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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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ten des Mittelalters befanden. Wir verglichen diese
Gestalten mit der aus dem Griechenthume stammen¬
den. Auch wirkliche Gestaltungen von kleinen Engeln
Heiligen oder anderen Personen, die sich in dem Ro¬
senhause oder in der Nähe befanden, suchte er zur
Vergleichung herbei zu bringen. Es zeigte sich hier
für meine Augen, daß das wahr sei, was mein Gast¬
freund über griechische und mittelalterliche Kunst ge¬
sagt hatte. Es war mir wie ein jugendlicher und
doch männlich gereifter Sinn voll Maß und Beson¬
nenheit so wie voll herrlicher Sinnfälligkeit, der aus
dem Griechenwerke sprach. In den mittelalterlichen
Gebilden war es mir ein liebes einfaches argloses
Gemüth, das gläubig und innig nach Mitteln grif,
sich auszusprechen, der Mittel nicht völlig Herr wurde,
dies nicht wußte, und doch Wirkungen hervorbrachte,
die noch jezt ihre Macht auf uns äußern, und uns
mit Staunen erfüllen. Es ist die Seele, die da spricht,
und in ihrer Reinheit und in ihrem Ernste uns mit
Bewunderung, erfüllt, während spätere Zeiten, von
denen Eustach zahlreiche Abbildungen von Bildwerken
vorlegte, troz ihrer Einsicht ihrer Aufgeklärtheit und
ihrer Kenntniß der Kunstmittel nur frostige Gestalten
in unwahren Flattergewändern und übertriebenen

ten des Mittelalters befanden. Wir verglichen dieſe
Geſtalten mit der aus dem Griechenthume ſtammen¬
den. Auch wirkliche Geſtaltungen von kleinen Engeln
Heiligen oder anderen Perſonen, die ſich in dem Ro¬
ſenhauſe oder in der Nähe befanden, ſuchte er zur
Vergleichung herbei zu bringen. Es zeigte ſich hier
für meine Augen, daß das wahr ſei, was mein Gaſt¬
freund über griechiſche und mittelalterliche Kunſt ge¬
ſagt hatte. Es war mir wie ein jugendlicher und
doch männlich gereifter Sinn voll Maß und Beſon¬
nenheit ſo wie voll herrlicher Sinnfälligkeit, der aus
dem Griechenwerke ſprach. In den mittelalterlichen
Gebilden war es mir ein liebes einfaches argloſes
Gemüth, das gläubig und innig nach Mitteln grif,
ſich auszuſprechen, der Mittel nicht völlig Herr wurde,
dies nicht wußte, und doch Wirkungen hervorbrachte,
die noch jezt ihre Macht auf uns äußern, und uns
mit Staunen erfüllen. Es iſt die Seele, die da ſpricht,
und in ihrer Reinheit und in ihrem Ernſte uns mit
Bewunderung, erfüllt, während ſpätere Zeiten, von
denen Euſtach zahlreiche Abbildungen von Bildwerken
vorlegte, troz ihrer Einſicht ihrer Aufgeklärtheit und
ihrer Kenntniß der Kunſtmittel nur froſtige Geſtalten
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[141/0155] ten des Mittelalters befanden. Wir verglichen dieſe Geſtalten mit der aus dem Griechenthume ſtammen¬ den. Auch wirkliche Geſtaltungen von kleinen Engeln Heiligen oder anderen Perſonen, die ſich in dem Ro¬ ſenhauſe oder in der Nähe befanden, ſuchte er zur Vergleichung herbei zu bringen. Es zeigte ſich hier für meine Augen, daß das wahr ſei, was mein Gaſt¬ freund über griechiſche und mittelalterliche Kunſt ge¬ ſagt hatte. Es war mir wie ein jugendlicher und doch männlich gereifter Sinn voll Maß und Beſon¬ nenheit ſo wie voll herrlicher Sinnfälligkeit, der aus dem Griechenwerke ſprach. In den mittelalterlichen Gebilden war es mir ein liebes einfaches argloſes Gemüth, das gläubig und innig nach Mitteln grif, ſich auszuſprechen, der Mittel nicht völlig Herr wurde, dies nicht wußte, und doch Wirkungen hervorbrachte, die noch jezt ihre Macht auf uns äußern, und uns mit Staunen erfüllen. Es iſt die Seele, die da ſpricht, und in ihrer Reinheit und in ihrem Ernſte uns mit Bewunderung, erfüllt, während ſpätere Zeiten, von denen Euſtach zahlreiche Abbildungen von Bildwerken vorlegte, troz ihrer Einſicht ihrer Aufgeklärtheit und ihrer Kenntniß der Kunſtmittel nur froſtige Geſtalten in unwahren Flattergewändern und übertriebenen

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/155>, abgerufen am 21.11.2024.