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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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Kunst unter Bewegung versteht. Was man unter
Ruhe begreift, das mag wohl zuerst darin bestehen,
daß jeder Gegenstand, den die bildende Kunst dar¬
stellt, genau betrachtet, in Ruhe ist. Der laufende
Wagen das rennende Pferd der stürzende Wasser¬
fall die jagende Wolke selbst der zuckende Bliz sind
in der Abbildung ein Starres Bleibendes, und der
Künstler kann nur durch die früher von mir ange¬
deuteten Mittel die Bewegung als Bewegbarkeit als
Täuschung des Auges darstellen, wodurch er zugleich
seinen Gegenstand über die Gränzen des unmittelbar
Dargestellten hinaushebt, und ihm eine ungleich grö¬
ßere Bedeutung gibt. Aber die dargestellte Bewegung
darf nicht zu gewaltsam sein, sonst helfen die Mittel
nicht, der Künstler scheitert und wird lächerlich. Zum
Beispiele Pferde, die von einem Felsen durch die Luft
hinabstürzen, dürfen nicht in der Luft fallend gemalt
werden -- wenigstens dürfte dies leichter eine den Ver¬
stand befriedigende Zeichnung als ein das ganze Kunst¬
vermögen entzückendes Bild werden. Darum darf der
in seinen Gestalten sich stets erneuende Wasserfall mit
weit geringerer Gefahr dargestellt werden als eine
Flüssigkeit, die aus einem Gefäße gegossen wird, wo¬
bei die Einbildungskraft sich mit dem Gedanken quält,

Kunſt unter Bewegung verſteht. Was man unter
Ruhe begreift, das mag wohl zuerſt darin beſtehen,
daß jeder Gegenſtand, den die bildende Kunſt dar¬
ſtellt, genau betrachtet, in Ruhe iſt. Der laufende
Wagen das rennende Pferd der ſtürzende Waſſer¬
fall die jagende Wolke ſelbſt der zuckende Bliz ſind
in der Abbildung ein Starres Bleibendes, und der
Künſtler kann nur durch die früher von mir ange¬
deuteten Mittel die Bewegung als Bewegbarkeit als
Täuſchung des Auges darſtellen, wodurch er zugleich
ſeinen Gegenſtand über die Gränzen des unmittelbar
Dargeſtellten hinaushebt, und ihm eine ungleich grö¬
ßere Bedeutung gibt. Aber die dargeſtellte Bewegung
darf nicht zu gewaltſam ſein, ſonſt helfen die Mittel
nicht, der Künſtler ſcheitert und wird lächerlich. Zum
Beiſpiele Pferde, die von einem Felſen durch die Luft
hinabſtürzen, dürfen nicht in der Luft fallend gemalt
werden — wenigſtens dürfte dies leichter eine den Ver¬
ſtand befriedigende Zeichnung als ein das ganze Kunſt¬
vermögen entzückendes Bild werden. Darum darf der
in ſeinen Geſtalten ſich ſtets erneuende Waſſerfall mit
weit geringerer Gefahr dargeſtellt werden als eine
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bei die Einbildungskraft ſich mit dem Gedanken quält,

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[133/0147] Kunſt unter Bewegung verſteht. Was man unter Ruhe begreift, das mag wohl zuerſt darin beſtehen, daß jeder Gegenſtand, den die bildende Kunſt dar¬ ſtellt, genau betrachtet, in Ruhe iſt. Der laufende Wagen das rennende Pferd der ſtürzende Waſſer¬ fall die jagende Wolke ſelbſt der zuckende Bliz ſind in der Abbildung ein Starres Bleibendes, und der Künſtler kann nur durch die früher von mir ange¬ deuteten Mittel die Bewegung als Bewegbarkeit als Täuſchung des Auges darſtellen, wodurch er zugleich ſeinen Gegenſtand über die Gränzen des unmittelbar Dargeſtellten hinaushebt, und ihm eine ungleich grö¬ ßere Bedeutung gibt. Aber die dargeſtellte Bewegung darf nicht zu gewaltſam ſein, ſonſt helfen die Mittel nicht, der Künſtler ſcheitert und wird lächerlich. Zum Beiſpiele Pferde, die von einem Felſen durch die Luft hinabſtürzen, dürfen nicht in der Luft fallend gemalt werden — wenigſtens dürfte dies leichter eine den Ver¬ ſtand befriedigende Zeichnung als ein das ganze Kunſt¬ vermögen entzückendes Bild werden. Darum darf der in ſeinen Geſtalten ſich ſtets erneuende Waſſerfall mit weit geringerer Gefahr dargeſtellt werden als eine Flüſſigkeit, die aus einem Gefäße gegoſſen wird, wo¬ bei die Einbildungskraft ſich mit dem Gedanken quält,

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/147>, abgerufen am 24.11.2024.