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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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Lieblingsneigungen angewendet. Mit einem alten
Abte, der die Verwaltung seines Klosters abgegeben
hatte und seine würdevolle Muße, wie er sich aus¬
drückte, im Winter in unserer Stadt genoß, habe er
alte Dichter und Geschichtschreiber gelesen. Der Abt sei
ein großer Freund der alten Schriften gewesen, habe
bei ihm Neigung zu diesen Dingen entdeckt, und sei
ihm mit seinen Kenntnissen beigestanden. Er habe sehr
oft im Zimmer des Abtes laut aus den sogenannten
Classikern lesen müssen. Die Bekanntschaft desselben
habe er bei seinem Dienstherrn in unserer Stadt ge¬
macht, in dessen Hause dem Abte, der einst Lehrer
dieses Dienstherrn gewesen sei, jährlich ein oder zwei
Male ein Fest gegeben wurde. Der Dienstherr, der
lezte, bei dem sich mein Vater befunden, sei ein Ehren¬
mann gewesen, der seinen Leuten nicht nur Gelegen¬
heit verschafft habe, etwas lernen zu können, indem
er sie zu den vorkommenden Reisen benüzte, auf denen
sie Geschäftsfreunde Handelsverbindungen Verkehrs¬
wege und dergleichen kennen lernten, sondern der
ihnen auch Zeit gönnte, selber, wenn sie nicht die
Mittel zu großen Geschäftsanlagen besaßen, mit klei¬
nen Anfängen zu größeren Unternehmungen und zu
endlicher Selbstständigkeit schreiten zu können. So

Stifter, Nachsommer. II. 18

Lieblingsneigungen angewendet. Mit einem alten
Abte, der die Verwaltung ſeines Kloſters abgegeben
hatte und ſeine würdevolle Muße, wie er ſich aus¬
drückte, im Winter in unſerer Stadt genoß, habe er
alte Dichter und Geſchichtſchreiber geleſen. Der Abt ſei
ein großer Freund der alten Schriften geweſen, habe
bei ihm Neigung zu dieſen Dingen entdeckt, und ſei
ihm mit ſeinen Kenntniſſen beigeſtanden. Er habe ſehr
oft im Zimmer des Abtes laut aus den ſogenannten
Claſſikern leſen müſſen. Die Bekanntſchaft deſſelben
habe er bei ſeinem Dienſtherrn in unſerer Stadt ge¬
macht, in deſſen Hauſe dem Abte, der einſt Lehrer
dieſes Dienſtherrn geweſen ſei, jährlich ein oder zwei
Male ein Feſt gegeben wurde. Der Dienſtherr, der
lezte, bei dem ſich mein Vater befunden, ſei ein Ehren¬
mann geweſen, der ſeinen Leuten nicht nur Gelegen¬
heit verſchafft habe, etwas lernen zu können, indem
er ſie zu den vorkommenden Reiſen benüzte, auf denen
ſie Geſchäftsfreunde Handelsverbindungen Verkehrs¬
wege und dergleichen kennen lernten, ſondern der
ihnen auch Zeit gönnte, ſelber, wenn ſie nicht die
Mittel zu großen Geſchäftsanlagen beſaßen, mit klei¬
nen Anfängen zu größeren Unternehmungen und zu
endlicher Selbſtſtändigkeit ſchreiten zu können. So

Stifter, Nachſommer. II. 18
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[273/0287] Lieblingsneigungen angewendet. Mit einem alten Abte, der die Verwaltung ſeines Kloſters abgegeben hatte und ſeine würdevolle Muße, wie er ſich aus¬ drückte, im Winter in unſerer Stadt genoß, habe er alte Dichter und Geſchichtſchreiber geleſen. Der Abt ſei ein großer Freund der alten Schriften geweſen, habe bei ihm Neigung zu dieſen Dingen entdeckt, und ſei ihm mit ſeinen Kenntniſſen beigeſtanden. Er habe ſehr oft im Zimmer des Abtes laut aus den ſogenannten Claſſikern leſen müſſen. Die Bekanntſchaft deſſelben habe er bei ſeinem Dienſtherrn in unſerer Stadt ge¬ macht, in deſſen Hauſe dem Abte, der einſt Lehrer dieſes Dienſtherrn geweſen ſei, jährlich ein oder zwei Male ein Feſt gegeben wurde. Der Dienſtherr, der lezte, bei dem ſich mein Vater befunden, ſei ein Ehren¬ mann geweſen, der ſeinen Leuten nicht nur Gelegen¬ heit verſchafft habe, etwas lernen zu können, indem er ſie zu den vorkommenden Reiſen benüzte, auf denen ſie Geſchäftsfreunde Handelsverbindungen Verkehrs¬ wege und dergleichen kennen lernten, ſondern der ihnen auch Zeit gönnte, ſelber, wenn ſie nicht die Mittel zu großen Geſchäftsanlagen beſaßen, mit klei¬ nen Anfängen zu größeren Unternehmungen und zu endlicher Selbſtſtändigkeit ſchreiten zu können. So Stifter, Nachſommer. II. 18

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/287>, abgerufen am 22.11.2024.