Wände gesellt sich der Ernst der Wände von Marmor, und daß in dem Saale gar keine Geräthe sind, ver¬ mehrt noch die Einsamkeit und Größe. Wenn nun vollends schon eine schwache Abenddämmerung einge¬ treten ist, so zeigt die Oberfläche des Marmors den Widerschein der Blize, und während wir so auf und nieder gingen, war einige Male der reine kalte Mar¬ mor wie in eine Glut getaucht, und nur die hölzernen Thüren standen dunkel in dem Feuer, oder zeigten ihre düstere Fügung.
Ich fragte meinen Gastfreund, ob er das Mar¬ morstandbild schon lange besize.
"Die Zahl der Jahre ist nicht sehr groß," antwor¬ tete er, "ich kann sie euch aber nicht genau angeben, weil ich sie nicht in meinem Gedächtnisse behalten habe. Ich werde in meinen Büchern nachsehen, und werde euch morgen sagen, wie lange das Bild in meinem Hause steht."
"Ihr werdet wohl erlauben," sagte ich, "daß ich die Gestalt öfter ansehen darf, und daß ich mir nach und nach einpräge und immer klarer mache, warum sie denn so schön ist, und welches die Merkmale sind, die auf uns eine solche Wirkung machen."
"Ihr dürft sie besehen, so oft ihr wollt," antwor¬
Wände geſellt ſich der Ernſt der Wände von Marmor, und daß in dem Saale gar keine Geräthe ſind, ver¬ mehrt noch die Einſamkeit und Größe. Wenn nun vollends ſchon eine ſchwache Abenddämmerung einge¬ treten iſt, ſo zeigt die Oberfläche des Marmors den Widerſchein der Blize, und während wir ſo auf und nieder gingen, war einige Male der reine kalte Mar¬ mor wie in eine Glut getaucht, und nur die hölzernen Thüren ſtanden dunkel in dem Feuer, oder zeigten ihre düſtere Fügung.
Ich fragte meinen Gaſtfreund, ob er das Mar¬ morſtandbild ſchon lange beſize.
„Die Zahl der Jahre iſt nicht ſehr groß,“ antwor¬ tete er, „ich kann ſie euch aber nicht genau angeben, weil ich ſie nicht in meinem Gedächtniſſe behalten habe. Ich werde in meinen Büchern nachſehen, und werde euch morgen ſagen, wie lange das Bild in meinem Hauſe ſteht.“
„Ihr werdet wohl erlauben,“ ſagte ich, „daß ich die Geſtalt öfter anſehen darf, und daß ich mir nach und nach einpräge und immer klarer mache, warum ſie denn ſo ſchön iſt, und welches die Merkmale ſind, die auf uns eine ſolche Wirkung machen.“
„Ihr dürft ſie beſehen, ſo oft ihr wollt,“ antwor¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0139"n="125"/>
Wände geſellt ſich der Ernſt der Wände von Marmor,<lb/>
und daß in dem Saale gar keine Geräthe ſind, ver¬<lb/>
mehrt noch die Einſamkeit und Größe. Wenn nun<lb/>
vollends ſchon eine ſchwache Abenddämmerung einge¬<lb/>
treten iſt, ſo zeigt die Oberfläche des Marmors den<lb/>
Widerſchein der Blize, und während wir ſo auf und<lb/>
nieder gingen, war einige Male der reine kalte Mar¬<lb/>
mor wie in eine Glut getaucht, und nur die hölzernen<lb/>
Thüren ſtanden dunkel in dem Feuer, oder zeigten<lb/>
ihre düſtere Fügung.</p><lb/><p>Ich fragte meinen Gaſtfreund, ob er das Mar¬<lb/>
morſtandbild ſchon lange beſize.</p><lb/><p>„Die Zahl der Jahre iſt nicht ſehr groß,“ antwor¬<lb/>
tete er, „ich kann ſie euch aber nicht genau angeben,<lb/>
weil ich ſie nicht in meinem Gedächtniſſe behalten<lb/>
habe. Ich werde in meinen Büchern nachſehen, und<lb/>
werde euch morgen ſagen, wie lange das Bild in<lb/>
meinem Hauſe ſteht.“</p><lb/><p>„Ihr werdet wohl erlauben,“ſagte ich, „daß ich<lb/>
die Geſtalt öfter anſehen darf, und daß ich mir nach<lb/>
und nach einpräge und immer klarer mache, warum<lb/>ſie denn ſo ſchön iſt, und welches die Merkmale ſind,<lb/>
die auf uns eine ſolche Wirkung machen.“</p><lb/><p>„Ihr dürft ſie beſehen, ſo oft ihr wollt,“ antwor¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[125/0139]
Wände geſellt ſich der Ernſt der Wände von Marmor,
und daß in dem Saale gar keine Geräthe ſind, ver¬
mehrt noch die Einſamkeit und Größe. Wenn nun
vollends ſchon eine ſchwache Abenddämmerung einge¬
treten iſt, ſo zeigt die Oberfläche des Marmors den
Widerſchein der Blize, und während wir ſo auf und
nieder gingen, war einige Male der reine kalte Mar¬
mor wie in eine Glut getaucht, und nur die hölzernen
Thüren ſtanden dunkel in dem Feuer, oder zeigten
ihre düſtere Fügung.
Ich fragte meinen Gaſtfreund, ob er das Mar¬
morſtandbild ſchon lange beſize.
„Die Zahl der Jahre iſt nicht ſehr groß,“ antwor¬
tete er, „ich kann ſie euch aber nicht genau angeben,
weil ich ſie nicht in meinem Gedächtniſſe behalten
habe. Ich werde in meinen Büchern nachſehen, und
werde euch morgen ſagen, wie lange das Bild in
meinem Hauſe ſteht.“
„Ihr werdet wohl erlauben,“ ſagte ich, „daß ich
die Geſtalt öfter anſehen darf, und daß ich mir nach
und nach einpräge und immer klarer mache, warum
ſie denn ſo ſchön iſt, und welches die Merkmale ſind,
die auf uns eine ſolche Wirkung machen.“
„Ihr dürft ſie beſehen, ſo oft ihr wollt,“ antwor¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/139>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.