Haus hatte zwei ziemlich hohe Ge¬
ſchoſſe. Die Wand des Erdgeſchoſſes war bis zu den
Fenſtern des oberen Geſchoſſes mit den Roſen bedeckt.
Der übrige Theil bis zu dem Dache war frei, und er
war das leuchtende weiße Band, welches in die Land¬
ſchaft hinaus geſchaut, und mich gewiſſermaßen her¬
auf gelockt hatte. Die Roſen waren an einem Gitter¬

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[62/0076] brauches war es mir nicht ſchwer, den mit einem Zaune und mit Gebüſch beſäumten Weg, der von der Landſtraße ab hinauf ging, zu finden. Ich ſchritt auf demſelben empor und kam, wie ich richtig vermuthet hatte, vor das Haus. Es war noch immer von der Sonne hell beſchienen. Allein, da ich näher vor das¬ ſelbe trat, hatte ich einen bewunderungswürdigen An¬ blick. Das Haus war über und über mit Roſen be¬ deckt, und wie es in jenem fruchtbaren hügligen Lande iſt, daß, wenn einmal etwas blüht, gleich alles mit einander blüht, ſo war es auch hier: die Roſen ſchie¬ nen ſich das Wort gegeben zu haben, alle zur ſelben Zeit aufzubrechen, um das Haus in einen Überwurf der reizendſten Farbe und in eine Wolke der ſüßeſten Gerüche zu hüllen. Wenn ich ſage, das Haus ſei über und über mit Roſen bedekt geweſen, ſo iſt das nicht ſo wortgetreu zu nehmen. Das Haus hatte zwei ziemlich hohe Ge¬ ſchoſſe. Die Wand des Erdgeſchoſſes war bis zu den Fenſtern des oberen Geſchoſſes mit den Roſen bedeckt. Der übrige Theil bis zu dem Dache war frei, und er war das leuchtende weiße Band, welches in die Land¬ ſchaft hinaus geſchaut, und mich gewiſſermaßen her¬ auf gelockt hatte. Die Roſen waren an einem Gitter¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/76>, abgerufen am 21.11.2024.