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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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und aus denen geschöpft und weiter fortgeschritten
werden könne.

"Du hast im Grunde vollkommen Recht," erwie¬
derte mein Freund, "wir fühlen das alle mehr oder
minder klar, außer denen, welchen alles gleichgültig
und unwesentlich ist, was nicht unmittelbar zum Er¬
werbe führt; darum sind auch allerlei Versuche ge¬
macht worden, und werden noch gemacht, die Fassung
zu vergeistigen. Sie gelingen in so ferne mehr oder
weniger, je nachdem es größere oder kleinere Künstler
sind, welche die Entwürfe machen. Hierin liegt aber
eine mehrfache Schwierigkeit. Zuerst sind die, welche
in Juwelen und Perlen arbeiten, sehr selten Künst¬
ler, sie können es nicht leicht werden, weil die Vorbe¬
reitung dazu zu viel Zeit und Kräfte in Anspruch
nehmen würde; werden sie es aber, so bleiben sie
gleich Künstler, verfertigen Kunstwerke, und arbeiten
nicht in Edelsteinen, was ihrem Geiste und ihrem
Einkommen abträglich wäre. Müssen nun Künstler
um Entwürfe angegangen werden, so biethet sich
zweitens der Übelstand, daß der Künstler die Juwe¬
len zu wenig kennt, und die Fassung daher zu we¬
nig auf ihre Natur berechnen kann, wozu sich noch
gesellt, daß die großen Künstler schwer zugänglich

und aus denen geſchöpft und weiter fortgeſchritten
werden könne.

„Du haſt im Grunde vollkommen Recht,“ erwie¬
derte mein Freund, „wir fühlen das alle mehr oder
minder klar, außer denen, welchen alles gleichgültig
und unweſentlich iſt, was nicht unmittelbar zum Er¬
werbe führt; darum ſind auch allerlei Verſuche ge¬
macht worden, und werden noch gemacht, die Faſſung
zu vergeiſtigen. Sie gelingen in ſo ferne mehr oder
weniger, je nachdem es größere oder kleinere Künſtler
ſind, welche die Entwürfe machen. Hierin liegt aber
eine mehrfache Schwierigkeit. Zuerſt ſind die, welche
in Juwelen und Perlen arbeiten, ſehr ſelten Künſt¬
ler, ſie können es nicht leicht werden, weil die Vorbe¬
reitung dazu zu viel Zeit und Kräfte in Anſpruch
nehmen würde; werden ſie es aber, ſo bleiben ſie
gleich Künſtler, verfertigen Kunſtwerke, und arbeiten
nicht in Edelſteinen, was ihrem Geiſte und ihrem
Einkommen abträglich wäre. Müſſen nun Künſtler
um Entwürfe angegangen werden, ſo biethet ſich
zweitens der Übelſtand, daß der Künſtler die Juwe¬
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[260/0274] und aus denen geſchöpft und weiter fortgeſchritten werden könne. „Du haſt im Grunde vollkommen Recht,“ erwie¬ derte mein Freund, „wir fühlen das alle mehr oder minder klar, außer denen, welchen alles gleichgültig und unweſentlich iſt, was nicht unmittelbar zum Er¬ werbe führt; darum ſind auch allerlei Verſuche ge¬ macht worden, und werden noch gemacht, die Faſſung zu vergeiſtigen. Sie gelingen in ſo ferne mehr oder weniger, je nachdem es größere oder kleinere Künſtler ſind, welche die Entwürfe machen. Hierin liegt aber eine mehrfache Schwierigkeit. Zuerſt ſind die, welche in Juwelen und Perlen arbeiten, ſehr ſelten Künſt¬ ler, ſie können es nicht leicht werden, weil die Vorbe¬ reitung dazu zu viel Zeit und Kräfte in Anſpruch nehmen würde; werden ſie es aber, ſo bleiben ſie gleich Künſtler, verfertigen Kunſtwerke, und arbeiten nicht in Edelſteinen, was ihrem Geiſte und ihrem Einkommen abträglich wäre. Müſſen nun Künſtler um Entwürfe angegangen werden, ſo biethet ſich zweitens der Übelſtand, daß der Künſtler die Juwe¬ len zu wenig kennt, und die Faſſung daher zu we¬ nig auf ihre Natur berechnen kann, wozu ſich noch geſellt, daß die großen Künſtler ſchwer zugänglich

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/274>, abgerufen am 22.11.2024.