zierungen und sogar in Theilen der menschlichen Ge¬ stalt enthielt, und auf demselben Glanzlichter von star¬ ker Wirkung angebracht waren, so erschien das Bild doch nicht unruhig, ja es beherrschte den Rahmen, und machte seinen Reichthum zu einer anmuthigen Man¬ nigfaltigkeit, während es selber durch seine Gewalt sich geltend machte, und in den erhebenden Farben von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiser Ruf entschlüpfte den Lippen aller Anwesenden, und ich freute mich, daß ich mich nicht getäuscht hatte, als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen so reichen Rahmen für dasselbe bestellt hatte. Wir stan¬ den lange davor, und betrachteten die Schönheit der Farbengebung an den entblößten Theilen so wie die der Gewandung und der Gründe, was im Vereine mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein so würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man sich eines tiefen Ernstes nicht erwehren konnte, der wie wahrhaftige Andacht war. Erst später fingen wir zu sprechen an, beredeten dieses und jenes, und ka¬ men, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen über den Meister zu wagen. Es wurde Guido Reni genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die
11 *
zierungen und ſogar in Theilen der menſchlichen Ge¬ ſtalt enthielt, und auf demſelben Glanzlichter von ſtar¬ ker Wirkung angebracht waren, ſo erſchien das Bild doch nicht unruhig, ja es beherrſchte den Rahmen, und machte ſeinen Reichthum zu einer anmuthigen Man¬ nigfaltigkeit, während es ſelber durch ſeine Gewalt ſich geltend machte, und in den erhebenden Farben von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiſer Ruf entſchlüpfte den Lippen aller Anweſenden, und ich freute mich, daß ich mich nicht getäuſcht hatte, als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen ſo reichen Rahmen für dasſelbe beſtellt hatte. Wir ſtan¬ den lange davor, und betrachteten die Schönheit der Farbengebung an den entblößten Theilen ſo wie die der Gewandung und der Gründe, was im Vereine mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein ſo würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man ſich eines tiefen Ernſtes nicht erwehren konnte, der wie wahrhaftige Andacht war. Erſt ſpäter fingen wir zu ſprechen an, beredeten dieſes und jenes, und ka¬ men, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen über den Meiſter zu wagen. Es wurde Guido Reni genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die
11 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0177"n="163"/>
zierungen und ſogar in Theilen der menſchlichen Ge¬<lb/>ſtalt enthielt, und auf demſelben Glanzlichter von ſtar¬<lb/>
ker Wirkung angebracht waren, ſo erſchien das Bild<lb/>
doch nicht unruhig, ja es beherrſchte den Rahmen, und<lb/>
machte ſeinen Reichthum zu einer anmuthigen Man¬<lb/>
nigfaltigkeit, während es ſelber durch ſeine Gewalt<lb/>ſich geltend machte, und in den erhebenden Farben<lb/>
von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiſer<lb/>
Ruf entſchlüpfte den Lippen aller Anweſenden, und<lb/>
ich freute mich, daß ich mich nicht getäuſcht hatte,<lb/>
als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen ſo<lb/>
reichen Rahmen für dasſelbe beſtellt hatte. Wir ſtan¬<lb/>
den lange davor, und betrachteten die Schönheit der<lb/>
Farbengebung an den entblößten Theilen ſo wie die<lb/>
der Gewandung und der Gründe, was im Vereine<lb/>
mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung<lb/>
und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein<lb/>ſo würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man<lb/>ſich eines tiefen Ernſtes nicht erwehren konnte, der<lb/>
wie wahrhaftige Andacht war. Erſt ſpäter fingen wir<lb/>
zu ſprechen an, beredeten dieſes und jenes, und ka¬<lb/>
men, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen<lb/>
über den Meiſter zu wagen. Es wurde Guido Reni<lb/>
genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">11 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[163/0177]
zierungen und ſogar in Theilen der menſchlichen Ge¬
ſtalt enthielt, und auf demſelben Glanzlichter von ſtar¬
ker Wirkung angebracht waren, ſo erſchien das Bild
doch nicht unruhig, ja es beherrſchte den Rahmen, und
machte ſeinen Reichthum zu einer anmuthigen Man¬
nigfaltigkeit, während es ſelber durch ſeine Gewalt
ſich geltend machte, und in den erhebenden Farben
von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiſer
Ruf entſchlüpfte den Lippen aller Anweſenden, und
ich freute mich, daß ich mich nicht getäuſcht hatte,
als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen ſo
reichen Rahmen für dasſelbe beſtellt hatte. Wir ſtan¬
den lange davor, und betrachteten die Schönheit der
Farbengebung an den entblößten Theilen ſo wie die
der Gewandung und der Gründe, was im Vereine
mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung
und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein
ſo würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man
ſich eines tiefen Ernſtes nicht erwehren konnte, der
wie wahrhaftige Andacht war. Erſt ſpäter fingen wir
zu ſprechen an, beredeten dieſes und jenes, und ka¬
men, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen
über den Meiſter zu wagen. Es wurde Guido Reni
genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die
11 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/177>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.