Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Geräthe sammelte, und in dem Schnitte der Kleider
alte Gebilde und Wendungen theilweise einführte.
Möge man auf diesem Wege zum Besseren fortfahren,
und nicht blos das Alte wieder zu einer Mode ma¬
chen, die den Geist nicht kennt, sondern nur die Ver¬
änderung liebt. Du kannst es noch erleben, wenn
wieder eine Höhe eintritt; denn ein Schwellen von
Tiefe in Höhe und ein Sinken aus der Höhe in die
Tiefe war immer vorhanden. Wenn die Erkenntniß
des Alterthums, nicht blos des unsern sondern des
noch schönern des Griechenthums, wie es sich jezt
auszusprechen scheint, immer fortschreitet und nicht
ermattet, so werden wir auch dahin kommen, daß wir
eigene Werke werden ersinnen können, in denen die
ernste Schönheitsmuse steht, nicht Leidenschaft oder
Absicht oder ein äußerlicher Reiz oder ledigliche plan¬
lose Heftigkeit, Werke, die nicht nachgeahmt sind,
oder in denen nur ein älterer Stil ausgedrückt ist.
Wenn wir dahin gekommen sind, dann dürften wir
wohl auch gesellschaftlich auf einer Stufe stehen, daß
nicht blos Theile unseres Volkes nach Außen mächtig
sind sondern das ganze Volk, und daß es dann mit
seinem Leben gelassen kräftig auf das Leben anderer
Völker wirkt. Ich denke immer, die sind glücklich, die

Geräthe ſammelte, und in dem Schnitte der Kleider
alte Gebilde und Wendungen theilweiſe einführte.
Möge man auf dieſem Wege zum Beſſeren fortfahren,
und nicht blos das Alte wieder zu einer Mode ma¬
chen, die den Geiſt nicht kennt, ſondern nur die Ver¬
änderung liebt. Du kannſt es noch erleben, wenn
wieder eine Höhe eintritt; denn ein Schwellen von
Tiefe in Höhe und ein Sinken aus der Höhe in die
Tiefe war immer vorhanden. Wenn die Erkenntniß
des Alterthums, nicht blos des unſern ſondern des
noch ſchönern des Griechenthums, wie es ſich jezt
auszuſprechen ſcheint, immer fortſchreitet und nicht
ermattet, ſo werden wir auch dahin kommen, daß wir
eigene Werke werden erſinnen können, in denen die
ernſte Schönheitsmuſe ſteht, nicht Leidenſchaft oder
Abſicht oder ein äußerlicher Reiz oder ledigliche plan¬
loſe Heftigkeit, Werke, die nicht nachgeahmt ſind,
oder in denen nur ein älterer Stil ausgedrückt iſt.
Wenn wir dahin gekommen ſind, dann dürften wir
wohl auch geſellſchaftlich auf einer Stufe ſtehen, daß
nicht blos Theile unſeres Volkes nach Außen mächtig
ſind ſondern das ganze Volk, und daß es dann mit
ſeinem Leben gelaſſen kräftig auf das Leben anderer
Völker wirkt. Ich denke immer, die ſind glücklich, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0249" n="235"/>
Geräthe &#x017F;ammelte, und in dem Schnitte der Kleider<lb/>
alte Gebilde und Wendungen theilwei&#x017F;e einführte.<lb/>
Möge man auf die&#x017F;em Wege zum Be&#x017F;&#x017F;eren fortfahren,<lb/>
und nicht blos das Alte wieder zu einer Mode ma¬<lb/>
chen, die den Gei&#x017F;t nicht kennt, &#x017F;ondern nur die Ver¬<lb/>
änderung liebt. Du kann&#x017F;t es noch erleben, wenn<lb/>
wieder eine Höhe eintritt; denn ein Schwellen von<lb/>
Tiefe in Höhe und ein Sinken aus der Höhe in die<lb/>
Tiefe war immer vorhanden. Wenn die Erkenntniß<lb/>
des Alterthums, nicht blos des un&#x017F;ern &#x017F;ondern des<lb/>
noch &#x017F;chönern des Griechenthums, wie es &#x017F;ich jezt<lb/>
auszu&#x017F;prechen &#x017F;cheint, immer fort&#x017F;chreitet und nicht<lb/>
ermattet, &#x017F;o werden wir auch dahin kommen, daß wir<lb/>
eigene Werke werden er&#x017F;innen können, in denen die<lb/>
ern&#x017F;te Schönheitsmu&#x017F;e &#x017F;teht, nicht Leiden&#x017F;chaft oder<lb/>
Ab&#x017F;icht oder ein äußerlicher Reiz oder ledigliche plan¬<lb/>
lo&#x017F;e Heftigkeit, Werke, die nicht nachgeahmt &#x017F;ind,<lb/>
oder in denen nur ein älterer Stil ausgedrückt i&#x017F;t.<lb/>
Wenn wir dahin gekommen &#x017F;ind, dann dürften wir<lb/>
wohl auch ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlich auf einer Stufe &#x017F;tehen, daß<lb/>
nicht blos Theile un&#x017F;eres Volkes nach Außen mächtig<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ondern das ganze Volk, und daß es dann mit<lb/>
&#x017F;einem Leben gela&#x017F;&#x017F;en kräftig auf das Leben anderer<lb/>
Völker wirkt. Ich denke immer, die &#x017F;ind glücklich, die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0249] Geräthe ſammelte, und in dem Schnitte der Kleider alte Gebilde und Wendungen theilweiſe einführte. Möge man auf dieſem Wege zum Beſſeren fortfahren, und nicht blos das Alte wieder zu einer Mode ma¬ chen, die den Geiſt nicht kennt, ſondern nur die Ver¬ änderung liebt. Du kannſt es noch erleben, wenn wieder eine Höhe eintritt; denn ein Schwellen von Tiefe in Höhe und ein Sinken aus der Höhe in die Tiefe war immer vorhanden. Wenn die Erkenntniß des Alterthums, nicht blos des unſern ſondern des noch ſchönern des Griechenthums, wie es ſich jezt auszuſprechen ſcheint, immer fortſchreitet und nicht ermattet, ſo werden wir auch dahin kommen, daß wir eigene Werke werden erſinnen können, in denen die ernſte Schönheitsmuſe ſteht, nicht Leidenſchaft oder Abſicht oder ein äußerlicher Reiz oder ledigliche plan¬ loſe Heftigkeit, Werke, die nicht nachgeahmt ſind, oder in denen nur ein älterer Stil ausgedrückt iſt. Wenn wir dahin gekommen ſind, dann dürften wir wohl auch geſellſchaftlich auf einer Stufe ſtehen, daß nicht blos Theile unſeres Volkes nach Außen mächtig ſind ſondern das ganze Volk, und daß es dann mit ſeinem Leben gelaſſen kräftig auf das Leben anderer Völker wirkt. Ich denke immer, die ſind glücklich, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/249
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/249>, abgerufen am 24.11.2024.